Wirtschaft

Südliche Kaukasus-Region: Ein Pulverfass - mit Chancen für die deutsche Wirtschaft

Die Südkaukasus-Region ist geopolitisch instabil. Das zeigt auch der in jüngster Zeit wieder aufgeflammte Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien. Ulf Schneider, Präsident und Gründer des Beratungsunternehmens Schneider Group, ist in zahlreichen Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion vertreten. Die Deutschen Wirtschaftsnachrichten haben mit ihm über die Perspektiven gesprochen - und die Frage, ob sich Investitionen für deutsche Unternehmen dort lohnen.
25.01.2024 06:30
Lesezeit: 4 min
Südliche Kaukasus-Region: Ein Pulverfass - mit Chancen für die deutsche Wirtschaft
Armenische Polizisten und Beamte stehen am Straßenrand, während ein Krankenwagen ankommt: Die südliche Kaukasus-Region ist Ein Pulverfass (Foto: dpa). Foto: Ashley Chan

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Herr Schneider, können Sie unseren Lesern die komplexe geopolitische Lage in der Südkaukasus-Region erklären?

Ulf Schneider: Die Lage ist in der Tat komplex und Ihre Fragestellung zeigt bereits, wie viele Länder in der Region Einfluss nehmen. Die USA haben sehr intensiv zur Entwicklung Georgiens beigetragen und auch die amerikanische Wirtschaft ist dort stark vertreten. Die EU wiederum hat darüber hinaus auch mit Armenien die Zusammenarbeit ausgebaut und ein Handelsabkommen abgeschlossen. Aus bekannten Gründen versucht die EU nun auch mit Aserbaidschan Geschäfte im Öl- und Gassektor voranzutreiben.

Russland hatte in der Vergangenheit stark auf Armenien gesetzt, das mit Russland zusammen auch Mitglied der Eurasischen Wirtschaftsunion und einem Verteidigungsbündnis ist. Russland war damit auch die militärische Schutzmacht Armenien, nimmt nun aber eine eher neutrale Stellung im Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan ein.

Erdogan war und ist eine Art Promotor für Aserbaidschan, insbesondere in der Auseinandersetzung mit Armenien. Die beiden Länder, Türkei und Aserbaidschan verbindet auch die sehr ähnliche Sprache. Der Türkei ist es insgesamt gelungen ihren Einfluss im Südkaukasus und Zentralasien stärker auszubauen.

Der Iran versucht seine Wirtschaftsbeziehungen mit Armenien voranzutreiben, was z.B. über ein Freihandelsabkommen mit der Eurasischen Wirtschaftsunion gelingt. Auch Armenien ist an guten Beziehungen mit dem südlichen Nachbarn Iran interessiert, da die Beziehungen mit dem östlichen und westlichen Nachbarn, Aserbaidschan und Türkei problematisch sind. Armenien hofft in Zukunft eine Drehscheibe sowohl für den Ost-West- als auch den Nord-Süd-Handel zu werden. Mit dem Verlust von Bergkarabach hat Armenien sich abgefunden und hofft nun auf Stabilität und darauf, dass es sich zu dieser o.g. Handelsdrehscheibe entwickeln könnte.

China beobachtet den Südkaukasus seit Februar 2022 noch intensiver. Grund dafür ist die Einschränkung auf der nördlichen Seidenstraße durch Russland und Belarus und die – wenn auch langsame – Entwicklung eines mittleren Transportkorridors von China über Zentralasien, das Kaspische Meer, den Südkaukasus und die Türkei bzw. das Schwarze Meer nach Europa.

Dieser mittlere Transportkorridor könnte Zentralasien und dem Südkaukasus deutliche Wachstumsschübe bringen. In Zentralasien kommt diese neue Dynamik vor allem Kasachstan und an zweiter Stelle Usbekistan zugute.

Im Südkaukasus verläuft dieser Transportkorridor derzeit durch Aserbaidschan und Georgien, d.h. er umgeht Armenien. Aserbaidschan und die Türkei haben ein großes Interesse an einem direkten Transportkorridor durch Armenien, unter Umgehung von Georgien. Armenien hat grundsätzlich ein gleichgerichtetes Interesse, hier gibt es jedoch starke Differenzen über die (völker-)rechtliche Ausgestaltung solch einer Verbindungsstraße, die für Aserbaidschan auch wichtig wäre, um die Exklave Nachitschewan, die zwischen Armenien und dem Iran liegt. Sollte es zu einer Vereinbarung kommen, wären Aserbaidschan, Armenien und die Türkei allesamt Gewinner.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Armenien, wie auch das mit ihm verfeindete Aserbaidschan wie auch die angrenzende Türkei, haben alle einen Beobachterstatus bei der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit. Geraten diese Länder in den Sog Chinas, weg vom Westen?

