Unternehmen

Bürokratie-Krise: Rettung für Handwerker in Sicht?

Handwerksbetriebe ächzen unter der Last stetig wachsender Bürokratie – mehr Papierkram, weniger Zeit für die eigentliche Arbeit. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) warnt: „Die Bürokratie würgt uns ab!“ Kann das geplante Bürokratieentlastungsgesetz IV (BEG IV) wirklich die erhoffte Entlastung von fast einer Milliarde Euro bringen?
20.06.2024 10:15
Lesezeit: 3 min

„Es kann doch nicht sein, dass die Politik Jahr für Jahr Erfolge beim Bürokratieabbau verkündet und ich das Gefühl habe, dass die Belastung für meine Mitarbeiter und mich immer größer wird“, klagt Heino Fischer, Tischler aus Kiel.

Seine Worte fassen die Frustration vieler Handwerker treffend zusammen, die immer mehr Zeit für administrative Aufgaben aufwenden müssen, anstatt ihrer eigentlichen Arbeit nachzugehen. Gut gemeinte bürokratische Vorschriften kosten wertvolle Zeit, die die Betriebe lieber in handwerkliche Projekte investieren würden. Eine Umfrage des ZDH unter 10.630 Betrieben zeigt: Über die Hälfte (58-Prozent) der Betriebe empfindet die Selbständigkeit wegen der Bürokratie als immer unattraktiver - ein alarmierendes Zeichen!

„Um den ganzen Papierkram zu erledigen, sitze ich regelmäßig bis spätabends am Schreibtisch. Und am Wochenende sowieso. Das ist vertane Zeit, die ich lieber für kreative Tätigkeiten oder mit Freunden verbringen würde“, erzählt Maxi Hänsch, Galvaniseurin aus Hamburg.

Zwischen Datenflut und Geschäftsbetrieb: Wie Bürokratie den Alltag der Handwerker belastet

Ihre Erfahrung ist keineswegs ein Einzelfall. Einige Handwerksbetriebe sehen sich sogar gezwungen, aufgrund der erdrückenden Bürokratie aufzugeben. Selbst traditionsreiche Unternehmen sind betroffen: Die Straßenbaufirma Richard Hoff und Söhne GmbH & Co. KG aus Husum musste nach 98-jähriger Geschichte trotz guter Auftragslage schließen – die überbordenden bürokratischen Anforderungen waren einfach zu viel.

„Wir haben unser Geschäft aufgrund der überbordenden Bürokratie eingestellt“, berichtet Michael Hoff, Urenkel des Firmengründers. Zwischen der Umsetzung der Datenschutzverordnung und GoBD-konformen Geschäftsprozessen (Grundsätze zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff), der Einhaltung des Vergaberechts und der umfangreichen Arbeitsschutz- und Sicherheitsvorschriften, wie der ständigen Dokumentation der Sicherheitsunterweisungen, verbrachten die Mitarbeiter mehr Zeit im Büro als auf der Baustelle.

Bürokratieentlastungsgesetz IV: Inhalt und Nutzen für das Handwerk

Gibt es Hoffnung auf Besserung? Das geplante Bürokratieentlastungsgesetz IV (BEG IV) der Bundesregierung zielt darauf ab, die bürokratische Last für Unternehmen, insbesondere für kleine und mittlere Betriebe (KMU), erheblich zu mindern und könnte einen bedeutenden Wandel im Umgang mit Bürokratie einleiten. Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann verspricht sich von den neuen Regelungen eine Entlastung von fast einer Milliarde Euro!

Das Gesetz umfasst 62 Artikel, die Maßnahmen aus verschiedenen Bereichen abdecken: Von den Aufbewahrungsfristen für Buchungsbelege im Handels- und Steuerrecht über das Arbeits- und Sozialrecht bis hin zum Umweltrecht. „Damit wird eine Entlastung für alle Bereiche der Gesellschaft geschaffen“, erklärt das Bundesministerium der Justiz. Hier sind einige der wichtigsten Änderungen:

  • Verkürzung der Aufbewahrungsfristen & Reduzierung des Erfüllungsaufwands: Handels- und steuerrechtliche Buchungsbelege müssen künftig nur noch acht Jahre statt bisher zehn Jahre aufbewahrt werden. Dies soll Unternehmen helfen, Lager- und Verwaltungskosten zu senken. Zudem sollen nationale und europäische Meldepflichten vereinfacht und unnötige Vorschriften gestrichen werden.
  • Einführung einer Vollmachtsdatenbank: Im Bereich der sozialen Sicherung wird eine elektronische Vollmachtsdatenbank eingeführt. Diese ermöglicht es Unternehmen, ihren Steuerberatern eine Generalvollmacht zu erteilen, die von allen relevanten Behörden der sozialen Sicherung eingesehen werden kann. Dadurch wird der Verwaltungsaufwand für etwa 1,9 Millionen Arbeitgeber reduziert.
  • Erleichterung digitaler Kommunikation: Die Pflicht zur schriftlichen Form wird weitgehend durch die Textform ersetzt. Dies fördert die Nutzung digitaler Kommunikationsmittel wie E-Mails und erleichtert die tägliche Geschäftspraxis erheblich.
  • Festgelegte Stichtage für Gesetzesänderungen: Um Unternehmen ausreichend Zeit zur Anpassung zu geben, sollen Gesetzesänderungen künftig zu festen Stichtagen in Kraft treten.
  • Förderung der Digitalisierung: Der Zugang zu rechtlichen Informationen soll durch digitale Lösungen verbessert werden. Dazu gehört die Einführung digitaler Formulare und die Standardisierung von Prozessen, was den Umgang mit Behörden deutlich vereinfachen könnte.

