Politik

Vom Kriegsrisiko bis zur politischen Krise: Chameneis Erbe und Irans Zukunft

Lesezeit: 2 min
16.04.2024 08:57
Die politische Landschaft des Irans ist geprägt von Unsicherheit und potenziellen Umwälzungen. Während sich die Diskussionen über die Zeit nach Ajatollah Ali Chamenei verstärken, eskaliert die Situation in der Region, und ein drohender Krieg mit Israel wirft düstere Schatten voraus.
Vom Kriegsrisiko bis zur politischen Krise: Chameneis Erbe und Irans Zukunft
Erstmals in der Geschichte hatte der Iran seinen Erzfeind Israel direkt angegriffen. Wie geht es jetzt weiter? (Foto: dpa)
Foto: Jonas Walzberg

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Als Ajatollah Ali Chamenei vor wenigen Tagen vor Tausenden Anhängern in der Hauptstadt Teheran auftrat, erwartete die Menge gespannt die Worte des iranischen Religionsführers. Mit dem drohenden Angriff auf Israel in der Nacht zum Sonntag richtete der mächtigste Mann der Islamischen Republik erneut eine bedrohliche Botschaft an den Erzfeind aus, während seine linke Hand fest den Lauf eines Gewehrs umklammerte. Sein rechter Arm, gelähmt seit einem Attentat im Sommer 1981, ruhte reglos unter seinem Gewand.

Israel und Iran stehen nach dem Großangriff vom Wochenende am Rande eines Kriegs. Und so richten sich alle Augen im Staat auf Chamenei, der an diesem Mittwoch 85 wird. Als Oberbefehlshaber der iranischen Streitkräfte hat er im Falle eines israelischen Gegenschlags das letzte Wort. Chamenei gilt bis heute als unantastbar, Kritik an seiner Person wird nicht geduldet. Und so entbrennt auch in der Islamischen Republik, die seit Jahren immer wieder schwere Protestwellen gegen das islamische Herrschaftssystem erlebt, eine Diskussion über die Zeit nach Chamenei.

Junge loyale und radikale Kräfte sollen das System schützen

Chamenei stammt aus der Pilgerstadt Maschhad im Nordosten Irans. Bereits als junger Student schloss er sich dem damals noch unbekannten Ruhollah Chomeini an, dessen Islamische Revolution 1979 zum Sturz der Schah-Dynastie führte. Der islamische Gelehrte wurde 1981 zum Staatspräsidenten gewählt und übte das Amt bis zum Tod des Revolutionsführers Chomeini im Juni 1989 aus. Ein sogenannter Expertenrat kürte ihn dann zu dessen Nachfolger. Das Gremium, dem 88 erzkonservative Geistliche angehören, wird im Todesfall auch über Chameneis politisches Erbe entscheiden.

Seit über 30 Jahren ist Chamenei nun der sogenannte Revolutionsführer. Spätestens seit den Massenprotesten im Jahr 2009 habe Irans Staatsführung auf eine neue Generation an radikalen Kräften gesetzt.

Revolutionswächter dürften zentrale Rolle in der Zukunft spielen

Auch im Iran wird über die Zukunft der Islamischen Republik debattiert, doch nicht immer öffentlich. Insider sehen Chamenei inzwischen in die Ecke gedrängt. „Nicht nur, weil es keine charismatischen Geistlichen mehr gibt, sondern weil im Land der Islam selbst infrage gestellt wird“, erklärt ein Professor, der nicht beim Namen genannt werden will. Stattdessen könnten die ohnehin sehr mächtigen Revolutionsgarden, die ideologischen Elitestreitkräfte, die Macht auf sich konzentrieren. „Diese militärische Konstellation, eventuell mit einigen limitierten gesellschaftlichen Freiheiten, könnte auch einige Jahre funktionieren“, sagt der Experte. Ihre militärische Macht in der Region dürften sie versuchen aufrechtzuerhalten.

