Weltwirtschaft

Preisexplosion: Wird Orangensaft bald zum Luxusgut?

Lesezeit: 5 min
16.11.2023 09:39  Aktualisiert: 16.11.2023 09:39
Der bei Deutschen allseits beliebte Orangensaft wird immer teurer. Die zugrunde liegende Zitrusfrucht ist ein knappes Gut geworden. Erfahren Sie die Hintergründe und außerdem, wie O-Saft überhaupt an der Börse gehandelt werden kann.

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Orangensaft wird immer teurer. Das merken wir alle beim Einkaufen. Laut Statistischem Bundesamt kostete ein Liter Orangensaft zur Jahreshälfte im Durchschnitt 1,80 Euro, wobei die überdurchschnittlich hohe Lebensmittel-Inflation hier eine gewichtige Rolle spielt. Vergangenes Jahr um diese Zeit waren es nur 1,30 Euro. Unterdessen sind die internationalen Terminkontrakte auf ein neues Allzeithoch gestiegen, notierten zwischenzeitlich über 400 Dollar je Pfund (0,4536 Liter).

Die Branche leide unter schlechten Ernten in zahlreichen Regionen und sinkenden Vorräten an Orangensaftkonzentrat im wichtigsten Exportland Brasilien, sagte Klaus Heitlinger, Geschäftsführer des Verbandes der deutschen Fruchtsaft-Industrie (VdF), gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. „Wir befinden uns in der schwierigsten Situation seit mehr als 50 Jahren.“

Der Markt steckt in einem deutlichen Angebotsdefizit. Analysten machen dafür in erster Linie das dramatisch rückläufige Angebot in den USA verantwortlich, wo eine Reihe von Wirbelstürmen und die Ausbreitung einer Pflanzen-Krankheit (genannt „Citrus Greening“ beziehungsweise „Gelbe Drachenkrankheit“) Tausende von Hektar an Zitrusfrucht-Plantagen verwüstet haben. „Citrus Greening“ ist ein bakterielles Pflanzenleiden, das durch saftsaugende Psyllideninsekten verbreitet wird und die Früchte von infizierten Bäumen grün, unförmig und bitter schmeckend macht.

Die Gesamterzeugung von Orangensaft in den USA ist auf dem niedrigsten Stand seit „über 100 Jahren“, so Matthew Joyner, Geschäftsführer vom Handelsverband Florida Citrus Mutual, welcher fast 2.000 Produzenten vertritt, im Gespräch mit der Financial Times. „Vor etwas mehr als 20 Jahren produzierten wir 240 Millionen Kisten, jetzt beenden wir die Saison mit knapp 18 Millionen.“

Mehr als 90 Prozent des US-Outputs stammen aus dem Bundesstaat Florida, der zu Beginn der Ernte im vergangenen September von einem besonders zerstörerischen Hurrikan und drei Monate später von einem Kälteeinbruch heimgesucht wurde. Schon 2022 sank die Produktion um 31 Prozent zum Vorjahr, dieses Jahr wird sie sich nochmal fast halbieren.

„Citrus Greening“ ruiniert Orangen-Ernte

Viele Orangenhaine in Florida sind mittlerweile verschwunden. Das liegt einerseits an den Folgen der Wetterereignisse und der grünen Krankheit und andererseits daran, dass die Obstbauern ihr Land für mehr Geld verkaufen können, als sie perspektivisch mit dem Anbau von Orangen erzielen würden.

Schätzungen des US-Landwirtschaftsministeriums (USDA) zufolge dürfte die weltweite Erzeugung von Orangensaft dieses Jahr um acht Prozent sinken. Die Produktion konzentriert sich in Süd- und Mittelamerika. Brasilien ist mit knapp 75 Prozent Anteil bei Orangensaft und 30 Prozent bei Orangen mit weitem Abstand Weltmarktführer. Dahinter folgen Mexiko (Anteil 11 Prozent) und die Vereinigten Staaten (nach zwei desolaten Erntesaisons nur noch 5 Prozent). In Brasilien sind kaum noch Lagerbestände vorhanden, nachdem diese im letzten Jahrzehnt um 60 Prozent abgenommen haben.

Nachgefragt wird das als äußerst gesund geltende Getränk überwiegend in Europa und Nordamerika. Durch den Einbruch der Orangen-Erzeugung sind nun auch die Vereinigten Staaten zum Großimporteur avanciert. Geographisch folgerichtig kommt jetzt der meiste Orangensaft in den US-Supermärkten aus Brasilien, das 99 Prozent seiner Produktion exportiert.

Der Output Brasiliens ist zwar im Vergleich zum Vorjahr leicht erhöht, aber das reicht nicht, um den massiven Rückgang in den USA zu kompensieren und die gesamte Nachfrage auf dem Globus zu decken. Mexikos Obstbauern kämpfen schon länger mit der grünen Krankheit, die 1929 in Südchina erstmals entdeckt wurde, aber erst 2005 in den USA zur Plage wurde. Inzwischen breitet es sich auch in Brasilien aus. Etliche brasilianische Obstbauern sind in den vergangenen Jahren auf sogenannte „Cash Crops“ wie Zuckerrohr und Soja umgestiegen. Deren Anbau verspricht schnelle Gewinne, während Zitrusbäume Jahre brauchen, bis daraus Einnahmen generiert werden.

