Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie stabil ist der Euro heute?
Jürgen Stark: Um die innere Stabilität des Euro ist es nicht gut bestellt. Wir erleben gerade im Euroraum einen Inflationsschock, der noch eine Weile anhalten wird. Sorgen bereiten auch die zum Teil sehr hohen öffentlichen Schuldenstände in einigen Euro-Ländern, die jetzt in Zeiten wieder steigender Zinsen zum Tragen kommen.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Und was ist mit der äußeren Stabilität?
Jürgen Stark: Um die steht es wieder besser. Der Euro hatte 2022 im Verhältnis zum Dollar deutlich abgewertet. Inzwischen hat sich die Lage stabilisiert. Doch ist aus meiner Sicht die innere Stabilität einer Währung wichtiger als die äußere, weil die innere die äußere bedingt. Ohne innere Stabilität gibt es auf Dauer keine äußere Stabilität für eine Währung.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Das sehen aber einige Länder und einige Nationalbanken aber ganz anders…
Jürgen Stark: ...und damit sind wir bei einem der entscheidenden Gründe für ein tiefgreifendes Problem. In der Eurozone gibt es Länder mit sehr unterschiedlichen Vorstellungen, welchen Wert geldpolitische Stabilität hat. Und, wenn wir ehrlich sind, dieses Problem haben wir bis heute - 25 Jahre nach Einführung des Euro - nicht gelöst. Oder, um präziser zu sein: Es wurde gelöst – aber nicht in einem stabilitätsorientierten Sinne, sondern mit fortgesetzten Verstößen gegen europäisches Recht.
Unterschiedliche Philosophien
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie ist das zu verstehen?
Jürgen Stark: Hinter unserer Gemeinschaftswährung stehen immer noch unterschiedliche und miteinander nicht zu vereinbarende Philosophien. Ein solche Situation erfordert immer teure politische Kompromisse, nicht nur in Währungsfragen, sondern auch in der Wirtschaftspolitik. Am besten lässt sich der Unterschied zwischen Deutschland und Frankreich darstellen, zumal diese beiden Länder die mit Abstand wichtigsten Länder der Eurozone sind. Seit den 1970er-Jahren musste Frankreich seine Währung ein ums andere Mal gegenüber der D-Mark abwerten. Dies hat natürlich das Prestige Frankreichs berührt. Hinzu kam, dass anders als die Deutsche Bundesbank die französische Zentralbank nicht unabhängig war. Sie war stets ein Instrument des Finanzministeriums oder des Elysee-Palastes. Die Stoßrichtung Frankreichs war bei der Einführung des Euros also eine ganz andere als die der Deutschen. Der Wunsch Frankreichs, dem ständigen Abwertungsdruck zu entgehen und der Dominanz der Bundesbank und der D-Mark in Europa entgegenzuwirken, waren wesentliche Motive. Zwar hat Frankreich auch Souveränitätsrechte abtreten müssen, doch der größte Souveränitätstransfer kam von deutscher Seite, auch wenn die EZB ursprünglich nach dem Muster der Bundesbank geschaffen wurde. Der französische Einfluss auf die EZB ist heute erheblich.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Hat denn der Stabilitätsgedanke bei der Einführung des Euros keine Rolle gespielt?
Jürgen Stark: Aber natürlich! Bei der Planung und der Einführung durchaus. In dem Gründungsvertrag zur Einführung des Euro, dem Maastricht-Vertrag, ist ja das No-Bail-Out-Gebot festgeschrieben. Es ist verboten, ein Land, das sich in selbstverschuldeten Schwierigkeiten befindet, finanziell durch andere Länder herauszupauken. Zur Einführung des Euros haben die beteiligten Finanzminister und Staats- und Regierungschefs zudem eine Erklärung veröffentlicht, dass zwischen den Euro-Ländern keine Transfers nötig sind. All dies ist dann in der Eurokrise verworfen worden. Es wurde klar, dass die Idee, einer immer größer werdenden Konvergenz der Wirtschaften eine schlichte Illusion war.
Die Fehler am Anfang
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Woran lag das?
