Unternehmen

20 Jahre EU-Osterweiterung: Wie osteuropäische Arbeitskräfte Deutschland unterstützen

Zwei Jahrzehnte nach der EU-Osterweiterung haben osteuropäische Arbeitskräfte wesentlich dazu beigetragen, Engpässe im deutschen Arbeitsmarkt zu schließen. Wie steht es um deren Integration und welche Herausforderungen ergeben sich?
23.04.2024 12:30
Lesezeit: 7 min

Zwei Jahrzehnte nach der Osterweiterung der Europäischen Union (EU) spielen Arbeitnehmer aus den Beitrittsländern eine wichtige Rolle auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Eine Studie des ifo-Instituts Dresden zeigt, dass aktuell rund 820.000 Beschäftigte aus zehn Ländern in Deutschland tätig sind. Sie tragen wesentlich dazu bei, Engpässe in verschiedenen Branchen zu schließen.

Entgegen den Befürchtungen der Experten und Kritiker zur Zeit der Osterweiterung führte die Zuwanderung osteuropäischer Arbeitskräfte nicht zur Verdrängung einheimischer Beschäftigter. „Die Neuankömmlinge haben sich hauptsächlich in Bereichen etabliert, die bei deutschen Arbeitskräften aufgrund niedriger Löhne oder ungünstiger Arbeitsbedingungen weniger beliebt sind“, erklärt Joachim Ragnitz, stellvertretender Leiter des Wirtschaftsforschungsinstituts ifo in Dresden.

Dies zeigt laut Experten, dass die Migration innerhalb der EU nicht nur Herausforderungen, sondern auch Lösungen für den Arbeitsmarkt mit sich bringt.

Qualifikationshürden und Arbeitssektoren

Trotz der positiven Integration ist der Beitrag dieser Arbeitnehmergruppe zur Deckung des Bedarfs an hoch qualifizierten Fachkräften gering. „Viele der Zuwanderer aus den Beitrittsländern haben nicht die notwendigen Qualifikationen, um in anspruchsvolleren Berufsfeldern tätig zu sein“, fügt Ragnitz hinzu.

Statistiken des ifo-Instituts zufolge sind 48 Prozent der osteuropäischen Beschäftigten als Fachkräfte tätig, während 42 Prozent Hilfstätigkeiten nachgehen. Das durchschnittliche Einkommen dieser Arbeitnehmergruppe liegt bei 2.580 Euro monatlich – deutlich unter dem Durchschnittseinkommen aller Beschäftigten in Deutschland von 3.650 Euro. In diesem Zusammenhang gibt es auch Berichte über unzureichende Bezahlung und lange Arbeitszeiten, insbesondere bei Zeitarbeit und saisonalen Tätigkeiten.

Regionale Verteilung

Mit 65 Prozent bilden polnische Staatsangehörige die größte Gruppe unter den osteuropäischen Arbeitnehmern in Deutschland. Sie sind vor allem in Branchen wie der Bauwirtschaft, der Landwirtschaft und im verarbeitenden Gewerbe tätig. Diese halten sich vor allem in den Landkreisen entlang der deutsch-polnischen Grenze und in landwirtschaftlich geprägten Gebieten Nordwestdeutschlands auf.

In Städten wie Frankfurt am Oder erreicht ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung 12,3 Prozent.

Große Gruppen der ausländischen Arbeitnehmer

Arbeitnehmer aus verschiedenen Ländern formen die Struktur des Arbeitsmarktes. Unter den größten Gruppen ausländischer Beschäftigter finden sich neben den polnischen Arbeitnehmern auch türkische Migranten, die seit den Anwerbeabkommen der 1960er-Jahre eine bedeutende Rolle spielen. Sie sind in zahlreichen Sektoren, einschließlich Dienstleistungen und Handwerk, beschäftigt. Dabei ist die Türkei kein Mitgliedsstaat der EU. Auch rumänische Arbeitskräfte sind besonders in der Logistik, der Automobilindustrie und im Gesundheitswesen präsent.

Aus Bulgarien stammen viele Arbeitnehmer, die in der Landwirtschaft, im Baugewerbe und in der Pflege vertreten sind. Italienische Migranten, die seit Jahrzehnten in Deutschland leben, arbeiten unter anderem in der Gastronomie und im Baugewerbe. Zudem bilden Kroaten und Griechen bedeutende Arbeitnehmergruppen, die in verschiedenen Branchen beschäftigt sind.

Blick in die Zukunft

Die gegenwärtige Situation zeigt trotz Schwierigkeiten, dass die EU-Osterweiterung bestimmte Arbeitsmarktherausforderungen in Deutschland effektiv adressiert hat. Es bleibt jedoch die Frage offen, wie sich der Fachkräftemangel langfristig bewältigen lässt. Laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg stehen die osteuropäischen Arbeitnehmer vor verschiedenen Herausforderungen, darunter die Anerkennung ihrer Qualifikationen und die Integration in den deutschen Arbeitsmarkt.

