Politik

Israel-Krieg und der Konflikt mit dem Iran: Wie ein Schattenkrieg blutiger wird

Der Nahostkonflikt spitzt sich zu: Nach dem mutmaßlich israelischen Angriff auf das iranische Botschaftsgelände in der syrischen Hauptstadt Damaskus droht der Iran offen mit Vergeltung. Derweil wächst die Kritik an Israel - auch wegen der tödlichen Angriffe auf UN-Helfer. Wie soll es weitergehen?
08.04.2024 10:00
Lesezeit: 6 min
Israel-Krieg und der Konflikt mit dem Iran: Wie ein Schattenkrieg blutiger wird
Bei einem mutmaßlich israelischen Luftangriff in der syrischen Hauptstadt Damaskus sind iranische Revolutionsgarden (IRGC) getötet worden (Foto: dpa). Foto: Omar Sanadiki

Die jüngsten Konflikte im Nahen Osten, insbesondere mit Blick auf Israel, haben erneut die empfindlichen Grenzen internationaler Beziehungen und humanitärer Prinzipien verdeutlicht. Im Mittelpunkt steht derzeit neben dem Gaza-Krieg ein mutmaßlicher Luftangriff Israels auf das Gebäude des iranischen Konsulats in der syrischen Hauptstadt Damaskus. Dabei kamen sieben Mitglieder der iranischen Revolutionsgarden (IRGC) ums Leben, darunter zwei ranghohe Vertreter der Kuds-Brigaden der IRGC, die im Ausland auch geheimdienstlich agierten.

Dieser Vorfall hat die Spannungen zwischen Israel und dem Iran weiter eskalieren lassen. Die US-Regierung hält Israel für den Angriff verantwortlich, eine Bestätigung Israels gibt es dazu bisher nicht. Bereits zuvor kam es zu verbalen Auseinandersetzungen zwischen den Politikern der verfeindeten Staaten, nachdem Israel seinen Kampf gegen die als Terrororganisation eingestufte Hamas im Gazastreifen begonnen hatte.

Konflikt und Kritik: Israels innen- und außenpolitische Debatten

Ein weiterer beunruhigender Vorfall ist der Angriff Israels auf einen Konvoi der US-Hilfsorganisation „World Central Kitchen“ im Gazastreifen. Dabei wurden sieben Menschen getötet, darunter vier Ausländer. Israel räumte den Angriff ein und bezeichnete ihn als „unbeabsichtigt“. Der tragische Vorfall löste internationale Bestürzung und Forderungen nach einer sofortigen Aufklärung aus, auch wenn sich Israels Präsident Jitzchak Herzog mittlerweile dafür entschuldigt hat.

Der Angriff auf Hilfsorganisationen wirft erneut grundlegende Fragen bezüglich deren Sicherheit und der Einhaltung internationaler Konventionen beim Kampf gegen Terrorismus auf. Wie ein Sprecher des Auswärtigen Amt in Deutschland sagte, bestehe nun die Gefahr, "dass auch andere Hilfsorganisationen, die ganz dringend benötigt werden, ihr Engagement überdenken und einstellen". Die Bundesregierung habe Israel bereits mehrfach aufgefordert, mehr Hilfslieferungen auch auf dem Landweg zu ermöglichen.

In den vergangenen Monaten gab es in Israel vermehrt Proteste, die sich gegen spezifische Regierungspraktiken richten. Diese Entwicklungen reflektieren ein breites Spektrum an öffentlichen Meinungen und zeigen die politischen Herausforderungen im Land, auch wenn sie die politische Stabilität beeinträchtigen. Die Regierung steht somit nicht nur extern unter Druck, sondern muss sich auch mit wachsender Kritik und Forderungen nach Veränderung von innen auseinandersetzen.

Mehr als ein Stellvertreterkonflikt

Die Auseinandersetzung zwischen Israel und dem Iran ist komplex und historisch bedingt. Die Ankündigungen aus dem Iran, auf den Tod von IRGC-Mitgliedern zu reagieren, deuten auf die ständige Gefahr einer Eskalation hin. Die deutsche Regierung äußert sich zum Angriff in Syrien noch zurückhaltend. „Uns liegen keine eigenen Erkenntnisse vor, die eine vollständige oder abschließende Bewertung dieses Vorfalls ermöglichen“, erklärte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin.

Analysten befürchten, dass eine direkte militärische Konfrontation zwischen den beiden Staaten nicht nur zu einer regionalen, sondern auch zu einer internationalen Krise führen könnte. Dabei ist nicht zu vergessen, dass die IRGC eher auf asymmetrische Methoden wie Angriffe auf jüdische Einrichtungen in Drittländern, Angriffe gegen israelische Staatsbürger oder die Nutzung von Stellvertretergruppen setzt.

