Nach monatelangem Ringen hat sich die Bundesregierung auf einen verbilligten Industriestrompreis verständigt. Die Preisdämpfung soll für fünf Jahre gelten und auch dem Mittelstand zu Gute kommen, teilte die Regierung am Donnerstag mit. Allein im nächsten Jahr gebe es Entlastungen von bis zu zwölf Milliarden Euro. Unter anderem soll die Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß für die Wirtschaft reduziert werden. 350 besonders energieintensive Betriebe sollen zusätzlich nochmals entlastet werden.
Finanzminister Christian Lindner (FDP) hatte sich lange mit Blick auf die Verschuldung gewehrt, erklärte aber jetzt: "Alle Maßnahmen sind im Rahmen der Schuldenbremse finanziert." Aus der Wirtschaft kam überwiegend Lob für das Paket. An der Börse legten die Aktien etwa von Chemie-Unternehmen wie BASF zu.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach von einer sehr guten Nachricht für den Wirtschaftsstandort Deutschland: "Wir senken die Stromsteuer radikal, stabilisieren die Netzentgelte und setzen die Strompreiskompensation fort, damit die Unternehmen mit den aktuellen Strompreisen besser zurechtkommen können." Unternehmen hätten jetzt auf absehbare Zeit Planungssicherheit.
Scholz selbst hatte sich lange skeptisch zu Habecks Vorstoß geäußert. Habeck wollte mit Steuergeld für Industriebranchen wie Chemie oder Stahl den Kilowattpreis bis 2030 subventionieren und ihn so auf sechs Cent senken. In einer internen Mitteilung der Regierung hatte er zunächst erklärt, dass die sechs Cent 2025 auch auf diesem Weg erreicht würden. In der offiziellen Mitteilung wurde dieser Passus gestrichen.
KEINE DIREKTE SUBVENTION DES STROMPREISES
Die großen Stromverbraucher in Deutschland klagen seit den gestiegenen Energiepreisen infolge des Ukraine-Kriegs über massive Nachteile im internationalen Wettbewerb etwa mit den USA. Im Mittelstand und auch bei Maschinenbauern hatte eine Subvention für wenige Branchen jedoch Bedenken ausgelöst, da der Wettbewerb so verzerrt werden könnte. Nun kommen die Steuerentlastungen auch dem produzierenden Gewerbe, also auch kleineren Unternehmen, zu Gute.
Eine direkte Subvention des Strompreises soll es nun ebenfalls nicht mehr geben, dafür wird an verschiedenen Stellschrauben gedreht: Die Stromsteuer-Entlastungen kosten den Bundeshaushalt laut Regierungsvertretern so etwa 2,75 Milliarden Euro. Zudem werden die Netzentgelte für die Stromautobahnen mit staatlicher Hilfe gesenkt, worauf sich die Regierung allerdings schon verständigt hatte. Geplant ist aber ferner, die Strompreiskompensation für etwa 350 Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, dauerhaft zu verlängern und auszuweiten. Dies sind Unternehmen, bei denen wegen ihrer stromintensiven Produktionsprozesse ein erhebliches Risiko ihrer Verlagerung und damit auch von Treibhausgas-Emissionen ins Ausland besteht. Weiterhin gilt, dass die frühere Umlage für die Förderung der Erneuerbaren Energien im Strompreis entfällt. Die bisherigen Strompreisbremsen für Verbraucher und Industrie wurden zwar verlängert, gelten aber nur noch bis April.
DIHK LOBT AUSDEHNUNG DER HILFEN AUF MITTELSTAND
In der Wirtschaft wurde das Vorhaben meist wohlwollend aufgenommen: "Die Absenkung der Stromsteuer für das produzierende Gewerbe ist eine überfällige Entscheidung", sagte der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Peter Adrian. "Schließlich muss Strom günstig sein, damit gerade auch mittelständische Industriebetriebe ihren Pfad zur Klimaneutralität gehen können." Gleichzeitig würden energieintensivere Unternehmen von erheblicher Bürokratie entlastet. Zusammen sei dies ein wichtiges Signal für die extrem stromintensiven Branchen. Marie-Christine Ostermann von Verband der Familienunternehmen lobte: "Die Absenkung der Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß und deren Ausweitung auf alle produzierenden Unternehmen ist ein Booster für den Standort Deutschland." Es gebe beim Thema Bürokratie und Planungsverfahren aber noch viel zu tun.
Das Handwerk zeigte sich dagegen enttäuscht, man sei erneut durchs Raster gefallen. "Eine Entlastung ist aber für alle energieintensiven Betriebe dringend notwendig, um eine drohende Existenzgefährdung abzuwenden", sagte Handwerkspräsident Jörg Dittrich.