Die Revolutionsgarden wurden nach den Umwälzungen von 1979 gegründet, mit ihren Al-Kuds-Brigaden sind sie auch im Ausland tätig. Zwei ihrer Brigadegeneräle wurden jüngst bei einem mutmaßlich israelischen Luftangriff in Syrien getötet. In den vergangenen Jahrzehnten sind die Revolutionswächter nicht nur militärisch hochgerüstet worden, sie haben auch ihren gesellschaftlichen und ökonomischen Einfluss ausgebaut. Heute gelten sie als Wirtschaftsmacht, mit Beteiligungen unter anderem an Hotelketten und Airlines.

Ein gut vernetzter Journalist, der ebenfalls lieber anonym bleiben möchte, sieht das islamische System 45 Jahre nach der Revolution in der Krise. Ein neuer Religionsführer könnte auch eine eher symbolische Rolle einnehmen. „Potenzielle Nachfolger wie (Präsident Ebrahim) Raisi werden vom Volk nicht ernst genommen“, sagt der Reporter. „Aber ein neuer Führer muss ernannt werden“, fügt er hinzu und meint: „Die Staatsangelegenheiten werden dann, wie in den letzten Jahren auch, von den Revolutionsgarden kontrolliert und gelenkt.“

Risiko von Staatsstreichen und Protesten steigt in Umbruchphase

Viele Iran-Experten sehen das Land in einer kritischen Übergangszeit, die schnell mit Instabilität einhergehen kann - und das Risiko von verschärften Machtkämpfen, Umsturzversuchen oder Staatsstreich droht.

Ebenso sind nach Ansicht vieler Beobachter Proteste im Falle des Todes von Chamenei denkbar - daraus könnten sich neue Protestdynamiken entwickeln. Obwohl sich die iranische Führung schon seit Jahren intensiv auf einen Übergang vorbereitet, kann es jederzeit zu Unruhen und Unordnung im Staatsapparat kommen.


Mehr zum Thema:  

DWN
Unternehmen
Unternehmen Neue Verträge: Nach dem KaDeWe sind auch Oberpollinger und Alsterhaus gerettet
26.07.2024

Die berühmten Flaggschiffe der deutschen Warenhäuser scheinen nach der Pleite des Immobilien-Hasardeurs René Benko endlich gerettet zu...

DWN
Politik
Politik Ukraine-Hilfsgelder von Russland: EU gibt Erträge aus dem eingefrorenen Vermögen frei
26.07.2024

Die Europäische Union hat jetzt die ersten Zinserträge aus dem im Westen eingefrorenem russischen Staatsvermögen freigegeben. Die...

DWN
Politik
Politik Der Chefredakteur kommentiert: Islamisches Zentrum Hamburg - ein längst überfälliges Verbot, Frau Faeser!
26.07.2024

Liebe Leserinnen und Leser, jede Woche gibt es ein Thema, das uns in der DWN-Redaktion besonders beschäftigt und das wir oft auch...

DWN
Politik
Politik Bundeskanzler Scholz zu irregulärer Migration: „Die Zahlen müssen runter“
26.07.2024

Erwerbsmigration nach Deutschland sei erwünscht, meint der Kanzler. Problematisch findet er unerlaubte Einreisen. Eine Innenexpertin der...

DWN
Panorama
Panorama ADAC warnt: Es droht schlimmstes Stau-Wochenende der Saison
26.07.2024

Wer nun in den Urlaub fährt, sollte etwas mehr Zeit einplanen und mitunter starke Nerven haben. Der ADAC rechnet mit vielen Staus. Lassen...

DWN
Politik
Politik Außenministerin Baerbock: Seegerichtshof in Hamburg wird an Bedeutung gewinnen
26.07.2024

In Hamburg informiert sich die Außenministerin bei ihrer Sommerreise über die Arbeit des Internationalen Seegerichtshofs. Anschließend...

DWN
Finanzen
Finanzen EZB nach Stresstest: Banken haben Verbesserungsbedarf bei Cyber-Angriffen
26.07.2024

Seit der Finanzkrise 2008 wird genauer hingeschaut bei den Banken. Im Euroraum müssen sich die Institute nach Einschätzung der...

DWN
Politik
Politik Verfassungsschutz weist auf russische Sabotageversuche hin
26.07.2024

Der deutsche Inlandsgeheimdienst beobachtet schon länger verstärkte russische Geheimdienstaktivitäten. Neue Hinweise veranlassen ihn...