Mit dem neuen deutschen Lieferkettengesetz und der bevorstehenden EU-Richtlinie stehen deutsche Firmen vor einem Regulierungsdilemma. Das seit Januar 2023 geltende deutsche Lieferkettengesetz (LkSG) verlangt von Unternehmen die Einhaltung strikter Menschenrechts- und Umweltstandards.
Ab 2025 tritt auf europäischer Ebene die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) in Kraft. Diese im April 2024 verabschiedeten Vorschriften umfassen menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten sowie Anforderungen an einen Klimaplan. Beide Gesetze verfolgen ähnliche Ziele, unterscheiden sich jedoch in ihren Schwerpunkten und Umfängen.
Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) warnt vor erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen für deutsche Firmen durch diese Doppelregulierung. DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben fordert die Aussetzung des deutschen Lieferkettengesetzes bis zur Umsetzung der EU-Regelungen. „Damit den deutschen Unternehmen im Binnenmarkt kein Wettbewerbsnachteil entsteht, muss die Bundesregierung das deutsche Lieferkettengesetz bis zur Umsetzung der EU-Regelung in nationales Recht umgehend aussetzen“, so Wansleben.
DIHK warnt: Doppelregulierung bedroht Wettbewerbsfähigkeit
Die DIHK befürchtet, dass deutsche Unternehmen im europäischen Binnenmarkt benachteiligt werden könnten, da das deutsche Lieferkettengesetz bis zum In-Kraft-Treten der CSDDD strengere Anforderungen stellt. Während die EU-Richtlinie zunächst den Fokus auf Menschenrechte legt und Umweltaspekte später hinzukommen, erfasst das deutsche Gesetz bereits beide Bereiche umfassend. Ab 2024 müssen alle deutschen Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern die strengen Anforderungen des LkSG erfüllen.
Im Gegensatz dazu betrifft das EU-Gesetz zunächst nur sehr große Unternehmen, während kleinere schrittweise einbezogen werden. Dies bedeutet, dass deutsche Firmen ihre Lieferketten schneller und detaillierter kontrollieren müssen als ihre europäischen Konkurrenten, was sie gegenüber Unternehmen aus anderen EU-Staaten benachteiligen könnte.
Bürokratischer Albtraum: Mehr Auflagen für deutsche Firmen
Die gleichzeitige Anwendung des deutschen und des EU-Lieferkettengesetzes stellt eine erhebliche bürokratische Herausforderung dar. Beide Gesetze bringen eigene Anforderungen und Berichtspflichten mit sich, was die administrativen Aufgaben verdoppelt. Besonders der Mittelstand leidet unter dieser doppelten Regulierung, da oft nicht die gleichen Ressourcen wie große Konzerne zur Verfügung stehen. Unternehmen müssen detaillierte Prüfungen ihrer gesamten Lieferketten durchführen, um sowohl die deutschen als auch die europäischen Anforderungen zu erfüllen. Dies kann zusätzliche Compliance-Programme und mehr Personal erfordern.
Praxisprobleme: Die Hürden bei der Umsetzung der Lieferkettengesetze
Nicht nur die doppelte Gesetzgebung wird kritisiert, sondern auch die Praktikabilität der EU-Richtlinie selbst. Trotz der gestaffelten Einführung bleibt die Überwachung von Lieferketten, insbesondere von indirekten Zulieferern, schwierig und oft intransparent. Unternehmen müssen zudem ein System zur Bearbeitung von Beschwerden schaffen und gegebenenfalls kleinere Geschäftspartner unterstützen, um die Einhaltung der neuen Regeln zu gewährleisten.
Wer die Lieferketten nicht gründlich kontrolliert oder die geforderten Standards nicht einhält, riskiert hohe Bußgelder und Schadensersatzforderungen. Mittelständische Firmen könnten davor zurückschrecken, internationale Märkte zu betreten oder neue Zulieferer zu finden, da sie die Risiken und Kosten der Vorschriften scheuen.
Zukunftsausblick: Wege zur Bewältigung der Lieferkettenregulierung
Ein Gleichgewicht zwischen regulatorischen Anforderungen und wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit ist entscheidend. Die Aussetzung des deutschen Lieferkettengesetzes bis zur vollständigen Umsetzung der EU-Regelungen könnte eine Lösung sein. Dies würde Unternehmen eine klarere rechtliche Grundlage bieten und ihnen ermöglichen, sich auf eine einzige Regelung zu konzentrieren.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck deutete bereits an, dass die Bundesregierung das deutsche Lieferkettengesetz möglicherweise aussetzen könnte, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu sichern und eine Doppelbelastung zu vermeiden.
Innerhalb der Regierung gibt es jedoch unterschiedliche Meinungen. Einige politische Akteure könnten eine Aussetzung unterstützen, um die Belastungen für Unternehmen zu verringern, während andere darauf bestehen, dass nationale Gesetze notwendig sind, um schneller Fortschritte zu erzielen. Deutschland wird oft als Vorreiter in der Etablierung hoher sozialer und ökologischer Standards gesehen und einige Experten argumentieren, dass Unternehmen, die frühzeitig hohe Standards einhalten, langfristig Wettbewerbsvorteile erzielen können.
DIHK ruft zur Handlung auf: Umsetzbare Lösungen auf betrieblicher Ebene gefordert!
Die doppelte Herausforderung durch nationale und europäische Lieferkettengesetze zwingt deutsche Unternehmen in jedem Falle zu einem Balanceakt zwischen hohen Standards und wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit. Es braucht klare und praktikable Lösungen, um den wirtschaftlichen Druck zu mindern und gleichzeitig Fortschritte im Bereich der sozialen und ökologischen Verantwortung zu fördern.
DIHK-Hauptgeschäftsführer Wansleben fordert eine „möglichst bürokratiearme und praxistaugliche Ausgestaltung der Regelungen (…)“. Unterstützungsmaßnahmen durch Beratungsdienste, finanzielle Hilfen oder Leitlinien könnten Unternehmen helfen, die komplexen Vorschriften einzuhalten und die praktische Umsetzung zu erleichtern.