DIE LINKE trotzt derzeit nicht gerade vor Stärke. Bei der letzten Bundestagsswahlen drohte nicht zum ersten Mal ein Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde. Durch die Abspaltung des Flügels um die bei der Bevölkerung sehr beliebte Ex-Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht in die neu gegründete BSW wurde die Linkspartei zusätzlich geschwächt. Aktuelle Prognosen sehen die Linke bundesweit bei maximal vier Prozent.
Die Partei hatte auf dem Bundesparteitag Ende November ihren Programmentwurf für die Europawahl 2024 vorgestellt. Das endgültige Wahlprogramm wurde dann im Dezember veröffentlicht. Die gebeutelten Linken setzen in ihrem Europawahl-Programm einmal mehr auf ihre bekannten Themen mit Fokus auf Sozialpolitik, Steuern, Klimaschutz und Asylwende. Die Linke möchte das Europäische Parlament stärken und sieht einen Reformbedarf der Union. Im Wahlprogramm wird die „Wut vieler Menschen“ erwähnt, aber die EU als Konstrukt nicht grundsätzlich in Frage gestellt.
Die Linken gehen mit einem Spitzenduo bestehend aus Parteichef Martin Schirdewan und Carola Rackete in den Europawahlkampf. Die Naturschützerin und Aktivistin Rackete – bekannt und umstritten wegen ihrer Rolle bei vergangenen Flüchtlingsrettungen im Mittelmeer – ist als Hassfigur der Rechts-Konservativen eine durchaus kontroverse Besetzung, aber die Linken buhlen ja auch um eine andere Wählerschaft. Der Parteitag in Augsburg bestätigte beide Kandidaten mit großer Mehrheit. Auf den Listenplätzen drei und vier stehen die Gewerkschafterin Özlem Demirel sowie der bekannte Arzt und Sozialmediziner Gerhard Trabert.
Dass bei der diesjährigen Europawahl in Deutschland ab 16 Jahren gewählt werden kann, ist für die Linkspartei nicht unbedingt positiv. Denn neueste Studien deuten darauf hin, dass die AfD bei der jungen Wählerschaft rasant an Zuspruch gewinnt. Ob man mit den klassischen linken Themen bei den 16- und 17-jährigen punkten kann, ist also gar nicht mehr so sicher, wie es noch vor einigen Jahren erschien.
Sozialpolitik
Um die steigenden Lebenshaltungskosten auszugleichen, fordern die Linken eine Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf 15 Euro die Stunde (aktuell: 12,41 Euro). Genauso wie die FDP kritisiert die Linkspartei die in vielen Betrieben stark verbreiteten unbezahlten Überstunden, hat jedoch wenig überraschend gänzlich andere Lösungsvorschläge als die Liberalen parat: 4-Tage-Woche beziehungsweise 30 Stunden – bei vollem Lohnausgleich versteht sich. Eine Forderung, die vielleicht in einigen Jahren von der Bahn-Lokführergewerkschaft GDL durchgeboxt werden könnte, für die breite Bevölkerung aber ziemlich unrealistisch ist.
Die Linke strebt darüber hinaus die Gleichstellung von Löhnen für gleichwertige Arbeit und den Schutz von Arbeitnehmern in der Digitalisierung an. Die Partei plädiert außerdem für eine europaweite Kindergrundsicherung, Erwerbslosenversicherung und Mindestrente.
Inflation ist für die Linke eine simple Angelegenheit. Preissteigerungen würden bedeuten, dass Verbraucher mehr zahlen müssen und Konzerne noch mehr Profit machen. Man interpretiert die Inflation quasi als einen ungerechten Krisengewinn der Konzerne und möchte dem durch eine Übergewinnsteuer von 90 Prozent begegnen. „Die Übergewinnsteuer soll rückwirkend eingeführt werden und dauerhaft gelten“, heißt es. Speziell für Lebensmittel will die Partei Höchstpreise einführen.
Klimaschutz und Energie
In der Klimapolitik fordert man verbindliche nationale Ziele für alle Mitgliedsstaaten und mehr Verantwortung und damit höhere Kosten für die Reichen. Aktuell sei es so, dass Unternehmen staatliche Förderungen bekämen, um ihre Produktion klimafreundlich umstellen, die Gewinne und Dividenden aber weiterhin in private Hände fließen und ärmere Verbraucher zusätzlich durch die CO₂-Preise überproportional belastet werden. Die Linkspartei argumentiert stattdessen für harte Klimavorgaben für die Firmen und ein soziales Klimageld für Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen als Entlastung von den CO₂-Kosten.
