Finanzen

Berliner Finanzamt bekämpft Steuerkriminalität im Internet-Handel

Das Finanzamt in Berlin-Neukölln ist ab sofort für sämtliche ausländische Unternehmen zuständig, die keinen Firmensitz hier haben. Es geht darum, der gängigen Steuerhinterziehung vor allem chinesischer Onlinehändler Herr zu werden.
07.12.2023 10:35
Aktualisiert: 07.12.2023 10:35
Lesezeit: 2 min
Berliner Finanzamt bekämpft Steuerkriminalität im Internet-Handel
Neuköllns Bürgermeister Martin Hikel (l.) und Finanzsenator Stefan Evers bei der Eröffnung des neuen Finanzamts "Berlin International". (Foto.dpa) Foto: Christophe Gateau

Die durchs Kino berühmt gewordene Sonnenallee südlich entlang durch Klein-Istanbul und Neu-Aleppo, dann östlich hinein in die Thiemannstraße. Inmitten des Berliner Problembezirks Neukölln befindet sich Berlins in Zukunft wichtigstes Finanzamt. Es soll als Zentraleinrichtung für ganz Deutschland der ausländischen Steuerkriminalität Einhalt gebieten. Ein Schelm, wer sich wundert, dass die Speerspitze beim Kampf gegen Steuerschlupflöcher ausgerechnet hier im Multikulti-Kiez von Berlin sitzen wird.

Händler aus Fernost brauchen deutsche Steuernummer

Schon vor fünf Jahren hatte eine Gesetzesänderung für 2019 einen regelrechten Run asiatischer Händler und Exporteure zum Finanzamt Neukölln ausgelöst. Fast 6000 Gewerbetreibende aus über 100 Ländern, zumeist aus China, Hongkong, Macau und auch Taiwan benötigten im November 2018 urplötzlich eine amtliche deutsche Steuernummer, um weiter gewinnbringende Geschäfte mit den Endverbrauchern in Deutschland zu machen.

„Das war eine Verzwanzigfachung“, wunderte sich der damalige Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) noch. Nicht gerade überraschend für Kunden von Amazon oder Alibaba, die gut wussten, dass die vielen kleine Dinge aus dem Internet zumeist unter dem Radar von Zoll und Finanzamt in deutschen Stuben anlandeten. Und das dies praktisch eine hinterzogene Umsatzsteuer bedeutete, jedoch lange Zeit von den Ämtern geduldet wurde. Bis plötzlich vor allem der amerikanische Handels-Konzern Amazon und andere Internet-Plattformen Befürchtungen hegten, für die vielen obskuren Online-Händler aus Fernost haftbar gemacht zu werden.

Thomas Eigenthaler, Ehrenvorsitzender der Deutschen Steuergewerkschaft, sprach die unbequeme Wahrheit frank und frei aus: „Da wurde jahrelang massenhaft von chinesischen Händlern Steuern in Deutschland hinterzogen.“ Die Aufarbeitung durch Steuerfahnder hat die Finanzbeamten in Atem gehalten, immer die drohende Verjährung von Steuerstraftaten im Nacken. 150 Mitarbeiter bemühten sich, Verdachtsfälle zu überprüfen.

Diese Phase hat nun ihren Abschluss gefunden. Die Bundesländer haben sich darauf verständigt, dass Berlin nach dem Run bestens eingearbeitet als „Finanzamt Berlin International“ dienen soll. Ganz ähnlich dem Standesamt I in Berlin, dass in Personenstands-Register-Fragen für sämtliche Auslandsdeutsche verantwortlich ist, egal von woher sie stammen. Das Finanzamt Neukölln wird nun gleichfalls aufgewertet, weil es künftig für alle ausländische Unternehmen zuständig sein wird, die in Deutschland Handel betreiben und von daher umsatzsteuerpflichtig sind - selbst wenn Online-Händler gar keinen Sitz in Deutschland oder der EU haben. In 2024 soll die neue Behörde auf 250 Mitarbeiter aufgestockt werden, so die Mitteilung anlässlich der Eröffnung vor wenigen Tagen.

Finanzamt wird auf 250 Steuerfahnder aufgestockt

Die Beamten an der Thiemannstraße werden ordentlich zu tun bekommen. Zum Stichdatum im Jahr 2019 waren dort nach Angaben der Senatsverwaltung für Finanzen rund 10,000 Firmen registriert, inzwischen seien es gut 115,000, die meisten aus dem asiatischen Raum mit daraus resultierenden Problemen.