Das IAB weist in seinen Studienergebnissen auf die Notwendigkeit von unterstützenden Bildungs- und Integrationsmaßnahmen hin, um die Aufnahme dieser Arbeitskräfte zu erleichtern und ihre beruflichen Chancen zu verbessern.

Internationale Perspektiven

Die Bedeutung der Arbeitsmigration wird auch in anderen EU-Ländern diskutiert. Deutschland wird dabei oft als Modellfall für erfolgreiche Integration gesehen. Doch auch hier sind die Herausforderungen groß, und die politischen sowie gesellschaftlichen Debatten über die Gestaltung der Migration und Integration sind längst nicht abgeschlossen.

Diese Entwicklungen werfen wichtige Fragen auf, die sowohl auf nationaler als auch auf EU-Ebene weiterhin von hoher Relevanz sein werden, da sie die Wirtschaft, Gesellschaft und Politik der Mitgliedstaaten maßgeblich beeinflussen.

EU-Osterweiterung mit zehn Ländern

Die zehn Länder, die 2004 der EU beitraten, bestehen aus acht mittel- und osteuropäischen Staaten – Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Slowenien, Estland, Lettland und Litauen – sowie zwei Mittelmeerländern, Zypern und Malta.

Die Erweiterung markierte eine bedeutende Ausdehnung der EU, die nicht nur die geografische Reichweite, sondern auch die kulturelle und ökonomische Vielfalt der Union erheblich vergrößerte.

    Mehr zum Thema
    article:fokus_txt
    Anzeige
    DWN
    Finanzen
    Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

    Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

     

    X

    DWN Telegramm

    Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
    E-mail: *

    Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
    Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

    Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

    avtor1
    Farhad Salmanian

    Zum Autor:

    Farhad Salmanian arbeitet bei den DWN als Online-Redakteur. Er widmet sich den Ressorts Politik und Wirtschaft Deutschlands sowie der EU. Er war bereits unter anderem für die Sender BBC und Radio Free Europe tätig und bringt mehrsprachige Rundfunkexpertise sowie vertiefte Kenntnisse in Analyse, Medienbeobachtung und Recherche mit.

    DWN
    Politik
    Politik Experte fürchtet politischen Schock in Europa: „Es ist tatsächlich beängstigend“
    28.06.2025

    Europa taumelt: Rechte Parteien sind auf dem Vormarsch, Frankreich droht der Machtwechsel. Experte Rahman warnt: Das „Trump-Moment“...

    DWN
    Technologie
    Technologie Neue Technologien am Körper: Gehirnimplantate, künstliche Intelligenz, elektronische Tattoos
    28.06.2025

    Hightech greift immer direkter in den menschlichen Körper ein. Ob Gehirnimplantate, elektronische Tattoos oder künstliche Intelligenz...

    DWN
    Politik
    Politik Machtverlust oder Wendepunkt? Irans Zukunft nach dem Konflikt
    28.06.2025

    Nach dem militärischen Schlagabtausch mit Israel steht der Iran politisch und gesellschaftlich unter Druck. Zwischen Machtkonsolidierung,...

    DWN
    Unternehmen
    Unternehmen So gelingt der Einstieg: KI im Personalwesen mit System etablieren
    28.06.2025

    Künstliche Intelligenz erobert Schritt für Schritt das Personalwesen. Deutschland liegt im europäischen Vergleich weit vorne – doch...

    DWN
    Politik
    Politik Familienkonzern Trump: Wie der Präsidenten-Clan Milliarden scheffelt
    28.06.2025

    Die Trump-Familie vermischt Politik und Profit wie nie: Während Donald Trump das Weiße Haus beherrscht, expandieren seine Söhne mit...

    DWN
    Wirtschaft
    Wirtschaft Börsenausblick 2025: Drohen jetzt heftige Kursbeben?
    28.06.2025

    Die Sommermonate bringen traditionell Unruhe an den Finanzmärkten. Mit Trump im Weißen Haus steigen die Risiken zusätzlich. Erfahren Sie...

    DWN
    Wirtschaft
    Wirtschaft Milliarden für heiße Luft: Ex-OpenAI-Chefin kassiert ohne Produkt
    28.06.2025

    Ein Start-up ohne Produkt, eine Gründerin mit OpenAI-Vergangenheit – und Investoren, die Milliarden hinterherwerfen. Der KI-Hype kennt...

    DWN
    Unternehmen
    Unternehmen Social Travel: Hostelworld will Facebook des Reisens werden – mit Milliardenpotenzial
    28.06.2025

    Hostelworld will nicht länger nur Betten vermitteln, sondern das führende soziale Netzwerk für Alleinreisende werden. Warum der...