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DWN-Kommentar: 4-Tage-Woche und Work-Life-Balance - das ist doch ein unternehmerischer Alptraum!

Lesezeit: 4 min
17.05.2024 16:30  Aktualisiert: 16.05.2030 14:00
Liebe Leserinnen und Leser, jede Woche gibt es ein Thema, das uns in der DWN-Redaktion besonders beschäftigt und das wir oft auch emotional diskutieren. An dieser Stelle lassen wir Sie jeden Freitag an dieser Debatte teilhaben - lesen Sie, was in dieser Woche auf dem Schreibtisch unserer Politikredakteurin Mirell Bellmann lag!
DWN-Kommentar: 4-Tage-Woche und Work-Life-Balance - das ist doch ein unternehmerischer Alptraum!
Wie der Wechselwille und der Wunsch nach einer 4-Tage-Woche den Fachkräftemangel in Deutschland verstärken (Foto: dpa).

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Aller Unkenrufe zum Trotz, macht die 4-Tage-Woche die Runde: In Deutschland testen bereits 45 Unternehmen seit Januar das Lieblingsarbeitszeitmodell der hiesigen Arbeitnehmer – mit gleich viel Arbeitsstunden in weniger Arbeitszeit bei gleichem Lohn. Top oder Flop?

Klar ist: Nicht jedes Unternehmen kann sich eine kürzere Arbeitswoche oder andere moderne Arbeitszeitmodelle leisten. Doch die 4-Tage-Woche ist eine Möglichkeit, mehr Bewerber anzulocken und Personallücken zu schließen. Das propagieren zumindest die Fans.

Doch die Integrierung und Umsetzung einer 4-Tage-Woche am Arbeitsplatz ist komplex - und geht auch nur da, wo Arbeit sich flexibel planen lässt und nicht an bestimmte Wochentage und Uhrzeiten gebunden ist. Tatsächlich zwingen Fachkräftemangel, demografischer Wandel, eine anspruchsvolle Nachfolgegeneration und die Ausbildungsmisere immer mehr deutsche Unternehmen über neue Beschäftigungsmodelle und kürzere Arbeitszeiten nachzudenken. So testen bei einem Pilotprojekt 45 deutsche Firmen bereits die Umsetzung einer Viertagewoche in Ihren Betrieben.

Bundesweites Pilotprojekt „4-Tage-Woche“

Seit Jahresbeginn und im Rahmen eines bundesweiten Pilotprojekts der Unternehmensberatung Intraprenör, probieren 45 deutsche Unternehmen und Organisationen für ein halbes Jahr die Viertagewoche aus und werden dabei wissenschaftlich von der Universität Münster begleitet und unterstützt. Dabei liegt der Fokus auf der Testung einer reduzierten Arbeitszeit bei gleichbleibendem Gehalt und gleichbleibender Produktivität.

Die teilnehmenden Firmen testen das Arbeitszeitmodell 100-80-100, das heißt, dass 100 Prozent der Leistung in 80 Prozent der Zeit bei 100 Prozent Bezahlung erledigt wird.

Innerhalb des Pilotzeitraums erhalten teilnehmende Unternehmen Zugang zu Fachexpertise, Methoden, Tools sowie die Möglichkeit, mit Unternehmen in den Austausch zu kommen, die gleichzeitig die 4-Tage-Woche proben und solchen, die bereits jetzt erfolgreich in einer verkürzten Arbeitswoche tätig sind.

Die Firmen sind quer über die Bundesrepublik verstreut. 30 Prozent haben ihren Sitz im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen. Intraprenör zufolge hat mehr als die Hälfte der Unternehmen zwischen 10 und 49 Mitarbeiter. Die am stärksten vertretene Branche ist „IT und Technologie“ (14 Prozent). Aber auch das Handwerk und verschiedene Industriebetriebe (je 6 Prozent) sind im Projekt vertreten. Die sechsmonatige Testphase endet im August und die Auswertung des Pilotprojektes erfolgt im Oktober.

Einige Unternehmer, wie Studienteilnehmerin Frau Susanne Sippel, die im bayerischen Neumarkt ein Sanitätshaus leitet, wenden die 4-Tage-Woche bereits erfolgreich an. „Wichtig ist mir, dass meine Mitarbeiter mir lange und gesund erhalten bleiben. Das Thema Work-Life-Balance ist einfach immer wichtiger, gerade für die jungen Leute“, stellt sie fest.

Wie passen Fachkräftemangel und Arbeitszeitreduktion zusammen?

Für Guido Zander, seit 30 Jahren Arbeitszeitexperte, ist die kurze Arbeitswoche „kein Allheilmittel“, denn Unternehmen müssen in kürzerer Zeit eine gleichbleibende Produktivität erzielen und somit Zeitfresser einsparen, dazu zählen beispielsweise unnötig lange Telefonate oder Meetings. Gleichzeitig müssen Prozesse optimiert und digitale Lösungen angeboten werden, um die einzelnen Mitarbeiter zu entlasten und die Produktionsketten effizienter zu gestalten.