Das Endergebnis ist eine sich seit fast drei Jahren zunehmend verschärfende Knappheit. Allein im bisherigen Jahresverlauf hat sich Orangensaft an den Finanzmärkten um 90 Prozent verteuert. „Es ist nicht der flüssigste und liquideste Markt der Welt, aber er bewegt sich, wenn er will“, meint Jack Scoville, Makler bei der Price Futures Group, gegenüber der Financial Times. „Es war eine sehr beeindruckende Rallye. In der Vergangenheit sind die Preise gestiegen, und die Menschen haben mehr Pillen und Vitaminpräparate geschluckt, die mit dem Saft konkurrieren, aber das ist in diesem Jahr nicht passiert.“

Es herrscht ein akuter Engpass. Wie stark dieser ist, erkennt man an der Terminkurve, die sich einem Zustand der „Backwardation“ befindet. Je weiter der Lieferzeitpunkt von Orangensaft-Konzentrat in der Zukunft liegt, umso billiger ist im Moment der entsprechende Terminpreis. Zugleich zeigt die Terminkurve, dass Spekulanten und Brancheninsider davon ausgehen, dass sich die Knappheit mittelfristig entspannen wird.

Wie man in Orangensaft investieren kann

Der Orangenbaum ist ein halbtropischer Baum. Zu den drei wichtigsten Orangensorten gehören die süße Orange, die saure Orange und die Mandarine. In den Vereinigten Staaten werden nur süße Sorten kommerziell angebaut. Dazu gehören etwa Hamlin, Jaffa und Blutorangen. Saure Orangen werden hauptsächlich für Marmelade und Liköre verwendet. Orangensaft ist der am meisten getrunkene Saft der Welt und beansprucht grob 50 Prozent des globalen Konsums von Fruchsäften. Jeder Deutsche trinkt im Durchschnitt 28 Liter pro Jahr.

An der Börse wird es als gefrorenes Konzentrat (Frozen Concentrated Orange Juice, kurz „FCOJ“) gehandelt – eine US-amerikanische Entwicklung aus der frühen Nachkriegszeit. Die in an der Warenterminbörse „Intercontinetal Exchange“ gehandelten Futures-Kontrakte sind maßgeblich für die Preise im Einzelhandel. Seit seiner Einführung im Jahr 1966 ermöglicht der FCOJ-Kontrakt den Produzenten, sich gegen Preisschwankungen abzusichern, und Spekulanten auf steigende oder fallende Preise zu wetten. Die Minneapolis Grain Exchange führte 2012 ein Äquivalent für Apfelsaft ein, aber es fand nie das Interesse der Händler und wurde sechs Jahre später eingestellt.

Privatanlegern ist eher davon abzuraten, am Terminmarkt für Orangensaft mitzumischen. Der Markt ist nicht sonderlich liquide, was regelmäßig zu starken und plötzlichen preislichen Schwankungen in beide Richtungen führt. Der inhärente Kredit-Hebel am Futures-Markt kann dann zur Folge haben, dass die Position in kurzer Zeit unter Wasser steht. Ein börsengehandelter ETC würde zwar auch nur Terminkontrakte im Namen der Anleger erwerben, aber zumindest müsste man die Futures dann nicht selbst kaufen und könnte maximal 100 Prozent des Einsatzes verlieren. Allerdings scheint es nach meinen Recherchen derzeit keinen einzigen Orangensaft-ETC zu geben.

Als einzige Möglichkeit bleiben Zertifikate, wo der Aussteller – meistens eine Großbank – die Partizipation am Terminpreis(index) offeriert, auch hier ist mitunter ein Hebel inklusive. Es ist jedoch fraglich, ob es sich überhaupt lohnt, einen derartig kleinen Nischenmarkt zu bespielen. Mehr Sinn macht ein Rohstoff-ETF, mit dem man diversifiziert in einen ganzen Korb von zum Beispiel Agrar-Erzeugnissen investiert. Wem das nicht reicht, der kann sich im Zweifelsfall im eigenen Garten als Obstbauer betätigen. Citrusfrüchte gedeihen auch in Deutschland.

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Jakob Schmidt ist studierter Volkswirt und schreibt vor allem über Wirtschaft, Finanzen, Geldanlage und Edelmetalle.

Jede Anlage am Kapitalmarkt ist mit Chancen und Risiken behaftet. Der Wert der genannten Aktien, ETFs, Investmentfonds, Zertifikaten oder Rohstoffen unterliegt auf dem Markt Schwankungen. Der Kurs der Anlagen kann steigen oder fallen. Im äußersten Fall kann es zu einem vollständigen Verlust des angelegten Betrages kommen. Mehr Informationen finden Sie in den jeweiligen Unterlagen und insbesondere in den Prospekten der Kapitalverwaltungsgesellschaften.


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