Jürgen Stark: Zum einen lag es daran, dass Länder schon in der ersten Welle in die Eurozone kamen, die gar nicht die Verschuldungskriterien erfüllten und die weder wirtschaftlich noch politisch für die Währungsunion reif waren. Dann kam später Griechenland hinzu. Zudem haben sich in einem entscheidenden Punkt die Volkswirtschaften in der Eurozone auseinanderentwickelt – nämlich hinsichtlich ihrer Wettbewerbsfähigkeit. Als dann die Eurokrise ausbrach, stand man folglich nur noch vor zwei schlechten Alternativen: das Ausscheiden eines Landes aus dem Euro oder die Stabilitätsverpflichtungen, die wesentlich bei der Gründung der Gemeinschaftswährung waren, über Bord zu werfen. Bekanntlich hat man sich für das Letztere entschieden.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Welche Folgen hat das langfristig für Deutschland?
Jürgen Stark: Nun, man muss einräumen, dass die neugeschaffenen Instrumente, wie der Europäische Stabilisierungsmechanismus, den Euroraum erst einmal stabilisiert hatten. Hinzu kommen die neuen Instrumente der EZB mit dem Ankauf von Staatsanleihen des Eurogebiets mit einem Volumen von über fünf Billionen Euro. Gemeinsam mit der Nullzinspolitik wurden die Märkte beruhigt und Probleme kaschiert, die nun in einem veränderten Umfeld wieder aufbrechen. Nur, das heißt: Der Euro-Währungsraum kann in kritischen Phasen nur noch durch den Einsatz von Instrumenten zusammengehalten werden, die der Maastricht-Vertrag ausdrücklich verbietet. Eine paradoxe Situation. Und das heißt leider auch, dass wir für die kurz- und mittelfristige Stabilisierung einen hohen Preis zahlen: Die finanzpolitische Eigenverantwortung der Mitgliedsländer im Rahmen europäischer Parameter ist zu einem erheblichen Teil aufgehoben und wir sind längst in einer Haftungsunion angekommen. Also alles in Allem das genaue Gegenteil dessen, was bei der Einführung des Euros versprochen wurde.
Die Gefahr
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Gibt es langfristige Gefahren für die Gemeinschaftswährung?
Jürgen Stark: Die zum Teil erhebliche Überschuldung einzelner Länder – und dazu zähle ich Frankreich, das gerade von der Ratingagentur Fitch in seiner Bonität herabgestuft wurde, was ein deutliches Alarmzeichen ist. Denn die EZB ist nun gerade dabei, sich aus den Aufkaufprogrammen zurückzuziehen, was ja vollkommen richtig ist. Damit kommen aber die bisher durch die Aufkäufe zugeschütteten Marktkräfte zum Tragen. Und das führt dazu, dass sich die sogenannten Spreads auseinanderentwickeln, also die Risikoprämien auf Staatspapiere steigen und die Refinanzierung der Staaten immer teurer und schwieriger wird. Zudem kommt auch noch, dass die Zentralbanken der Euro-Mitgliedsländer etwa 25 bis 30 Prozent der Staatschulden ihrer Länder in den Büchern haben. Da tickt eine Bombe.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Inwiefern?
Jürgen Stark:Die Zentralbanken werden wegen steigender Zinsen und geringeren Bewertungen der von ihnen gehaltenen Staatspapieren hohe Verluste ausweisen, die am Ende das Eigenkapital einer Zentralbank angreifen können. Der Finanzminister wird also keine Zentralbankgewinne mehr in den Haushalt einstellen können. Im Fall einer notwendigen Rekapitalisierung der Zentralbank durch den Staat fällt das auf die Bürger zurück. Und dann merkt auch der Letzte, das etwas richtig falsch gelaufen ist.
Zur Person: Jürgen Stark ist wie kaum ein anderer ein Kenner des Euros. Der Ökonom Stark war als Staatssekretär im Bundesfinanzministerium maßgeblich an der Einführung des Euros beteiligt. Stark war dann Vizepräsident der Deutschen Bundesbank und von 2006 bis 2012 Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank (EZB). Von diesem Amt trat er aus Protest gegen die Anleihekäufe der EZB zurück. In einem Schreiben an die Mitarbeiter der EZB begründete Stark seinen Schritt damit, dass sich die EZB mit den Anleihekäufen in einen "Teufelskreis begeben habe, der das Ziel der Geldwertstabilität gefährde.