Peter Müller (Name geändert) ist finanziell gut aufgestellt. Der 64-Jährige steht kurz vor der Rente und hat nach 48 Berufsjahren genügend Ansprüche erworben, um im Alter von der gesetzlichen Rente zu leben. Die Kinder sind bereits ausgezogen und berufstätig. Schulden hat Müller nicht.
Er wohnt in einer eigenen Immobilie und hat etwa 10 Prozent seines Vermögens in Gold angelegt. Der Rest steckt in verzinsten Bankeinlagen. Vor Kurzem hat Müller ein einen Festgeldvertrag über ein Jahr abgeschlossen. Er bekommt knapp 3 Prozent Zinsen. Aktien besitzt er hingegen nicht.
Wie Müller meiden die meisten Deutschen Aktien und setzt auf Bankeinlagen. Laut einer repräsentativen Umfrage im Auftrag der Openbank lassen 39 Prozent ihr Geld ausschließlich auf dem Girokonto liegen. Befragt wurden Bürger ab 18 Jahren im Juni 2023, als die Inflation bei 6,1 Prozent lag.
27 Prozent der Befragten nutzten Tagesgeld. Danach kamen ETFs und Fonds (21 Prozent), Einzelaktien (15 Prozent) sowie Bausparen und Festgeld (12 Prozent).
Aktienskepsis unbegründet
Experten halten die Aktienskepsis für einen großen Fehler. Etwa erklärte der Finanzökonom Hartmut Walz gegenüber DWN, Aktien seien die „seit vielen Jahren nachgewiesenermaßen rentabelste Anlageklasse“.
Der Professor der Hochschule Ludwigshafen rät zu einer ordentlichen Aktienquote. „Bei jungen Investoren mit langem Horizont dürfte diese – abgesehen von einer Liquiditätsreserve – bei dicht unter 100 Prozent liegen.“ Bei Älteren seien die individuellen Umstände entscheidend, etwa der Liquiditätsbedarf aufgrund einer Rentenlücke.
Auch Raimond Maurer, Professor der Frankfurter Goethe-Universität, rät zu Aktien. „Für den langfristigen Vermögensaufbau sollten Aktien das höchste Gewicht haben“, erklärte er schriftlich auf DWN-Anfrage.
Laut dem Global Investment Returns Yearbook rentierten Aktien historisch mit 5,0 Prozent pro Jahr nach Abzug der Inflation. Anleihen brachten hingegen bloß 1,7 Prozent pro Jahr ein. Schatzwechsel, also sehr kurzfristige Staatsanleihen, die wie ein Bankkonto rentieren dürften, lagen bei 0,4 Prozent.
In jedem der 35 untersuchten Länder performten Aktien besser als Anleihen und Schatzwechsel. Die Forscher der London Business School untersuchten Daten von 1900 bis 2022 aus Industrie- und Schwellenländern. Die Zahlen berücksichtigten also auch die beiden Weltkriege, unzählige Wirtschaftskrisen und Phasen hoher Inflation.
Experten wie Maurer raten zudem davon ab, die Gewichtung der einzelnen Anlageklassen im Zeitablauf zu verändern – etwa den Anteil der Zinsanlagen zu erhöhen, wenn die Zinsen steigen, und den Anteil von Aktien entsprechend zu reduzieren.
Solches Market Timing führt meistens nicht zu einer besseren Portfolioentwicklung. Selbst professionelle Fondsmanager schaffen es in unruhigen Marktphasen nicht, rechtzeitig Aktien zu verkaufen und in liquide Papiere umzuschichten. Laut dem Aktiv-Passiv-Barometer 2023 von Morningstar lagen etwa im Krisenjahr 2022 nur 30,5 Prozent aller aktiven Aktienfonds vor den passiven ETFs.
Raimond Maurer rät zu einer Vermögensaufteilung, die festen Regeln folgt. Zu Beginn des Vermögensaufbaus könne man durchaus zu 100 Prozent in Aktien investieren. „Mit zunehmenden Alter (etwa ab Alter 50) empfiehlt es sich, den Aktienanteil Stück für Stück zu reduzieren (etwa jedes Jahr um 2,5 Prozent)“, erklärte der Inhaber des Lehrstuhls für Investment, Portfolio-Management und Alterssicherung.
Wem das zu zeitaufwendig sei, könne sich an die 60/40-Regel halten. „Das heißt 60 Prozent in Aktien und 40 Prozent in Zinsanlagen unabhängig vom Alter.“
Am besten sofort investieren
Anleger sollten mit dem Markteinstieg nicht warten. Laut dem Vermögensverwalter Gerd Kommer ist es am klügsten, sofort in Aktien zu investieren. Wem ein Soforteinstieg zu riskant sei, könne die Summe in mehrere Tranchen aufteilen und über Monate oder ein bis zwei Jahre einsteigen.
„Aktien besitzen bei normalen Bewertungsverhältnissen eine etwa siebenmal so hohe Renditeerwartung wie das ,Sparbuch’“, erklärt Kommer in einem Blogbeitrag. Je länger man warte, desto mehr potenzielle Zugewinne würden einem entgehen. Außerdem ließe sich nicht voraussagen, wann die Börsenkurse steigen oder fallen würden (Market Timing).
Eine Analyse des DWS Global Research Institute berichtete im Jahr 2019, dass der Einstiegszeitpunkt für langfristige Anleger keine große Rolle spielt. Wer etwa im Jahr 2000 zum ungünstigsten Zeitpunkt in den S&P 500 investiert hätte – also kurz vor dem Platzen der Dotcom-Blase –, der wäre auf lange Sicht dennoch gut gefahren.
