Der rasante Fortschritt in den Bereichen Neurotechnologie und Transhumanismus verwandelt gerade Zukunftsvisionen in greifbare, reale Produkte. Mit der Verschmelzung von KI, Robotik und Gehirn-Computer-Schnittstellen entstehen neue Möglichkeiten der Mensch-Technik-Interaktion. Diese Entwicklung birgt nicht nur immense Potenziale für die Medizin und das Gesundheitswesen, sondern wirft auch wichtige ethische Fragen auf, die es zu berücksichtigen gilt.
Wie weit sind wir beim Thema Neurotechnologie und Transhumanismus?
Nah am Thema Künstliche Intelligenz (KI) erleben wir gerade parallel eine weitere Entwicklung. Transhumanismus bzw. Neurotechnologie sind Konzepte, die KI, Robotik, Gentechnik und Gehirn-Computer-Schnittstellen (GCS) neu kombinieren. Es sind neue Formen der Interaktion zwischen Körper, Geist und Technologie und sie schreiten sehr schnell voran.
Genauso wie KI gekommen ist, um zu bleiben, scheint die Umsetzung transhumanistischer Ideen unaufhaltsam zu sein, wie die aktuellen Trends in Bereichen von Robotik, künstliche Intelligenz, Genetik, Nanotechnologie und Neurotechnologien zeigen. Die fortschreitende Miniaturisierung von Komponenten ermöglicht die Konstruktion immer kleinerer implantierbarer Geräte. GCS leistet bereits gute Dienste in der Medizin und ermöglicht es, behinderten Patienten Roboter-Gliedmaßen zu steuern und darüber hinaus Gedanken in Sprache zu übersetzen. Im vergangen Jahr im August gelang dazu der Durchbruch.
Zum ersten Mal konnte Sprache aus Gehirnsignalen in Text umgewandelt werden. Dazu wurden mittels KI-Algorithmus Gehirnsignale bzw. lautlos gesprochene Sätze einer Patientin ohne Stimme so trainiert, dass sie erkannt und in Wörter umgewandelt werden konnten. Die Gehirnaktivität der gelähmten Frau wurden durch einen Avatar auf einem Computerbildschirm in Sprache und Mimik übersetzt. Es ist ein neuer Ansatz im Bereich Sprachneuroprothese. Erschienen ist der beeindruckende Durchbruch in der renommierten Zeitschrift „Nature“.
Welche potenziellen Vorteile bringt der Transhumanismus mit sich?
Es steht außer Frage, dass Neurotechnologien zu massiven Fortschritten in der medizinischen und therapeutischen Versorgung führen und das Gesundheitssystem, wie wir es bisher kannten, revolutionieren werden. Organersetzende Implantate oder Prothesen, die mittels Gehirn-Computer-Schnittstellen gesteuert werden, können die kognitiven und körperlichen Fähigkeiten des Menschen erheblich erweitern. Dank dieser Technologien erlangen Menschen mit Behinderungen ihre Fähigkeiten wieder oder erwerben sogar neue.
Mittlerweile werden die leistungsstarken KI-Modalitäten dazu eingesetzt, die Bildgebung des Gehirns auszulesen. Es ermöglicht, die Gedanken einer Person vorherzusagen und hilft, das Bewusstsein zu verstehen. Das wiederum wird noch mehr Einfluss auf die Behandlung psychisch kranker Menschen in Zukunft haben. In Anbetracht der Vorhersagen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) rechnen diese damit, dass im Jahr 2030 psychische Erkrankungen eine der führenden Krankheitsursachen weltweit sein werden.
Behandlungsmöglichkeiten, die die psychische Gesundheit betreffen, sind aktuell noch zu allgemein gehalten. In Zukunft könnten objektive Messungen durch die Integration biologischer und digitaler Biomarker unter Einbeziehung von Millionen von Datenpunkten erfolgen. Unternehmen wie Happy AI erschaffen bereits KI-Avatare, die in der Lage sind, mittels Kamera den emotionalen Zustand des Gegenübers zu erfassen und in Echtzeit auf dieser Grundlage zu reagieren. Die digitalen Coaches des Unternehmens sind bereits auf dem Markt und konkurrieren mit echten Behandlern. Die Zukunft der Gesundheitsthemen wird immer digitaler. Auch das ist etwas, an das wir uns gewöhnen werden.
Das Projekt Synapsuit zielt darauf ab, neuronale Brückentechnologien für Patienten mit Rückenmarksverletzungen und Schlaganfällen zu entwickeln. Ziel ist es, Menschen wieder in die Lage zu versetzen, die Kontrolle über ihre Beine und Arme zu erlangen. Bei dem innovativen Ansatz bilden auch wieder leistungsstarke KI-Algorithmen die Grundlage, um die komplexen Gehirnsignale mit Hilfe von weichen und faltbaren flexiblen Elektroden dekodieren zu können. Diese Signale wiederum werden in Befehle umgewandelt, um die Arm- und Handbewegungen in Echtzeit zu steuern. Die Neurotechnologie braucht die leistungsstarke KI. Zusammen erleben wir gerade eine rasante Entwicklung dieses Forschungsfeldes.
