Weltwirtschaft

Melonis Italien wird zur Gefahr für Europas Finanzsystem

Lesezeit: 5 min
27.09.2023 10:56  Aktualisiert: 27.09.2023 10:56
Weithin unbemerkt steuert Italien unter seiner Ministerpräsidentin Giorgia Meloni auf eine neue Finanzkrise zu. Die Reformen, die Italien im Rahmen eines gigantischen EU-Hilfsprogramms umsetzen muss, bleiben aus. Gleichzeitig steigt die Last zur Bedienung der Schulden. Die Nervosität an den Finanzmärkten steigt.
Melonis Italien wird zur Gefahr für Europas Finanzsystem
Italiens Giorgia Meloni (re.) mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. (Foto: dpa)
Foto: Cecilia Fabiano

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In einer Studie für die DZ Bank kam jüngst die Finanzanalystin Sophie Oertmann zu dem Ergebnis, dass Italien in den nächsten zehn Jahren einen jährlichen positiven Primärsaldo von einem Prozent seines Bruttosozialproduktes erwirtschaften müsste, um die Kosten für die Refinanzierung seiner Schulden stabil zu halten. Der Staat Italien hat einen Schuldenstand von rund 2700 Milliarden Euro. Das sind 146 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts und damit gehört es zu den am höchsten verschuldeten Industrieländern der Welt. Zum Vergleich: Der Schuldenstand Deutschlands ist nur etwa halb so hoch.

Der Primärsaldo beschreibt die Differenz zwischen Staatseinnahmen abzüglich der Kreditaufnahme und Ausgaben ohne die Zinszahlung auf die Staatsschulden. Um solch einen positiven Saldo ermöglichen, bräuchte Italien allerdings einen dramatischen Kurswechsel in seiner Haushaltspolitik, denn die Salden der vergangenen Jahre waren durchweg negativ, gleichzeitig sind aber die Renditen für siebenjährige Anleihen auf 4,2 Prozent gestiegen. Doch es erscheint durchaus fraglich, ob Meloni einen Kurswechsel will. Denn Insidern zufolge plant die italienische Regierung sogar, ihr Haushaltsdefizit auszuweiten – nämlich von ursprünglich 4,1 auf nun 4,3 Prozent des Bruttosozialproduktes. In einem jüngsten Kommentar schrieb die angesehene wirtschaftsnahe italienische Zeitung „Corierre della Sera“, dass Meloni bisher auf dem Feld der Wirtschaftspolitik nichts geleistet habe - kein einziges Versprechen sei erfüllt worden, unter Meloni komme das Land nicht voran.

Die Untätigkeit Melonis

Eine Einschätzung, die von Andrea De Petris geteilt wird. Gegenüber den Deutschen Wirtschaftsnachrichten (DWN) erklärt der Leiter des italienischen Büros des Think Tank Centrum für Europäische Politik (CEP), dass Meloni bisher „in diesen Fragen wenig unternommen“ habe. Vielmehr habe sie auf gelegentliche, kurzfristige Maßnahmen wie Boni für Geringverdiener und eine Steuer auf die Gewinne der Banken zurückgegriffen, ohne aber die strukturellen Probleme anzugehen. De Petris sieht aber Italien vor erheblichen strukturellen Problemen, für die es nach seiner Meinung keine einfachen Lösungen gebe.

So belaste nicht nur einerseits eine mit 7,6 Prozent relativ hohe Arbeitslosigkeit das Land, andererseits befänden sich viele Arbeitnehmer in prekären und instabilen Arbeitsverhältnissen. Darüber hinaus sei, so De Petris, vielfach die Infrastruktur marode. Dringend benötigte Investitionen würden aber die ohnehin schon sehr hohe Staatsverschuldung weiter erhöhen.

Dabei hätte Italien gerade jetzt eine Chance, seine Wirtschaft zu modernisieren: Die EU ist nämlich bereit, Italien im Rahmen des EU-Wiederaufbaufonds „Next Generation EU“ (NGEU) mit Projekten in den Bereichen Digitalisierung und Nachhaltigkeit mit Zuschüssen und billigen Krediten in Höhe von 200 Milliarden zu unterstützen. Der Fonds wurde 2020 von Frankreichs Präsident Macron und der deutschen Bundeskanzlerin Merkel auf den Weg gebracht, mit dem Ziel, den krisengeplagten Ländern des Südens neuen Schub zu geben. Diese Hilfe ist allerdings an administrative Bedingungen geknüpft, und es sieht nicht so aus, also ob die Meloni-Regierung die mit der EU-Kommission vereinbarten Reform- und Investitionspläne umsetzen kann.

Italiens Verwaltung hat schon seit jeher Probleme, bereitstehende Mittel aus Brüssel form-, frist- und sachgerecht abzurufen. Bis Ende August 2026 stehen die Mittel aus diesem Topf noch bereit, doch von den 200 Milliarden Euro hat Italien bisher nur 67 Milliarden abgerufen. Aber nicht nur, dass nicht abgerufene Gelder für Investitionen fehlen, schlimmer noch: Italien hat einen Teil des Geldes schon fest in seinem Haushalt verplant. Sollte also das bisher in das Budget eingestellte Geld nicht fließen, würde das die ohnehin schwierige Haushaltslage Italiens weiter verschärfen.