Laut einer Analyse vom „Institute for the Study of War“ in den USA versucht Iran, Israel von einer Bodenoperation im Libanon abzuhalten, während es sich auf einen erweiterten Konflikt einstellt. In der Analyse wird auch auf die Möglichkeit eines direkten militärischen Konflikts in naher Zukunft hingewiesen. Diese Entwicklungen deuten darauf hin, dass beide Seiten sich auf eine möglicherweise langwierige Auseinandersetzung vorbereiten, die weit über die bisherigen sporadischen Auseinandersetzungen hinausgeht.

Dies spiegelt die Entschlossenheit der IRGC wider, ihre strategischen Positionen zu verteidigen und gleichzeitig Israel in Schach zu halten. Diese Ausrichtung ist in der Ideologie der IRGC zur „Vernichtung Israels“ zu verstehen. Ein klares wie grausames Ziel, das mit jeder abgeschossenen Rakete in die Welt hinausgetragen wird, denn: Auf jeder iranischen Rakete steht diese Botschaft geschrieben. Die Feindschaft Irans gegen Israel geht viel weiter als die Grenzen des Nahen Ostens - und ist auch bereits in Europa angekommen.

Angriffe auf Pressefreiheit: Terrorakte gegen Journalisten im Ausland

Pouria Zeraati, ein 36-jähriger Moderator des Exilsenders „Iran International“ mit Sitzen in London und Washington, wurde laut Senderangaben am Freitagnachmittag vergangener Woche von Unbekannten vor seinem Wohnhaus in Wimbledon, Südlondon, angegriffen. Ein Sprecher des Senders sagte im Programm „Today“ von „BBC Radio 4“ daraufhin, dass die IRGC Journalisten und ihre Familien ins Visier genommen hätten. Zeraati hatte bereits den israelischen Premierminister Benjamin Netanyahu interviewt.

Teherans Vertretung in Großbritannien bestritt eine Beteiligung an dem Messerangriff Ende März. Es ist aber mittlerweile bekannt, dass jene IRGC-Einheit, die in Syrien von Israel angegriffen wurde, Kriminelle im Ausland rekrutiert, um die iranischstämmigen Gegner der Islamischen Republik oder kritische Journalisten in Europa und den USA anzugreifen.

In Deutschland ist dieses Verhalten der Islamischen Republik mindestens seit den 1990er Jahren bekannt. Der Mykonos-Anschlag in Berlin 1992 gegen iranische Oppositionelle sowie ein weiterer Mordfall des Moderators Fereydun Farrochsad in Bonn im selben Jahr wurden in diesem Zusammenhang organisiert. Es gab bereits ein Urteil zum Terrorangriff im Berliner Restaurant Mykonos, das sich gegen die damals noch höchsten Amtsträger im Iran richtete.

Dilemma der Terrorbekämpfung

Der mutmaßliche Angriff Israels gegen die iranische Eliteeinheit in Damaskus galt den Individuen, die jegliche demokratische Kontrolle ihrer Aktionen im Ausland ablehnen und die Existenz einer von der iranischen Mehrheit gewählten demokratischen Regierung nicht akzeptieren. Diese Haltung spiegelt die ideologischen Handlungen wider, die von der Führung der Islamischen Republik angefordert und unterstützt werden. Für eine Mehrheit der iranischen Bevölkerung steht diese Ausrichtung im vollständigen Gegensatz zu nationalen Interessen.

Die Konsequenzen einer solchen politischen Führung sind gravierend, von Tod und Zerstörung bis hin zu internationaler Isolation des Landes wegen „Unterstützung des Terrorismus“. Die internationale Gemeinschaft muss hier eingreifen: Die Nachsicht gegenüber einem solchen Regime bedeutet mehr Tod, Zerstörung und Vertreibung für eine größere Anzahl von Menschen. Dies reicht von der Unterdrückung der Freiheitsbewegungen in den Städten des Irans bis hin zu Gaza und den Kriegsgebieten in der Ukraine. Es umfasst auch die Lieferung von Kampfdrohnen an Russland zum Einsatz im Krieg gegen die Ukraine.

Kampf gegen Israel als ungeschriebene Staatsräson

Israel verfolgt eine Sicherheitsstrategie, die auf die präventive Neutralisierung von Bedrohungen durch islamistische Gruppierungen abzielt. Das Land ist gleichzeitig bestrebt, die moralischen und ethischen Herausforderungen solcher Entscheidungen abzuwägen. Der Kern der aktuellen Auseinandersetzungen bleibt trotzdem weiterhin bestehen.