Berlins neuer Finanzsenator Stefan Evers von der CDU weiß: „Keiner soll sich der Steuerpflicht entziehen, auch nicht im Ausland ansässige Firmen." Es gehe jedoch „um wirklich komplizierte, aufwändige Steuervorgänge“. Er setze deshalb speziell geschultes Personal in einer Art „Kompetenzpool“ ein, um die Schlupflöcher im internationalen Warenhandel zu schließen. Selbst jetzt würden jede Woche weitere 600 Neuanträge zur Steuer-Registrierung eingehen.

„Mehr Steuergerechtigkeit, mehr Einnahmen für unser Gemeinwesen, weniger Steuerkriminalität: Es zahlt sich aus, wenn wir Internet-Marktplätze in die Pflicht nehmen, auf ihren Plattformen für Steuerehrlichkeit zu sorgen“, hatten es sich die Finanzminister der Länder Baden-Württemberg und Hessen in gemeinsamer Erklärung vor fünf Jahren gewünscht. Es hat gedauert, aber nun kann es losgehen am Brennpunkt Neukölln, in dem 50 Prozent aller 320,000 Bewohner selbst einen Migrations-Hintergrund haben.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
avtor1
Peter Schubert

Peter Schubert ist stellv. Chefredakteur und schreibt seit November 2023 bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Immobilienthemen. Er hat in Berlin Publizistik, Amerikanistik und Rechtswissenschaften an der Freien Universität studiert, war lange Jahre im Axel-Springer-Verlag bei „Berliner Morgenpost“, „Die Welt“, „Welt am Sonntag“ sowie „Welt Kompakt“ tätig. 

Als Autor mit dem Konrad-Adenauer-Journalistenpreis ausgezeichnet und von der Bundes-Architektenkammer für seine Berichterstattung über den Hauptstadtbau prämiert, ist er als Mitbegründer des Netzwerks Recherche und der Gesellschaft Hackesche Höfe (und Herausgeber von Architekturbüchern) hervorgetreten. In den zurückliegenden Jahren berichtete er als USA-Korrespondent aus Los Angeles in Kalifornien und war in der Schweiz als Projektentwickler tätig.

DWN
Politik
Politik Russlands Desinformationskampagnen: Wie Europa gegen Putins Trolle kämpft
06.12.2025

Europe wird zunehmend Ziel digitaler Einflussoperationen, die gesellschaftliche Stabilität, politische Prozesse und wirtschaftliche...

DWN
Immobilien
Immobilien Baufinanzierung Zinsen: Entwicklung des Bauzinses 2025 - und wie es 2026 weitergeht
06.12.2025

Nachdem die Zinsen – darunter der Bauzins – in Deutschland seit 2019 eine gewisse Schieflage erreicht haben, scheint nun Ruhe...

DWN
Finanzen
Finanzen Marktausblick 2026: Internationale Aktien und Small-Cap-Aktien sind am besten positioniert
06.12.2025

KI treibt Teile der Weltwirtschaft nach vorn, während andere Branchen stolpern. Gleichzeitig locken Staaten mit neuen Ausgabenprogrammen...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Schiene unter Druck: Expertenrunde soll Bahnverkehr stabilisieren
06.12.2025

Wegen anhaltender Probleme im Zugverkehr arbeitet eine neue Taskforce an kurzfristigen Lösungen für mehr Pünktlichkeit und Stabilität...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Europas Automobilindustrie erholt sich: Nachfrage kehrt zurück
06.12.2025

Die europäischen Neuzulassungen ziehen spürbar an und signalisieren eine langsame, aber stabile Erholung der Automobilindustrie. Doch...

DWN
Technologie
Technologie Bidirektionales Laden in Schweden: E-Autos und Solaranlagen bieten neue Energie für Haushalte
06.12.2025

In Schweden entwickelt sich eine neue Form der dezentralen Energieversorgung, bei der Haushalte Strom selbst erzeugen und intelligent...

DWN
Politik
Politik Benelux-Einigung: Wie ein radikaler Zusammenschluss Europa herausfordern würde
06.12.2025

Mitten in einer Phase wachsender geopolitischer Spannungen nehmen belgische Politiker eine Vision wieder auf, die lange undenkbar schien...

DWN
Politik
Politik Trumps US-Sicherheitsstrategie und die Folgen für Europa
05.12.2025

Donald Trumps neue US-Sicherheitsstrategie rückt Europa ins Zentrum – allerdings als Risiko. Das 33-seitige Papier attackiert...