Doch auch Gefahren lauern beim Transhumanismus und bei den Neurotechnologien
Wie haben uns daran gewöhnt, dass unsere persönlichen Daten, wie E-Mailadressen, soziale Kontakte und Browserverläufe oft von digitalen Dienstleistern gesammelt und weiterverkauft werden. Mit dem Aufkommen der Neurotechnologie und dem Transhumanismus werden jedoch die Daten immer sensibler und intimer. Unternehmen wie Happy AI haben Zugriff auf die Aufzeichnungen der Gehirnaktivität der Nutzer — die elektrischen Signale, die unseren Gedanken, Gefühlen und Absichten beschreiben. Es sind Daten, die über unsere bisherigen biographischen hinausgehen. Sie geben tiefe Einblicke in unsere Gefühlswelt und sind daher umso schützenswerter.
Der Gouverneur vom Staat Colorado in den Vereinigten Staaten ist der erste, der dafür sorgen möchte, dass diese Daten wirklich privat bleiben. Er unterzeichnete kürzlich ein Gesetz, dass die Definition von „sensiblen Daten“ im geltenden Datenschutzgesetz des Bundesstaates auf „biologische und neurale Daten“ erweitert. „Biologische und neurale Daten“ bezeichnen die Daten, die vom Gehirn, dem Rückenmark und dem Nervennetz erzeugt werden. Damit nimmt Colorado im Land eine Vorreiterrolle ein. Bisher sind die Daten auch in Deutschland, die im Zusammenhang mit Neurotechnologien für Verbraucher erhoben werden, weitestgehend ungeregelt.
Dieses Schlupfloch bedeutet, dass Unternehmen riesige Mengen an hochsensiblen Hirndaten sammeln und verwerten können. Im schlimmsten Fall werden die Informationen an Dritte weitergegeben oder verkauft. Große Technologieunternehmen wie Meta, Apple und Snapchat stehen ebenfalls in den Startlöchern beim Thema Neurotechnologie. Auch das Unternehmen Neuralink von Elon Musk arbeitet an einer Gehirn-Computer-Schnittstelle. Sie alle verfügen bereits jetzt schon über ein riesiges Potential an Nutzerdaten.
Von 2019 bis 2020 stiegen die Investitionen in Neurotechnologie-Unternehmen weltweit um etwa 60 Prozent, und im Jahr 2021 beliefen sie sich laut der Marktanalyse von NeuroTech Analytics auf etwa 30 Milliarden Dollar. Sinkende Kosten und verbesserte Genauigkeit sorgen für ein schnelles Wachstum kommerzieller Lösungen bei Verbraucher- und Freizeitanwendungen. Die Branche erregte im Januar Aufmerksamkeit, als Elon Musk auf seiner Plattform X verkündete, dass eine von Neuralink hergestellte Gehirn-Computer-Schnittstelle zum ersten Mal einem Menschen implantiert wurde.
Laut einem 100-seitigen Bericht von der Neurorights Foundation wurden 30 Neurotechnologie-Unternehmen untersucht, um festzustellen, inwieweit ihre Datenschutzrichtlinien und Nutzervereinbarungen mit internationalen Datenschutzstandards übereinstimmen. Dabei stellte sich heraus, dass nur ein Unternehmen den Zugang zu den neuronalen Daten einer Person in sinnvoller Weise einschränkt und dass fast zwei Drittel der Unternehmen unter bestimmten Umständen Daten an Dritte weitergeben können. Zwei Unternehmen gaben an, dass sie solche Daten bereits verkaufen. Auch Deutschland muss hier nachrüsten, denn die Entwicklung auf diesem Gebiet schreitet gerade rasant nach vorne.
Datenschutz ist ein Aspekt, den es zu berücksichtigen gilt. Es kommen noch andere hinzu. Der Zugang zu diesen neuartigen Technologien kann die Kluft zwischen denen, die es sich leisten können, und dem Rest der Gesellschaft vertiefen. Wer wird in Zukunft von den medizinischen Fortschritten der Neurotechnologie profitieren? Einige transhumanistische Technologien können zur Massenüberwachung und Kontrolle der Gesellschaft eingesetzt werden. China hatte bereits vor vier Jahren an einer Schule mittels eines elektronischen Stirnbandes die Konzentrationsfähigkeit der Schüler überwacht. Zwar gab es Proteste und der Versuch wurde wieder eingestellt, aber die Mittel sind da und können jederzeit wieder eingesetzt werden. Auch wirft die unbegrenzte Einmischung in die menschliche Natur Fragen hinsichtlich ethischer Aspekte auf. Kritiker verlangen daher nicht zu Unrecht einen „SaftybyDesign“ Ansatz.
Unternehmen, die an der Entwicklung dieser Produkte arbeiten, müssen das Thema Sicherheit und langfristige Auswirkungen mitdenken. In dem Maße, wie sich diese Technologien weiterentwickeln, muss man sich ernsthaft mit den Online-Sicherheitsrisiken auseinandersetzen. Was passiert, wenn böswillige Akteure die Kontrolle über einige dieser Technologien erlangen, so dass sie den Geist oder den Körper einer Person manipulieren können. Und welche Sicherheitsvorkehrungen können Technologieunternehmen schon jetzt treffen, um die Sicherheit der Nutzer zu gewährleisten? Dies alles sind noch ungeklärte Fragen. Um ein Gleichgewicht zwischen den Chancen und Risiken herzustellen, ist eine umsichtige, auf ethischen Werten basierende Kontrolle der Einführung und Nutzung transhumanistischer Technologien unerlässlich.