Solange die „Islamische Republik“ als Staatsform im Iran existiert, wird sich auch der Konflikt mit Israel fortsetzen. Dabei handelt es sich um eine ungeschriebene „Staatsräson“, in der der sogenannte Revolutionsführer Ali Chamenei eine tiefe Israelfeindlichkeit und eine Vernichtung von Israel als Bestandteil seiner Ideologie vorantreibt - auch wenn er sie auf der politischen Bühne aus taktischen Gründen mal weniger betont oder subtiler zum Ausdruck bringt.

Israels Aktionen dienen derzeit als eine der wenigen abschreckenden Maßnahmen gegen die reaktionären Strömungen im Iran, wozu auch die IRGC gehören. Die sozialen und politischen Kapazitäten im Iran sind durch langanhaltende staatliche Repressalien bereits stark beansprucht, was es erschwert, den bewaffneten reaktionären Kräften Einhalt zu gebieten.

Wie die Staaten der Europäischen Union eingreifen können

In der geopolitischen Krise des Nahen Ostens nimmt der andauernde Konflikt zwischen den IRGC und Israel eine Schlüsselrolle ein. Dabei spielen ein komplexer Schattenkrieg und die Unterstützung militanter Gruppen seitens Teheran eine wichtige Rolle. Angesichts der von Israel wahrgenommenen existenziellen Bedrohung setzt der jüdische Staat auf eine proaktive Sicherheitspolitik, die präventive Schläge gegen iranische Militärinfrastrukturen und Ziele umfasst.

Die IRGC, die eine zentrale Rolle in den regionalen Auseinandersetzungen spielen, sind durch ihre Unterstützung für Stellvertretergruppen und verdeckte Operationen vor allem in Ländern wie Syrien, Irak, Jemen und Libanon zu einem wesentlichen Akteur im Streben Teherans geworden, Israels Sicherheit zu bedrohen. Ergänzt durch Cyberangriffe verleiht diese Strategie dem Konflikt neue Dimensionen, die über traditionelle Auseinandersetzungen hinausgehen.

Laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR), einer oppositionellen Gruppe, die sich gegen die Regierung von Baschar al-Assad in Syrien stellt und von Großbritannien aus Entwicklungen in Syrien verfolgt und berichtet, führte Israel im Jahr 2023 insgesamt 51 Luft- und Drohnenangriffe sowie 25 Raketenangriffe in Syrien durch. Dabei wurden etwa 154 Ziele zerstört, einschließlich Gebäuden, Waffen- und Munitionslagern, Hauptquartieren und Fahrzeugzentren. Bei diesen Angriffen kamen 152 Personen ums Leben, die mit dem Iran in Verbindung standen, und 154 weitere wurden verletzt. Vor diesem Hintergrund braucht die Europäische Union (EU) einen Strategiewechsel.

Einstufung der IRGC als Terrororganisation

Die EU sollte in Erwägung ziehen, die IRGC als Terrororganisation einzustufen, um auf deren destabilisierende Tätigkeiten zu reagieren. Eine solche Maßnahme in der EU würde direkt die IRGC betreffen und sowohl im Iran als auch international ein starkes Zeichen gegen Terror und Antisemitismus setzen.

Trotz rechtlicher und diplomatischer Herausforderungen, die Politiker wie der EU-Außenbeauftragtem Josep Borrell betonen, ist dies eine dringende und wichtige Entscheidung, die vom Europäischen Rat nicht angenommen wurde. Das EU-Parlament hatte 2023 gefordert, die IRGC wegen Unterdrückung der Freiheitsbewegung im Iran und wegen der Drohnenlieferungen an Russland auf die Liste der Terrororganisationen zu setzen.

Ohne eine Entmachtung oder erweiterte Einschränkung der Islamisten in Teheran durch weitere gezielte Sanktionen und Maßnahmen gegen die oberste Führung in Teheran bleibt das Risiko eines Kriegsausbruchs und eines damit einhergehenden Flächenbrands in der Region bestehen. Die Einstufung der IRGC als Terrororganisation durch die EU könnte ein bedeutender Schritt sein, der dem aktuellen Eskalationszyklus entgegenwirken könnte - oder sogar einen internen Zerfallsprozess bei diesem ideologischen Militärakteur auslösen könnte.

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Farhad Salmanian

Zum Autor:

Farhad Salmanian arbeitet bei den DWN als Online-Redakteur. Er widmet sich den Ressorts Politik und Wirtschaft Deutschlands sowie der EU. Er war bereits unter anderem für die Sender BBC und Radio Free Europe tätig und bringt mehrsprachige Rundfunkexpertise sowie vertiefte Kenntnisse in Analyse, Medienbeobachtung und Recherche mit.

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