In den ersten fünf Jahren lag die Rendite demnach bei -5 Prozent pro Jahr und in den ersten zehn Jahren bei -1 Prozent. Zum Vergleich: Ein Anleger, der zwölf Monate später zu Tiefkursen gekauft hätte, hätte 2 Prozent pro Jahr eingefahren (nach fünf und nach zehn Jahren).
Nach 15 Jahren fiel der unglückliche Startpunkt aber kaum mehr ins Gewicht: Die Rendite lag bei 3,7 Prozent pro Jahr. Das war nur noch etwa ein Prozentpunkt weniger als beim Anleger mit dem günstigen Einstiegspunkt.
Grund dürfte das sogenannte Rendite-Reihenfolge-Risiko sein. Aus finanzmathematischen Gründen haben die Renditen am Ende eines Anlagezeitraums wesentlich mehr Einfluss auf die Gesamtperformance als die Renditen zu Beginn.
Breit diversifizieren über Welt-ETFs
Wer in Aktien investieren will, kann auf passive ETFs zurückgreifen. Diese Fonds bilden einen Index wie den DAX nach. Sie kaufen in der Regel die Aktien, die im Index enthalten sind, und verzichten auf einen Fondsmanager, der Wertpapiere aktiv auswählt.
Das reduziert die Kosten. Langfristig liegen die meisten aktiven Fonds daher hinter den passiven ETFs. Laut dem Aktiv-Passiv-Barometer 2023 sind über 80 Prozent schlechter.
Eine einfache Lösung sind ETFs auf Aktienindizes, die weltweit streuen und Tausende von Unternehmen enthalten. Die breitesten Welt-Indizes sind der FTSE All-World (etwa ISIN IE000716YHJ7, IE00BK5BQT80), der MSCI All Countries World Index, auch kurz MSCI ACWI (IE00B6R52259, IE00B44Z5B48) und der MSCI ACWI IMI (IE00B3YLTY66).
Entsprechende ETFs bilden mehr als 90 Prozent der weltweiten Aktienmärkte ab und investieren neben Industrieländern auch in die Schwellenländer (zu etwa 10 Prozent).
Wer einen ETF kaufen will, kann ein Depot bei Direktbanken wie der ING oder DKB beziehungsweise bei Neobrokern wie Scalable Capital oder Trade Republic eröffnen. Diese Anbieter erheben keine Depotführungsgebühren, sondern bloß Gebühren bei einem Wertpapierkauf. Vielfach sind Sparpläne auf ETFs komplett kostenlos. Anschließend muss man die Wertpapierkennnummer (ISIN) in das Suchfeld im Onlinedepot eingeben, um den ETF zu finden und einen Sparplan einzurichten.
Den liquiden Portfolio-Anteil können Anleger in Form von Bankkonten, Festgeldern, Euro-Anleihenfonds oder Euro-Anleihen von Schuldnern hoher Qualität wie Staatsanleihen oder Pfandbriefe halten, erklärt Raimond Maurer. Bankguthaben sollten die Grenze von 100.000 Euro pro Bank nicht überschreiten, da ansonsten die gesetzliche Einlagensicherung nicht mehr greift. „In jedem Fall sollte man auf die Gebühren achten und Anbieter vergleichen, auch wenn das Zeit in Anspruch nimmt“, erklärt der Professor.
Alternative Finanzberatung
Wem das zu viel Aufwand ist, kann sich auch professionelle Hilfe suchen. Hartmut Walz rät zu einem sogenannten „Honorar-Finanzanlagenberater“ (nach §34h der Gewerbeordnung) oder „Honorar-Anlageberater“ (nach §93 Wertpapierhandelsgesetz). Diese beraten nur gegen Honorar vom Kunden und dürfen keine Provisionen von den Anbietern der Finanzprodukte annehmen, die sie empfehlen.
Provisionsberatern, etwa dem freiberuflichen „Finanzanlagenvermittler“ (§34f der Gewerbeordnung) oder den meisten Bankberatern, sind Zuwendungen von Dritten nicht gesetzlich verboten. Diese unterliegen Interessenkonflikten und empfehlen möglicherweise Produkte mit hohen Gebühren, die für den Anleger nachteilig sind.
Eine gute Honorarberatung kostet je nach Beratungsaufwand zwischen 150 und 250 Euro pro Stunde, ist aber laut dem Finanzprofessor Hartmut Walz ihr Geld wert. „Ein fachkundiger Berater, der uneingeschränkt in Ihrem Interesse für Sie tätig wird, kann Ihnen tatsächlich erheblichen Mehrwert generieren und die von ihm verursachten Kosten mehr als wieder einbringen“, schreibt Walz in seinem Buch „Beraten statt verraten“.
Ob es sich um einen echten Honorarberater handelt, erfahren Anleger im Impressum des Finanzberaters. Dort muss der Begriff „Honorar-Finanzanlagenberater“ (nach §34h der Gewerbeordnung) oder „Honorar-Anlageberater“ (nach §93 Wertpapierhandelsgesetz) stehen. Der Begriff „Honorarberater“ ist hingegen keine geschützte Berufsbezeichnung. Hartmut Walz hat auf seiner Internetseite auch eine Liste mit echten Honorarberatern zusammengestellt.
Wem ein Berater zu teuer ist, kann sich auch an die Verbraucherzentralen wenden. Dort dürfte die Beratung günstiger sein. Informationen finden Anleger auf der Internetseite der Verbraucherzentrale (ganz unten in der Rubrik „Persönliche Beratung für Sie“).
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