Politik

Vor 20 Jahren: Größte Erweiterung der Nato - eine kritische Betrachtung

Am 29. März 2004 traten sieben osteuropäische Länder der Nato bei. Nicht bei allen sorgte dies für Begeisterung. Auch der russische Angriffskrieg in der Ukraine änderte daran nicht viel, ein Land denkt sogar laut über einen Austritt aus der Nato nach.
29.03.2024 08:12
Aktualisiert: 29.03.2024 09:58
Lesezeit: 3 min
Vor 20 Jahren: Größte Erweiterung der Nato - eine kritische Betrachtung
Jens Stoltenberg, Nato-Generalsekretär: Vor 20 Jahren gab es die größte Nato-Erweiterung (Foto: dpa). Foto: Zheng Huansong

Als die Nato vor 20 Jahren mit einem Schlag um sieben Mitglieder größer wurde, stand die Welt noch unter dem Eindruck von 9/11 - den islamistischen Terroranschlägen in den USA. Deswegen lobte der damalige US-Präsident George W. Bush die Regierungschefs der Neuen - Rumänien, Bulgarien, Slowenien, die Slowakei und die drei Baltenstaaten - vor allem für deren Einsatz im Krieg gegen den Terror.

Er tat dies am 29. März 2004 im Weißen Haus, nachdem die sieben Länder ihre Ratifizierungsurkunden für den Nato-Beitritt im US-Außenministerium hinterlegt hatten. Schon ein Jahr zuvor waren alle diese Länder der von Bush geschmiedeten „Koalition der Willigen“ zur Unterstützung der umstrittenen Interventionen der USA in Afghanistan und im Irak beigetreten.

Es war die größte Erweiterungsrunde der Nato. Dass Moskau dies verstimmte, wurde sofort deutlich. Russland, dessen Präsident schon damals Wladimir Putin war, störte vor allem, dass die bis 1991 unfreiwillig der Sowjetunion angehörenden baltischen Länder Estland, Lettland und Litauen dem westlichen Bündnis beitraten. Die übrigen neuen Mitglieder hatten - mit Ausnahme Sloweniens - zum sowjetisch geführten Warschauer Pakt gehört. Auf diese Nato-Osterweiterung weist Russlands Präsident Putin regelmäßig hin und rechtfertigt (auch damit) den Angriffskrieg in der Ukraine.

Sicherheitsgarantie gegenüber Russland

Am größten war die Begeisterung für die Nato in den Ländern, die Russland geografisch am nächsten liegen: in Rumänien und den Baltenstaaten, mit Zustimmungswerten von über 80 Prozent. Der Trend hat sich bis heute gehalten. In Rumänien hatte die antirussische Stimmung eine lange Tradition. Zudem war hier der Nato-Beitritt eine Frage des nationalen Prestiges: Endlich war man in der westlichen Welt angekommen. Höhepunkt war dabei bisher der Bau des Raketenschutzschild-Systems der USA im südrumänischen Deveselu 2016.

Nun bewirbt sich Rumäniens Staatschef Klaus Iohannis offen für das Amt des Nato-Generalsekretärs. Ob die Osteuropäer ihn dabei unterstützen, ist unklar. Jedenfalls ist der Niederländer Mark Rutte, der unter anderem von den USA und Deutschland favorisierte Bewerber für die Nato-Spitze, im Osten kein Wunschkandidat. Der Westen behandle die Länder Osteuropas mit Geringschätzung, beklagte jüngst etwa der frühere estnische Präsident Toomas Hendrik Ilves auch mit Bezug auf den Kandidaten Rutte.

Für die Balten mit ihren insgesamt nur etwa sechs Millionen Einwohnern gilt die noch nie umstrittene Nato-Mitgliedschaft als wichtigste Sicherheitsgarantie vor ihrem Nachbarn Russland. Ohne Nato wäre ihr Land „eines dieser Länder wie etwa Georgien oder Moldau (...), die sich derzeit in der Grauzone befinden. Von denen wir nicht wissen, (...) was in Zukunft mit ihnen passieren wird“, erläuterte jüngst die ehemalige lettische Präsidentin Vaira Vike-Freiberga, die ihr Land 2004 in die EU und Nato führte.

Gemessen an ihrer Wirtschaftsleistung gaben die Balten von den sieben Ländern nach Angaben der Nato 2023 am meisten für die Verteidigung aus: Estland 2,89 Prozent des BIP, Lettland 2,37 Prozent und Litauen 2,75 Prozent. Zum besseren Schutz soll an der Grenze zu Russland und dessen Verbündetem Belarus die sogenannte baltische Verteidigungslinie entstehen - unter anderem mit Panzergräben, Munitionsdepots und Minenlagern.

Nato-Beitritt in einigen Ländern umstritten

Ganz anders ist die Stimmung in Bulgarien, Slowenien und in der Slowakei. Zwar hatte Bulgariens damaliger Außenminister Solomon Passi Tränen in den Augen, als die Fahne seines Landes 2004 erstmals am Nato-Hauptquartier gehisst wurde. Nicht alle Bulgaren teilten diese Gefühle, tun es auch heute nicht. „Ich würde nicht sagen, dass es jemals eine Euphorie für die Nato-Mitgliedschaft gab“, sagte der Exekutivdirektor von Gallup International Balkan, Parwan Simeonow, in Sofia. Das Vertrauen zur Nato habe Anfang dieses Jahres bei nur 35 Prozent gelegen.

In der Slowakei war der Beitritt von Anfang an umstritten. Umfragen ergaben im Vorfeld keine sichere Mehrheit dafür. Der russische Krieg gegen die Ukraine hat allerdings die Sympathie für die Allianz erhöht.

Die Hilfsbereitschaft für die Ukraine variierte in Sofia und Bratislava bisher auf rhetorischer Ebene je nachdem, wer politisch den Ton angab. Die prowestliche Regierung Bulgariens hat Kiew bisher auch militärisch unterstützt. Allerdings gilt Staatschef Rumen Radew als russlandfreundlich, ebenso wie der seit Oktober 2023 amtierende slowakische Regierungschef Robert Fico. Beide Länder liefern Munition an die Ukraine - Bulgarien tut dies schon seit Kriegsbeginn über Vermittler.

Die Slowakei hat zudem ihr Luftabwehr-Raketensystem und ihre Kampfflugzeuge sowjetischer Bauart an die Ukraine übergeben. Radew und Fico plädieren für ein Ende des Kriegs durch Verhandlungen - im Gegensatz zu ihren Kollegen im Baltikum, die unter dem Motto „Was auch immer es braucht“ dazu aufrufen, alles für den Sieg der Ukraine zu tun.

Steigt Slowenien aus der Nato aus?

Das kleine ex-jugoslawische Adria-Land Slowenien hatte mit Beginn seiner Unabhängigkeit 1991 den Nato-Beitritt als wichtiges Ziel definiert. Jedoch stimmten bei einem Referendum 2003 nur 66 Prozent der Slowenen dafür. Heute läge dieser Anteil laut Umfragen bei nur 52 Prozent. Die Verteidigungsausgaben liegen bei nur 1,33 Prozent des BIP. Damit gehört das Land zu den Schlusslichtern in der Nato.

In Ljubljana ist sogar eine Partei an der Regierung beteiligt, die einen Ausstieg aus der Nato befürwortet: Die kleine Linkspartei Levica bleibt daher demonstrativ den Nato-Jubiläumsfeiern der Regierung fern. (dpa)

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