Der Wirtschaftsinformatiker, der Unternehmen bei der Gestaltung von Arbeitszeitmodellen berät, gibt zudem zu bedenken, dass gesamtwirtschaftlich gesehen, der Fachkräftemangel noch größer werden könnte. Schließlich bräuchte es beispielsweise mehr Pflegekräfte und mehr Lokführer, wenn diese jeweils nur an vier Tagen arbeiten würden. Auch wird die Flexibilität darunter leiden, wenn – je nach Modell – beispielsweise neun Stunden täglich gearbeitet wird.

Wird der Wechselwille der deutschen Arbeitnehmer noch mehr angeheizt?

Dass Unternehmen bereit sind, auf die Wünsche ihrer Angestellten einzugehen, liegt nicht nur am Fachkräftemangel in Deutschland, der in manchen Branchen dramatische Ausmaße annimmt. Immer mehr Deutsche sind gestresst, binden sich nicht mehr langfristig an ein Unternehmen und Wechseln öfters mal den Arbeitgeber.

Die neue 4-Tage-Woche könnte dieses Problem noch verstärken, denn nicht jedes Unternehmen kann die damit einhergehende Umstrukturierung im Betrieb umsetzen, zum Beispiel in der Gesundheits- und Industriebranche. Das könnte zu einer Neid-Debatte und noch mehr Wechselwille führen, denn das Arbeitszeitmodell der 4-Tage-Woche verspricht eine bessere Work-Life-Balance – leider nicht für jeden.

Da sind auf der einen Seite die Besserverdiener mit einem Job im Büro - und auf der anderen Seite die unterdurchschnittlich bezahlten Kräfte beispielsweise im Einzelhandel, im Dienstleistungssektor und in den sozialen Berufen. Gerade in den sozialen Berufen sind moderne Arbeitszeitmodelle schwierig zu verwirklichen. Schließlich kann eine Erzieherin oder ein Erzieher nicht einfach länger arbeiten, wenn die Kita schließt. Das funktioniert nur, wenn die Kinder ebenfalls auf die 4-Tage-Woche umstellen können, weil ihre Eltern bereits auf das neue Arbeitszeitmodell umgestiegen sind. Das klingt zu schön, um ... Nein, das klingt leider zu kompliziert, um wahr zu sein!

Work-Life-Balance - eine Gefahr für die Wirtschaft?

Es sieht so aus, als ob Arbeitnehmer zukünftig selbst darüber entscheiden, welches Beschäftigungsverhältnis ihren jeweiligen Ideen und Lebensphasen gerecht wird. Doch können wir uns das auch leisten, wenn die Arbeitslosenzahlen weiter steigen, wenn Fachkräfte fehlen und immer weniger Menschen jahrzehntelang bei einem Arbeitgeber bleiben?

Im Durchschnitt dürfte die Zahl der Arbeitslosen im laufenden Jahr auf knapp 2,8 Millionen Menschen steigen – und damit auf den höchsten Stand seit 2015, prognostiziert das Institut der deutschen Wirtschaft in einem IW-Kurzbericht.

Hat man denn nur ein Leben, wenn man nicht arbeitet?

Mehr Freizeit, freitags pünktlich heim und keine Nachrichten nach Dienstschluss: Können wir uns das überhaupt leisten? Anscheinend ja, denn in Deutschland lebt eine große sorgenfreie Erbengeneration, für die die Work-Life-Balance an erster Stelle stellt, denn sie können es sich leisten im Job nicht mehr zu erreichen. Wir leben anscheinend in einer gesättigten Gesellschaft, in der der Wohlstand zum Leistungskiller Nummer Eins wird. Doch letztendlich ruhen wir uns auf dem aus, was frühere Generationen für uns geschaffen haben. Ihnen haben wir unseren Wohlstand, das wirtschaftliche Fundament und das Erbe zu verdanken. Doch Wohlstand ist vergänglich. Und die Krisen der Welt und der Wettbewerb um Leistung drehen sich weiter. Dann heißt es wieder: Anpacken und nicht meckern!

Und Achtung, liebe Unternehmer und Arbeitgeber, die 4-Tage-Woche ist nur ein neues Arbeitszeitmodell von vielen, ein neuer Trend ist bereits in Sicht: Workation – eine Kombination aus Arbeit und Urlaub. Das Homeoffice wandert quasi vom heimischen Schreibtisch auf eine Insel mit Internetanschluss im Nirgendwo. Eine Mittagspause am Meer hört sich schon verlockend an – für den Arbeitnehmer!

Ihre Mirell Bellmann

 

                                                                            ***

Mirell Bellmann schreibt als Redakteurin bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Zuvor arbeitete sie für Servus TV und den Deutschen Bundestag.


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