Politik

Blamage für Scholz: Russland hört entlarvendes Gespräch über Taurus-Lieferungen ab

Lesezeit: 5 min
02.03.2024 18:00  Aktualisiert: 02.03.2024 20:17
Die Taurus-Affäre um Bundeskanzler Olaf Scholz spitzt sich zu. Vor einer Woche hatte Scholz der Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine eine klare Absage erteilt. Nun haben offenbar russische Geheimdienste ein Gespräch abgehört, in dem sich Bundeswehr-Offiziere über potentielle Taurus-Lieferungen beratschlagen. Der Inhalt des Gespraches ist brisant und könnte weitreichende Folgen haben.
Blamage für Scholz: Russland hört entlarvendes Gespräch über Taurus-Lieferungen ab
Die Taurus-Affäre wird für Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) von Tag zu Tag schlimmer. (Foto: dpa)
Foto: Kay Nietfeld

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Die Kontroverse um Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und eine mögliche deutsche Lieferung von Taurus-Raketen an die Ukraine nimmt kein Ende. Nachdem der russische Staatssender Russia Today ein Gespräch von Bundeswehr-Offizieren über einen möglichen Taurus-Einsatz in der Ukraine veröffentlicht hatte, verspricht Bundeskanzler Olaf Scholz rasche Aufklärung. "Das, was dort berichtet wird, ist eine sehr ernste Angelegenheit", sagte Scholz am Samstag am Rande eines Besuchs im Vatikan. "Deshalb wird das jetzt sehr sorgfältig, sehr intensiv und sehr zügig aufgeklärt. Das ist auch notwendig."

In Russland sprach Außenminister Sergej Lawrow von "hinterhältigen Plänen der Bundeswehr". Dies sei durch die 38-minütige Tonaufnahme offensichtlich geworden. Lawrow sagte: "Die Situation zeigt deutlich, dass die 'Kriegspartei' in Europa nach wie vor sehr stark ist." Die jüngsten Aussagen des französischen Präsidenten und des US-Verteidigungsministers sowie das jetzt bekannt gewordene Gespräch deuteten darauf hin, dass die "Kriegspartei" ihrem Gegner Russland auf dem Schlachtfeld eine strategische Niederlage zufügen wolle.

Hochrangige Bundeswehr-Offiziere unterhalten sich über Taurus-Lieferungen - und Russland hört alles mit

In Deutschland hat der Militärische Abschirmdienst (MAD) nach Angaben des Verteidigungsministeriums Ermittlungen aufgenommen. Das vertrauliche Gesprächs wurde nach russischen Angaben von vier hochrangigen Bundeswehr-Offizieren geführt, darunter Luftwaffen-Chef Ingo Gerhartz. Die Chefin von Russia Today, Margarita Simonjan, veröffentlichte am Freitag auf ihrem Account beim Messengerdienst Telegram eine Aufnahme des Gesprächs.

Grund der Besprechung war wohl die Vorbereitung auf eine Unterrichtung über den Marschflugkörper Taurus für Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD). Für den Termin mit Pistorius seien 30 Minuten angesetzt. Eine der in der Aufnahme zu hörenden Personen betonte, der Informationswunsch des Ministers sei keine Vorwegnahme eines Taurus-Einsatzes: "Ich sehe da kein auslösendes Momentum dahinter", sagte er. "Es ist jetzt nicht so, dass der Kanzler ihm (Pistorius) gesagt hat, 'mach dich mal schlau und lass uns mal morgen entscheiden'."

"Die Engländer haben ein paar Leute vor Ort"

In dem in der Audiodatei dokumentierten Austausch geht es etwa um die Frage, ob Taurus-Raketen technisch in der Lage wären, die von Russland gebaute Brücke zur annektierten ukrainischen Halbinsel Krim zu zerstören. Als weitere mögliche Einsatzziele wurden russische Munitionsdepots genannt. Ein weiterer Punkt war, ob die Ukraine den Beschuss ohne Bundeswehrbeteiligung bewerkstelligen könnte. Es ging dann auch um die Menge, die die Bundeswehr theoretisch an die Ukraine abgeben könnte, und die Zeitdauer eventueller Vorbereitungen. Einer Teilnehmer schlug zehn Wochen als Mindestfrist für die Ausbildung von Ukrainern am Taurus vor. Allerdings ist in dem Mitschnitt auch zu hören, dass es auf politischer Ebene kein grünes Licht für die Lieferung der von Kiew geforderten Marschflugkörper gibt.

In dem Gespräch der Luftwaffen-Offiziere wurde auch erörtert, was zu tun sei, falls der Taurus in der Ukraine eingesetzt werden sollte. Dabei wurde auf Großbritannien verwiesen, das Marschflugkörper vom Typ Storm Shadow an die ukrainische Armee geliefert hat, und auf Frankreich, das Scalp-Marschflugkörper geliefert hat. "Ich weiß, wie es die Engländer machen", sagte einer der Gesprächsteilnehmer. "Die haben auch paar Leute vor Ort ... die Franzosen nicht." Die Briten hätten gesagt, sie würden "den Ukrainern beim Taurus-Loading auch über die Schulter gucken".

