Debatte über Kassenbeiträge: Mehr Selbstbeteiligung und Arztgebühr?
Nach Diskussionen um eine Praxisgebühr richtet sich ein neuer Ansatz zur Stabilisierung der Krankenkassen-Finanzen auf eine erhöhte Arzneimittel-Zuzahlung. Der Bielefelder Gesundheitsökonom Wolfgang Greiner schlug in den Zeitungen der Funke Mediengruppe vor, die seiner Ansicht nach zu niedrigen Selbstbeteiligungen der Patientinnen und Patienten an die Inflationsentwicklung der vergangenen Jahre anzupassen. Dies bedeute nach seinen Worten eine Verdoppelung: "Also 10 Euro pro Medikament, maximal 20 Euro."
Auch die Einnahmen durch die Arzneimittel-Zuzahlung würden sich laut Greiner verdoppeln. Aktuell belaufen sie sich auf etwa 2,5 Milliarden Euro. Eine ganze Reihe von Medikamenten wäre dann nicht mehr in der Erstattung, weil deren Preis niedriger läge als die Selbstbeteiligung, erklärte Greiner. Derzeit leisten Versicherte Zuzahlungen in Höhe von zehn Prozent des Preises, mindestens jedoch fünf, höchstens zehn Euro. Die Höhe dieser Zuzahlung ist seit 20 Jahren unverändert.
Medikamente könnten aus Erstattung fallen – Arbeitgeber pochen auf breitere Kostendämpfung
Auch die Diskussion um eine Arztgebühr in Form der Praxisgebühr hält an. Arbeitgeber in Deutschland verlangen neben einer solchen Kontaktgebühr umfassende Reformen in allen Bereichen der Versicherung. "Dann ist endlich Schluss mit dieser Strafsteuer auf Arbeit", erklärte BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter der Deutschen Presse-Agentur in Berlin mit Blick auf die stark gestiegenen Lohnnebenkosten.
"Unsozial sind die ständig steigenden Kassenbeiträge für die Krankenversicherung. Sie sorgen für immer weniger Netto vom Brutto bei Beschäftigten", betonte Kampeter. "Arbeit ist in Deutschland zu teuer. So kommen wir nicht aus der Rezession."
Neue Praxisgebühr: Rückschritt oder Notwendigkeit?
Mit dem Vorstoß für eine Kontaktgebühr bei jedem Arztbesuch, um "Ärzte-Hopping" zu begrenzen und Kassenbeiträge stabil zu halten, hatte Kampeter heftige Kritik ausgelöst. Hausärzte, Patientenschützer und Gewerkschaften stellten sich gegen ihn. Nun verteidigte er den umstrittenen Ansatz als Möglichkeit, die Sozialsysteme effizienter und gerechter zu gestalten. "Sinnvoll wäre auch eine Konzentration der Krankenhauslandschaft, eine bessere Steuerung der Patienten, eine engere Verzahnung von ambulant und stationär – und mehr Wettbewerb im System."
Die Grünen fordern dagegen andere Weichenstellungen. "Eine Kontaktgebühr für Arztbesuche wäre nichts anderes als ein Rückfall in alte Irrwege", warnte Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen. Das Grundproblem des Gesundheitswesens liege nicht primär auf der Einnahmenseite, sondern bei explodierenden Ausgaben für Krankenhausleistungen und Arzneimittel. "Gerade deshalb ist es so sträflich, dass die Union mit Gesundheitsministerin Nina Warken auch nach 100 Tagen keine einzige überfällige Strukturreform auf den Weg gebracht hat", kritisierte Dahmen. "Das ist Gesundheitspolitik der Wirklichkeitsverweigerung."
Kassenbeiträge: Kritik an neuen Vorschlägen wächst
Ates Gürpinar, gesundheitspolitischer Sprecher der Linken, bezeichnete den Plan steigender Arzneimittel-Zuzahlung als "absurde Ablenkungsdebatte". "Wir können die Gesundheitsfinanzierung nur auf stabile Beine stellen, wenn die Regierung ihre ideologischen Vorbehalte aufgibt und endlich grundlegende Reformen einleitet." Eine einheitliche Krankenkasse ohne Beitragsbemessungsgrenze könne Probleme tatsächlich lösen.
Auch der Sozialverband SoVD äußerte sich ablehnend. In Zeiten, in denen immer mehr Menschen am Monatsende kaum Geld übrig haben, seien "derartige Debattenbeiträge mehr als unglücklich", erklärte Vorstandschefin Michaela Engelmeier. Angesichts steigender Lebenshaltungskosten sollten Bürgerinnen und Bürger nicht zusätzlich belastet werden. "Besonders unsolidarisch wäre zudem eine Verdopplung der Zuzahlung für chronisch Kranke."
Steuerzuschüsse für Krankenkassen? Länder machen Druck auf Berlin
Experte Greiner fordert angesichts der wachsenden Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben bei den Kassen Milliardenbeträge des Bundes aus Steuermitteln – als Zuschuss und nicht als Darlehen. Ein Darlehen verschiebe das Problem lediglich. Warken will sich in den Haushaltsverhandlungen für Zuschüsse starkmachen. Der Bundesrechnungshof warnte zuletzt: Nach Rekordausgaben der Krankenkassen 2024 werden Kassenbeiträge auch künftig nicht ausreichen. Die Folge: steigende Zusatzbeiträge. Nach einem Szenario der Finanzkontrolleure könnten diese ab 2025 von durchschnittlich 2,9 Prozent bis 2029 auf 4,05 Prozent klettern.
"Der jüngste Bericht des Rechnungshofs muss in Berlin der endgültige Weckruf sein", forderte die Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz, Thüringens Ressortchefin Katharina Schenk (SPD). "Die gesetzliche Krankenversicherung muss jetzt dringend grundlegend reformiert und als solidarisches System weiterentwickelt werden."