Bezüglich der Energiewende tritt die Linke für gemeinnützige Energieerzeuger und sozial gestaffelte Preise von Strom und Gas anstelle von Marktpreisen ein. Öffentliche Verkehrsmittel sollten kostenlos sein. Bis zum Jahr 2035 will man die komplette Stromversorgung der EU auf erneuerbare Energien umstellen. Bis 2030 soll der gesamte Primärenergieverbrauch im Vergleich zum Jahr 2000 um 40 Prozent verringert werden. Außerdem fordert die Partei einen europaweiten Ausstieg aus der Atomenergie. Investitionen in fossile Brennstoffe und Atomkraft möchte man verbieten.
Eine weitere Kernforderung: Es müsse weltweit mehr Klimagerechtigkeit herrschen. In diesem Kontext fordern die Linken unter anderem einen Schuldenschnitt für hoch verschuldete Entwicklungsländer, die Reduktion des globalen Rohstoffverbrauchs, ökologische Geschlechter-Gerechtigkeit und die Ausweitung von unantastbaren Flüchtlingsrechten auf Klimaflüchtlinge.
Wirtschafts- und Finanzpolitik
Wirtschaftspolitisch hat die Linkspartei Großes vor. Ein „grüner Kapitalismus“ sei nicht genug beziehungsweise unmöglich umzusetzen. Vielmehr strebt man einen klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft an. Dies soll beispielsweise durch eine europäische Industriestiftung vorangetrieben werden, die Unternehmensanteile erwirbt und die grüne Transformation steuert. Auch ist die Rede von „regionalen Wirtschafts- und Transformationsräten“, in denen verschiedenste Stakeholder (Gewerkschaften, Umweltverbände etc.) Einfluss auf wirtschaftliche Entscheidungen ausüben sollen.
Der Markt soll innerhalb Europas grenzübergreifend geregelt und eingeschränkt werden und infolgedessen neue soziale und ökologische Märkte entstehen. Letztlich soll aus der EU eine „Sozialunion“ werden.
Typisch für linke Wirtschaftsideen erwägt die Partei hierbei nur Vorzüge für die Nachfrageseite, wie sich an den oben geschilderten lohnpolitischen Ideen allzu deutlich zeigt. Unternehmen sollen dagegen noch deutlich strenger reguliert werden als ohnehin schon – unter anderem auch durch Lieferketten-Vorschriften und einen europäischen Mindeststeuersatz.
Neben der Übergewinnsteuer sollen etwa auch höhere Erbschaftssteuern und eine Vermögenssteuer (ab einer Million Euro) dabei helfen, die sozialpolitischen Konzepte und letztlich den gesamten Wirtschaftsumbau zu finanzieren. Die Flucht von Konzernen in Steueroasen will man durch eine Quellensteuer von 50 Prozent bekämpfen. Diese soll auf sämtliche Zahlungen (Dividenden, Zinsen und Lizenzabgaben) erhoben werden, die in irgendeiner Form aus den europäischen Geschäften von Unternehmen in nicht kooperative Staaten abfließen. Als weitere Maßnahme gegen Steuerflucht fordern die Linken eine europäische Finanzpolizei und schärfere Geldwäscheregulierungen.
Brisant: Die Linkspartei fordert explizit die Möglichkeit der direkten Staatsfinanzierung durch die Europäische Zentralbank (EZB) und sieht in der bereits geplanten Einführung des digitalen Euro eine Chance, die Macht der großen Internet-Konzerne einzuschränken.
Asylpolitik und Rüstung
Die Linken setzen sich für offene Grenzen, legale Fluchtwege und eine lockerere Visavergabe innerhalb Europas ein. Seenotrettung soll effektiver werden und Menschenrechts-Verletzungen an den EU-Außengrenzen besser eingedämmt werden. Die Auslagerung von Asylverfahren in Drittländer lehnt die Partei strikt ab, zudem will man einen uneingeschränkten Familiennachzug ermöglichen.
Die Linkspartei positioniert sich auch im Europawahlkampf gegen Aufrüstung. Sie betont den Zusammenhang des Ukraine-Krieges mit der vorangegangenen Nato-Osterweiterung. Um Konflikte in Zukunft friedlicher zu lösen, möchten die Linken der UN eine größere Rolle zuweisen.