Nur ein Tropfen auf den heißen Stein? Die begrenzten Entlastungen für das Handwerk

Sind diese Maßnahmen wirklich eine Erleichterung für Handwerker? Der ZDH zeigt sich vorsichtig optimistisch, fordert jedoch weitere, konkrete Vorschläge, um spürbare Verbesserungen zu erreichen. Von den über 200 in einer Umfrage gesammelten Vorschlägen zur Bürokratieentlastung wird im Gesetzesentwurf momentan nur ein kleiner Teil berücksichtigt. Warum wurden nur so wenige Vorschläge ausgewählt? Welche Kriterien lagen der Auswahl zugrunde und welche politischen oder bürokratischen Hürden standen einer umfassenderen Reform im Weg?

Diese Fragen muss die Politik klären, um das Vertrauen der Handwerksbetriebe zurückzugewinnen. Zwar gehen die Bemühungen zur Reduzierung der Bürokratie in die richtige Richtung, doch aus Sicht des ZDH reichen die aktuellen Vorschläge nicht aus, um den Betrieben die dringend benötigte Entlastung zu bringen.

Bürokratieentlastungsgesetz: Wie geht es weiter?

Das BEG IV wurde im März 2024 vom Bundeskabinett beschlossen und befindet sich derzeit in der parlamentarischen Beratung. Eine Verabschiedung im Bundestag wird für Mitte 2024 erwartet. Während die grundlegenden Maßnahmen feststehen, könnten in den laufenden Verhandlungen noch letzte Anpassungen vorgenommen werden. Um auf dem neuesten Stand zu bleiben und sich über den Inhalt des Bürokratieentlastungsgesetzes IV zu informieren, bieten Verbände wie der ZDH hilfreiche Informationsangebote.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Experten-Webinar: Ist Bitcoin das neue Gold? – Chancen, Risiken und Perspektiven

Inflation, Staatsverschuldung, geopolitische Unsicherheiten: Viele Anleger fragen sich, wie sie ihr Vermögen in Zeiten wachsender...

 

 

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Technologie
Technologie Robotikbranche 2025 in schwieriger Phase – Umsatzrückgang droht
02.06.2025

Die deutsche Robotikbranche kämpft 2025 mit rückläufigen Umsätzen und schwankenden Rahmenbedingungen. Welche Teilbereiche sind...

DWN
Finanzen
Finanzen Biontech-Aktie hebt ab: Milliardenkooperation mit US-Pharmaunternehmen
02.06.2025

Die Biontech-Aktie erhält neuen Aufwind: Eine milliardenschwere Allianz mit Bristol-Myers Squibb weckt Hoffnung bei Anlegern und...

DWN
Finanzen
Finanzen Hensoldt-Aktie auf Rekordjagd: Was Anleger jetzt wissen sollten
02.06.2025

Die Hensoldt-Aktie überrascht mit einem historischen Kursfeuerwerk – doch ist der Höhenflug gerechtfertigt? Anleger sollten genauer...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft KfW-Analyse: Mittelstand zieht sich aus dem Ausland zurück
02.06.2025

Eine aktuelle KfW-Analyse zeigt: Immer mehr Mittelständler ziehen sich aus dem Auslandsgeschäft zurück. Was steckt hinter dem Rückzug...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Personalstrategie: Warum Top-Kandidaten oft scheitern – und was das über unser System verrät
02.06.2025

Ein Blick hinter die Kulissen zeigt: Bei der Personalauswahl geht es immer weniger um Kompetenz – und immer mehr um Bauchgefühl,...

DWN
Finanzen
Finanzen Silber kaufen: Was Sie über Silber als Geldanlage wissen sollten
02.06.2025

Als Sachwert ist Silber nicht beliebig vermehrbar, kann nicht entwertet werden und verfügt über einen realen Gegenwert. Warum Silber als...

DWN
Politik
Politik Ukraine: Drohnenoffensive gegen Putins Luftwaffe – bringt der Verlust strategischer Bomber Russland zu Zugeständnissen?
02.06.2025

Mitten in den Vorbereitungen für neue Friedensverhandlungen in Istanbul verpasst die Ukraine dem Kreml einen historischen Schlag: Mit...

DWN
Technologie
Technologie „KI wird Menschen nicht ersetzen – aber Menschen, die sie nutzen, werden jene verdrängen, die es nicht tun.“
02.06.2025

Was kommt nach dem digitalen Wandel? Die dänische Futuristin Anne Lise Kjaer über multipolare Macht, echte Nachhaltigkeit und warum die...