Ulf Schneider: Nicht unbedingt. Zunächst liegt der Südkaukasus näher an Europa als an China. Und wenn Aserbaidschan und Armenien sich auf den genannten Transit durch Armenien einigen sollten, würde die Anbindung an Europa weiter vorangetrieben werden. Das europäische Interesse an Öl und Gas aus Aserbaidschan trägt ebenfalls zu einer Vertiefung der Beziehungen bei.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Zusätzlich ist Armenien Mitglied der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU). Was ist das für eine Organisation, was hat es damit auf sich?

Ulf Schneider: Diese Union besteht aus fünf Ländern: Armenien, Belarus, Kasachstan, Kirgistan, und Russland. Die Entwicklung dieser Union ist teilweise ähnlich wie der der EU bzw. EG in den 80er Jahren. Es gibt eine Zollunion und es werden gemeinsame Märkte geschaffen, z.B. im Pharmasektor.

Zwischen der EU und der EAWU gab es Gespräche auf Arbeitsebene über potentielle gemeinsame technische Standards etc.. Seit Februar 2022 finden diese Gespräche meines Wissens nicht mehr statt.

Grundsätzlich könnte eine Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Unionen eine Art Fundament für einen Wirtschaftsraum von Lissabon bis Wladiwostok sein. Diese Vision ist natürlich im Moment unrealistisch, man sollte aber aus meiner Sicht an einem Plan B dafür arbeiten, den man bei Tauwetter zwischen Russland und der EU aus der Schublade holen könnte.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Welche Bedeutung hat die neue Seidenstraße für die Länder der südlichen Kaukasusregion?

Ulf Schneider: Die neue (Land-)Seidenstraße lief bisher hauptsächlich durch Russland und Belarus. Wie beschrieben gewinnt der mittlere Transportkorridor an Bedeutung und dadurch gewinnt der südliche Kaukasus an wirtschaftlicher Dynamik.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Sind angesichts der unruhigen geopolitischen Lage in der Region Investitionen deutscher Firmen in der Region sinnvoll? Welche Chancen bieten sich ihnen? Was für Risiken bestehen?

Ulf Schneider: Der Konflikt um Bergkarabach war nicht neu und trotzdem haben auch in der Vergangenheit westliche Firmen im südlichen Kaukasus investiert. Mir scheint alle Beteiligten sind sich dessen bewusst, dass ein weiterer militärischer Konflikt für die gesamte Welt negative Auswirkungen hätte und daher wird alles dafür getan, dies zu vermeiden, auch wenn dies ggf. zu zweierlei Maß bei der Handhabe von Konflikten führt. Insofern erscheinen mir Investitionen in der Region interessant, sofern der Investor zuvor die logistischen Fragen geklärt hat.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Für welche Branchen lohnt sich ein Engagement?

Ulf Schneider: Zunächst einmal sollte man über Größenordnungen sprechen. Ich gehe nicht davon aus, dass es im südlichen Kaukasus zu großen, bedeutenden Investitionen kommen wird. Realistisch sind vor allem kleinere Investitionsvorhaben, die sich schnell rechnen.

Zu nennen sind hier z. B. die IT-Industrie, die auch durch den Zuzug vieler russischer IT-Experten stark an Gewicht gewonnen hat. Alle drei Länder des südlichen Kaukasus - Georgien, Armenien und Aserbaidschan - versuchen sich im Bereich erneuerbarer Energien zu positionieren, wobei nicht immer ersichtlich ist, wo der besondere komparative Vorteil liegt.

Auftragsfertigung erscheint mir ein weiteres perspektivreiches Konzept zu sein. im Pharmabereich beispielsweise findet man lokale Hersteller, die Lohnfertigung anbieten.

Anders als in den zentralasiatischen Ländern Kasachstan und Usbekistan, wo es zahlreiche Investitionen deutscher Unternehmen gibt, sind diese in den Ländern des südlichen Kaukasus noch sehr gering. Sollte sich die Südkaukasus-Region nachhaltig befrieden, dürfte aber ihr Drehscheibeneffekt stärker zum Tragen kommen.

Ulf Schneider ist Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der Schneider Group. Das Unternehmen hat Büros in Russland (Moskau, St. Petersburg), Belarus (Minsk), der Ukraine (Kiew), Kasachstan (Almaty, Aktau, Astana), Usbekistan (Taschkent), Armenien (Jerewan), Polen (Warschau) und Deutschland (Berlin). Die Schneider Group berät westliche Firmen in diesen Ländern.

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