Raus aus der Defensive: Selenskyj fordert mehr Gegenangriffe
Die Ukraine müsse sich nach Worten ihres Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vom Zustand der reinen Verteidigung im Ukraine-Krieg lösen und selbst entschlossen Gegenangriffe starten. "Dieser Krieg muss beendet werden, wir müssen Druck auf Russland ausüben", erklärte Selenskyj in seiner abendlichen Ansprache. Kremlchef Wladimir Putin verstehe "nichts außer Macht und Druck".
Die ukrainischen Truppen würden das Land weiter schützen. Doch US-Präsident Donald Trump habe völlig recht, dass dies nicht nur in der Defensive geschehen dürfe, so Selenskyj.
Trump zieht Parallele zum Sport
Trump hatte am Donnerstag auf Truth Social geschrieben: "Es ist sehr schwer, wenn nicht unmöglich, einen Krieg zu gewinnen, ohne das Land des Invasors anzugreifen." Außerdem schrieb er: "Es ist wie bei einer großen Sport-Mannschaft, die eine fantastische Abwehr hat, aber nicht offensiv spielen darf. Da gibt es keine Chance zu gewinnen." Sein Vorgänger Joe Biden habe der Ukraine nicht erlaubt, zurückzuschlagen.
Die ukrainischen Streitkräfte führten in den vergangenen Tagen bereits eine Gegenoffensive, mit mehreren Gegenangriffen in der Region Sumy im Nordosten und bei Pokrowsk im Südosten. Bei Pokrowsk habe es erste Erfolge gegeben, meldete Armeechef Olexander Syrskyj auf Telegram. Dort seien sechs Orte zurückerobert worden. Diese Berichte konnten nicht unabhängig bestätigt werden.
Eine große Offensive ukrainischer Kräfte im Sommer 2023 war an den tief gestaffelten russischen Verteidigungslinien gescheitert. Die russische Armee hatte in der erwarteten Stoßrichtung Minenfelder angelegt und diese mit starker Artillerie verteidigt.
Diplomatische Bemühungen nicht aufgeben
Selenskyj betonte zudem, abseits der militärischen Gegenangriffe wolle die Ukraine die diplomatischen Initiativen fortsetzen, um Wege zu Verhandlungen und Frieden zu finden. Unter anderem stehe die Militärführung in Kontakt mit ausländischen Partnern, um an der militärischen Komponente der Sicherheitsgarantien für die Ukraine zu arbeiten.
Im Gespräch ist, dass die europäischen Partner die Ukraine nach einem Friedensschluss mit Truppenpräsenz absichern. Russland jedoch verfolgt andere Pläne. Nach Angaben des russischen Außenministers Sergej Lawrow sollen vielmehr die Veto-Mächte des UN-Sicherheitsrats, darunter auch Russland, den Frieden garantieren. Da Russland einen Einsatz jederzeit verhindern könnte, lehnt Kiew diese Variante ab.
Selenskyj: Russland blockiert Frieden
Die Ukraine wehrt sich seit fast dreieinhalb Jahren gegen die russische Invasion. Nach dem Alaska-Gipfel am Freitag vergangener Woche hatten US-Präsident Trump, Selenskyj und europäische Spitzenpolitiker am Montag über einen Friedensprozess für die Ukraine beraten. Nach Trumps Vorstellungen soll als Nächstes ein Treffen Putins mit Selenskyj stattfinden. Moskau äußerte sich dazu bislang ausweichend.
Selenskyj warf Moskau nun vor, nicht an Frieden interessiert zu sein. "Ehrlich gesagt sind die Signale aus Russland derzeit einfach unanständig", sagte er. "Sie versuchen, sich aus der Notwendigkeit eines Treffens herauszuwinden. Sie wollen diesen Krieg nicht beenden. Sie setzen ihre massiven Angriffe gegen die Ukraine und ihre sehr heftigen Angriffe an der Front fort."
Kallas: Putin verweigert Verhandlungen
Auch die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas beschuldigte Putin, kein Interesse an Verhandlungen zu haben. "Er hat kein Interesse daran, sich an einen Tisch zu setzen. Hier geht es nur um Zeit", sagte Kallas im ZDF-"heute journal". "Es ist klar, dass die Amerikaner, die Ukrainer und die Europäer Frieden möchten. Was wir von der russischen Seite aber gesehen haben, ist, dass sie nur Spiele spielen und dass sie Hindernisse formulieren."
Vor allem die Frage der Sicherheitsgarantien sei entscheidend für dauerhaften Frieden in der Ukraine, so Kallas weiter. "Bei den Sicherheitsgarantien ist es klar, dass diese nicht nur auf dem Papier stehen müssen, sondern sie müssen glaubwürdig und robust sein und tatsächlich funktionieren, und dafür brauchen wir alle Parteien, die diese Sicherheitsgarantien auf den Tisch bringen können."

