Die durchs Kino berühmt gewordene Sonnenallee südlich entlang durch Klein-Istanbul und Neu-Aleppo, dann östlich hinein in die Thiemannstraße. Inmitten des Berliner Problembezirks Neukölln befindet sich Berlins in Zukunft wichtigstes Finanzamt. Es soll als Zentraleinrichtung für ganz Deutschland der ausländischen Steuerkriminalität Einhalt gebieten. Ein Schelm, wer sich wundert, dass die Speerspitze beim Kampf gegen Steuerschlupflöcher ausgerechnet hier im Multikulti-Kiez von Berlin sitzen wird.
Händler aus Fernost brauchen deutsche Steuernummer
Schon vor fünf Jahren hatte eine Gesetzesänderung für 2019 einen regelrechten Run asiatischer Händler und Exporteure zum Finanzamt Neukölln ausgelöst. Fast 6000 Gewerbetreibende aus über 100 Ländern, zumeist aus China, Hongkong, Macau und auch Taiwan benötigten im November 2018 urplötzlich eine amtliche deutsche Steuernummer, um weiter gewinnbringende Geschäfte mit den Endverbrauchern in Deutschland zu machen.
„Das war eine Verzwanzigfachung“, wunderte sich der damalige Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) noch. Nicht gerade überraschend für Kunden von Amazon oder Alibaba, die gut wussten, dass die vielen kleine Dinge aus dem Internet zumeist unter dem Radar von Zoll und Finanzamt in deutschen Stuben anlandeten. Und das dies praktisch eine hinterzogene Umsatzsteuer bedeutete, jedoch lange Zeit von den Ämtern geduldet wurde. Bis plötzlich vor allem der amerikanische Handels-Konzern Amazon und andere Internet-Plattformen Befürchtungen hegten, für die vielen obskuren Online-Händler aus Fernost haftbar gemacht zu werden.
Thomas Eigenthaler, Ehrenvorsitzender der Deutschen Steuergewerkschaft, sprach die unbequeme Wahrheit frank und frei aus: „Da wurde jahrelang massenhaft von chinesischen Händlern Steuern in Deutschland hinterzogen.“ Die Aufarbeitung durch Steuerfahnder hat die Finanzbeamten in Atem gehalten, immer die drohende Verjährung von Steuerstraftaten im Nacken. 150 Mitarbeiter bemühten sich, Verdachtsfälle zu überprüfen.
Diese Phase hat nun ihren Abschluss gefunden. Die Bundesländer haben sich darauf verständigt, dass Berlin nach dem Run bestens eingearbeitet als „Finanzamt Berlin International“ dienen soll. Ganz ähnlich dem Standesamt I in Berlin, dass in Personenstands-Register-Fragen für sämtliche Auslandsdeutsche verantwortlich ist, egal von woher sie stammen. Das Finanzamt Neukölln wird nun gleichfalls aufgewertet, weil es künftig für alle ausländische Unternehmen zuständig sein wird, die in Deutschland Handel betreiben und von daher umsatzsteuerpflichtig sind - selbst wenn Online-Händler gar keinen Sitz in Deutschland oder der EU haben. In 2024 soll die neue Behörde auf 250 Mitarbeiter aufgestockt werden, so die Mitteilung anlässlich der Eröffnung vor wenigen Tagen.
Finanzamt wird auf 250 Steuerfahnder aufgestockt
Die Beamten an der Thiemannstraße werden ordentlich zu tun bekommen. Zum Stichdatum im Jahr 2019 waren dort nach Angaben der Senatsverwaltung für Finanzen rund 10,000 Firmen registriert, inzwischen seien es gut 115,000, die meisten aus dem asiatischen Raum mit daraus resultierenden Problemen.
Berlins neuer Finanzsenator Stefan Evers von der CDU weiß: „Keiner soll sich der Steuerpflicht entziehen, auch nicht im Ausland ansässige Firmen." Es gehe jedoch „um wirklich komplizierte, aufwändige Steuervorgänge“. Er setze deshalb speziell geschultes Personal in einer Art „Kompetenzpool“ ein, um die Schlupflöcher im internationalen Warenhandel zu schließen. Selbst jetzt würden jede Woche weitere 600 Neuanträge zur Steuer-Registrierung eingehen.
„Mehr Steuergerechtigkeit, mehr Einnahmen für unser Gemeinwesen, weniger Steuerkriminalität: Es zahlt sich aus, wenn wir Internet-Marktplätze in die Pflicht nehmen, auf ihren Plattformen für Steuerehrlichkeit zu sorgen“, hatten es sich die Finanzminister der Länder Baden-Württemberg und Hessen in gemeinsamer Erklärung vor fünf Jahren gewünscht. Es hat gedauert, aber nun kann es losgehen am Brennpunkt Neukölln, in dem 50 Prozent aller 320,000 Bewohner selbst einen Migrations-Hintergrund haben.