Scholz will Eskalation vermeiden

Taurus ist eine Präzisionswaffe, die Ziele in 500 Kilometern Entfernung treffen kann. Die ukrainische Regierung hatte im Mai 2023 um die Lieferung der Marschflugkörper gebeten, um die russischen Nachschublinien auf besetztem Gebiet hinter der Front treffen zu können.

Scholz entschied im Oktober, die Taurus-Raketen vorerst nicht in die Ukraine zu schicken. Seine ablehnende Haltung zur Lieferung der Marschflugkörper hat er jüngst erneut betont. "Ich werde keine Entscheidung unterstützen, bei der es darauf hinausläuft, dass deutsche Soldaten irgendwie in einen militärischen Einsatz im Zusammenhang mit dem furchtbaren Krieg Russlands gegen die Ukraine verwickelt werden", hatte er am Freitag in München gesagt. Am Tag zuvor hatte er zu bedenken gegeben, dass sich bei dem Marschflugkörper mit einer Reichweite von 500 Kilometern um eine Waffe handele, "die, wenn sie falsch eingesetzt wird, ein konkretes Ziel irgendwo in Moskau erreichen kann." Eine deutsche Beteiligung an einem solchen Einsatz halte er für "ausgeschlossen".

Es müsse verhindert werden, dass es zu einer Eskalation des Krieges, zu einem Krieg zwischen Russland und der NATO komme, sagte Scholz. „Darüber bin ich mir auch mit all meinen Freunden in Europa und den USA und anderswo einig. Und deshalb ist alles zu diesem Thema gesagt, was zu sagen ist.“

In Anspielung auf Großbritannien und Frankreich, die der Ukraine anders als die USA und Deutschland Marschflugkörper geliefert haben, hatte er hinzugefügt: "Deshalb ist es so, dass - ich formuliere das mal in aller diplomatischen Abstraktheit - auch Andere Sorge dafür getragen haben, dass sie genau wissen, wo was landet." Für diese Aussage wurde Scholz danach heftig kritisiert.

Lesen Sie dazu: Gefährdet Kanzler Scholz unsere Sicherheit? Experten kritisieren Aussagen zu Verbündeten scharf

Nach Bekanntwerden des Abhörskandals bekräftigte er am Samstag bei seinem Besuch in Rom: "Wir werden keine europäischen Soldaten in die Ukraine schicken. Wir wollen den Krieg zwischen Russland und der Nato nicht, und wir werden alles tun, um ihn zu verhindern." Innerhalb seiner eigenen Ampel-Koalition ist sein Nein zu einer Taurus-Lieferung aber umstritten.

Verteidigungsministerium bestätigt Abhörvorgang

Das deutsche Verteidigungsministerium teilte heute mit: "Es ist nach unserer Einschätzung ein Gespräch im Bereich der Luftwaffe abgehört worden. Ob in der aufgezeichneten oder verschriftlichten Variante, die in den sozialen Medien kursieren, Veränderungen vorgenommen wurden, können wir derzeit nicht gesichert sagen." Nach dpa-Informationen nutzen die Teilnehmer für ihre Besprechung die Plattform "Webex". Einer soll sich dabei in Singapur in einem Hotel aufgehalten haben.

*Update vom 03.März: Die "Bild am Sonntag" will aus Sicherheitskreisen erfahren haben, dass für die Schalte keine geschützte Leitung benutzt wurde. Die Webex-Sitzung sei über eine Büro-Festnetzleitung der Bundeswehr auf die Mobiltelefone der Soldaten abgesetzt worden. Es werde derzeit noch geprüft, welcher Sicherheitsstufe die besprochenen Details unterlagen.

Der Vize-Vorsitzende des Geheimdienst-Kontrollgremiums des Bundestages, Roderich Kiesewetter (CDU), hält die Berichte, wonach Kommunikation der Luftwaffe durch Russland abgehört worden sein soll, für authentisch. "Russland zeigt damit natürlich, wie stark es mit Mitteln von Spionage und Sabotage im Rahmen des hybriden Krieges umgeht. Es ist zu erwarten, dass noch viel mehr abgehört wurde und geleakt wird, um Entscheidungen zu beeinflussen, Personen zu diskreditieren und zu manipulieren", sagte Kiesewetter dem Handelsblatt. Er geht davon aus, dass der Kreml das Gespräch veröffentlicht hat, um die deutschen Taurus-Lieferungen zu verhindern.

Der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestages, Konstantin von Notz (Grüne), fordert Aufklärung über Berichte, wonach Kommunikation der Luftwaffe durch Russland abgehört worden sein soll. "Sollte sich diese Geschichte bewahrheiten, wäre das ein hochproblematischer Vorgang", sagt er dem RedaktionsNetzwerkDeutschland. "Es stellt sich die Frage, ob es sich hier um einen einmaligen Vorgang oder ein strukturelles Sicherheitsproblem handelt. Ich erwarte umgehende Aufklärung aller Hintergründe."

Der FDP-Verteidigungspolitiker Marcus Faber wertet den in Russland veröffentlichten Mitschnitt als Versuch des russischen Präsidenten Wladimir Putin, in Deutschland Einfluss zu nehmen und "Unruhe zu stiften", so Faber gegenüber der Welt am Sonntag." Für Fachleute ergäben sich aus dem Gesprächsmitschnitt "keine neuen oder geheimen Erkenntnisse."

(mit Material von Reuters und dpa)


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