Der Unions-Wirtschaftsexperte Jens Spahn zeigte sich enttäuscht: "Leider ist das mal wieder viel zu wenig, viel zu spät." Habeck sei mit seinem ursprünglichen Plan krachend gescheitert. "Die Bundesregierung kommt in kleinsten Trippelschritten in der Realität an. Die Wirtschaft ist in einer tiefen Krise, die Strompreise werden noch viele Jahre sehr hoch bleiben." Auch Ökonomen sehen die Maßnahme in ersten Reaktionen durchaus auch kritisch:
JÖRG KRÄMER, COMMERZBANK-CHEFVOLKSWIRT:
"Es ist gut, dass der Staat die Stromsteuer für alle Unternehmen des produzierenden Gewerbes soweit wie möglich senkt. Auf Dauer sind die Strompreise für alle Unternehmen aber nur wettbewerbsfähig, wenn hierzulande mehr Strom produziert wird. Dazu muss der Ausbau der erneuerbaren Energie viel schneller vorangehen. Außerdem braucht es für Dunkelflauten eine zuverlässige Grundlast, die durch das Abschalten der Kernkraftwerke jedoch geschwächt wurde. Das Energieproblem der deutschen Wirtschaft ist noch lange nicht gelöst, die Unternehmen sind zu Recht beunruhigt."
VERONIKA GRIMM, WIRTSCHAFTSWEISE:
"Die Reduktion der Stromsteuer auf das europäische Minimum von 0,05 Cent je Kilowattstunde fordert der Sachverständigenrat schon lange. Es ist gut, dass die Bundesregierung diesen Weg nun endlich geht. Auch die Haushalte sollten einbezogen werden, denn die Energiewende geht umso schneller voran, je attraktiver die Elektrifizierung ist. Die Entlastungen der energieintensiven Industrie zu verlängern und noch zu erhöhen schafft für die Unternehmen sicherlich Erleichterung in einer angespannten Lage.
Aber es ist wichtig, zugleich den notwendigen Strukturwandel in den Blick zu nehmen. Am Strom-Großhandel ist ein Preis von fünf ct/kWh oder darunter schlicht nicht in Sicht. Auch 2030 werden es noch 8-10 ct/kWh sein - und das vor Netzumlagen und weiteren Abgaben. Es muss daher Priorität haben, die Substitution von energieintensiven Vorprodukten, etwa klimaneutralem Wasserstoff, Ammoniak oder Methanol, durch Importe gemeinsam mit der Industrie auf den Weg zu bringen. Darauf sollte die Bundesregierung ihren Fokus legen, denn nur so können die darauf aufbauenden Wertschöpfungsketten auf Dauer erhalten werden. Für die Dämpfung der Strompreise wird die aus diesen Maßnahmen resultierende Reduktion der Nachfrage entscheidend sein."
CARSTEN BRZESKI, ING-CHEFVOLKSWIRT:
"Die Entscheidung der Regierung ist endlich mal ein gutes und starkes Zeichen. Fünf Jahre geben Planungssicherheit und verhindern die weitere Erosion des Standorts Deutschland. Wie stark der Einfluss kurzfristig ist, kann man schwer sagen. Das ist das Problem mit strukturellen Problemen und deren Lösung. Sie legen sich erst wie Mehltau auf die Wirtschaft und lösen sich auch nur langsam wieder auf. Für den mittelfristigen Ausblick hilft das aber enorm. Ich bin seit langer Zeit mal wieder begeistert."
JENS SÜDEKUM, PROFESSOR INTERNATIONAL ECONOMICS, HEINRICH-HEINE-UNIVERSITÄT DÜSSELDORF:
"Es ist fraglich, ob diese Steuersenkung große Auswirkungen haben wird. Mit der Senkung der Stromsteuer wird die Kilowattstunde Strom für die Unternehmen rund 1,5 Cent billiger. Das ist viel weniger als beim Wegfall der EEG-Umlage im Jahr 2022, wo es um mehr als sechs Cent ging. Die Unternehmen wurden also schon erheblich von Steuern und Umlagen entlastet und es ist offen, ob die erneute Stromsteuersenkung so viel zusätzlich bringen wird.
Für die energieintensive Industrie bietet das Paket bloß eine geringe Entlastung. Sie waren im Rahmen des Spitzenausgleichs ohnehin von der Stromsteuer befreit. Das wird nun verstetigt und die generelle Steuersenkung reduziert den bürokratischen Aufwand. Aber diese Unternehmen, die am stärksten unter dem Energiepreisschock in Folge des russischen Angriffskrieges leiden, hätten spürbarer entlastet werden müssen.
Insgesamt ist das Paket also eine teure Gießkannenförderung für alle, die kaum spürbare Effekte haben dürfte. Der Brückenstrompreis wäre gezielter, effektiver und am Ende für den Bund auch günstiger gewesen." (Reuters)