Toxische Mischung

In seinem jüngsten Bericht kommt der Internationale Währungsfonds (IWF) zu dem Ergebnis, dass Italien auch noch an anderer Stelle Ungemach droht. In seinem Bericht stellt der IWF fest, dass Italien inzwischen an der Kante („on the borderline“) stehe – eine toxische Mischung aus fiskalischer Stagnation, erlahmender wirtschaftlicher Dynamik und demographischer Schrumpfung setze Italiens Ökonomie unter ständigen Druck. Denn die Zahl der im Beruf Stehenden nimmt in Italien ständig ab, mit der Folge, dass die italienische Wirtschaft immer weniger produziert, da der Rückgang der Arbeitskräfte bisher nicht durch einen Zuwachs an Produktivität ausgeglichen wurde. Gleichzeitig werden aber vorhersehbar die Aufwendungen für Pensionen und Renten steigen.

Dies hat schon im vergangenen Jahr die wichtige internationale Ratingagentur Moody´s veranlasst, Italiens Kreditwürdigkeit herabzustufen - und zwar auf das Rating Baa3. Nach den Richtlinien von Moody beschreibt eine Anlage mit dem Rating Baa3 hinsichtlich ihrer Sicherheit als ein Investment im unteren mittleren Bereich. Damit gilt eine solche Anlage zwar als noch relativ sicher, jedoch sei bei einer Verschlechterung der Gesamtwirtschaft mit Problemen zu rechnen. Damit steht Italien nur noch eine Stufe über dem Rating für eine spekulative Anleihe. Dies ist in zweierlei Hinsicht von Bedeutung: Denn sollten italienische Anleihen um ein weiteres Rating herabgestuft werden, würde sich für Italien die Kreditaufnahme erheblich verteuern, zum anderen wird es für das Land insgesamt schwerer, an frisches Geld zu kommen, da die Statuten oder Gesetze für viele Versicherungen und Pensionskassen das Investment in eine spekulative Anleihe verbieten. Ein zusätzlicher Entzug von Kapital hätte aber für Italiens desaströse Folgen, weil dann das Kapital für dringend benötigte Investitionen fehlt.

Tatsächlich böte sich, wenn nicht eine Lösung so doch eine merkliche Linderung des Problems an - doch diese wäre mit erheblichen politischen Risiken für jede italienische Regierung verbunden. Nach Berechnungen der Universität Mailand belief sich in Italien die Steuerhinterziehung 2019 auf 21,3 Prozent des dem Staat zustehenden Einkommens; in Frankreich seien es nur 7,4 Prozent, in Spanien 6,9 Prozent und in Deutschland 8,8 Prozent. Zusammen mit anderen Steuern verliert Italien jährlich rund 100 Milliarden Euro durch Steuerhinterziehung. Das sind beinahe sechs Prozent der Wirtschaftsleistungen des Landes. Nicht nur um die Steuermoral ist es schlecht bestellt, auch der Staat zeigte bisher wenig Interesse, seine Steuern einzutreiben. In Italien sind rund 19 Millionen Steuerpflichtige mit ihren Zahlungen in Verzug – und das teilweise schon seit vielen Jahren. Das Problem ist Italien nie ernsthaft angegangen worden, im Gegenteil. Mit immer wiederkehrenden Steueramnestien wurden die Säumigen darauf konditioniert, so lange die ausstehende Steuerschuld nicht zu begleichen, bis sie der Staat per Amnestie erlässt. Der Erlass von Steueramnestien hat in Italien dabei eine lange Tradition und geht zurück bis in die Tage des Römischen Kaisers Hadrian (76 bis 138 nach Christus). Jede Regierung, die das ändern will, müsste also innenpolitisch erhebliche Widerstände überwinden.

Gefahr für das Finanzsystem

Zudem gibt es eine weitere strukturelle Besonderheit: Der italienische Staat ist hochverschuldet, die privaten Haushalte sind es nicht und erfreuen sich nicht zuletzt durch einen hohen Anteil an Immobilienbesitz eines erheblichen Wohlstands. Es gäbe also für den italienischen Staat durchaus Möglichkeiten, doch dazu bedarf es eines ausgeprägten politischen Willens.

Doch bliebe die jüngste Entwicklung in Italien ohne entschiedene Gegenmaßnahmen, hätte sie hat Zeug dazu, die Stabilität der gesamten Eurozone zu gefährden. Italien ist die drittgrößte Wirtschaft der Eurozone, und ein wichtiger Markt mit rund 60 Millionen Bürgern. Zudem ist die deutsche Industrie wie beispielsweise die Autoindustrie eng mit der italienischen verwoben. Doch wäre eine Krise in Italien auch eine ernsthafte Bedrohung für das europäische Finanzsystem. Gerade deutsche und besonders französische Banken haben in Italien große Investments. Doch in der Folge einer Krise wäre mit einer Verkaufswelle von italienischen Staatspapieren und fallenden Kursen zu rechnen. Nicht nur italienische Banken, sondern auch Finanzinstitute in anderen Euro-Staaten würden in Mitleidenschaft gezogen, da sie Abschreibungen auf ihren Bestand italienischer Anleihen vornehmen müssten. Die Folgen wären für das europäische Finanzsystem kaum absehbar.


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