Weltwirtschaft

Lieferkettengesetz: DIHK warnt vor Doppelbelastung für Unternehmen

Lesezeit: 3 min
29.06.2024 11:15  Aktualisiert: 30.06.2024 08:00
Strenge Standards und doppelte Regulierung bedrohen deutsche Firmen: Das deutsche Lieferkettengesetz und die bevorstehende EU-Richtlinie könnten zu wirtschaftlichen Nachteilen im Binnenmarkt führen, warnt die DIHK. Nationale und europäische Auflagen erfordern umfassende Compliance, die Unternehmen besonders belastet.

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Mit dem neuen deutschen Lieferkettengesetz und der bevorstehenden EU-Richtlinie stehen deutsche Firmen vor einem Regulierungsdilemma. Das seit Januar 2023 geltende deutsche Lieferkettengesetz (LkSG) verlangt von Unternehmen die Einhaltung strikter Menschenrechts- und Umweltstandards.

Ab 2025 tritt auf europäischer Ebene die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) in Kraft. Diese im April 2024 verabschiedeten Vorschriften umfassen menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten sowie Anforderungen an einen Klimaplan. Beide Gesetze verfolgen ähnliche Ziele, unterscheiden sich jedoch in ihren Schwerpunkten und Umfängen.

Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) warnt vor erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen für deutsche Firmen durch diese Doppelregulierung. DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben fordert die Aussetzung des deutschen Lieferkettengesetzes bis zur Umsetzung der EU-Regelungen. „Damit den deutschen Unternehmen im Binnenmarkt kein Wettbewerbsnachteil entsteht, muss die Bundesregierung das deutsche Lieferkettengesetz bis zur Umsetzung der EU-Regelung in nationales Recht umgehend aussetzen“, so Wansleben.

DIHK warnt: Doppelregulierung bedroht Wettbewerbsfähigkeit

Die DIHK befürchtet, dass deutsche Unternehmen im europäischen Binnenmarkt benachteiligt werden könnten, da das deutsche Lieferkettengesetz bis zum In-Kraft-Treten der CSDDD strengere Anforderungen stellt. Während die EU-Richtlinie zunächst den Fokus auf Menschenrechte legt und Umweltaspekte später hinzukommen, erfasst das deutsche Gesetz bereits beide Bereiche umfassend. Ab 2024 müssen alle deutschen Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern die strengen Anforderungen des LkSG erfüllen.

Im Gegensatz dazu betrifft das EU-Gesetz zunächst nur sehr große Unternehmen, während kleinere schrittweise einbezogen werden. Dies bedeutet, dass deutsche Firmen ihre Lieferketten schneller und detaillierter kontrollieren müssen als ihre europäischen Konkurrenten, was sie gegenüber Unternehmen aus anderen EU-Staaten benachteiligen könnte.

Bürokratischer Albtraum: Mehr Auflagen für deutsche Firmen

Die gleichzeitige Anwendung des deutschen und des EU-Lieferkettengesetzes stellt eine erhebliche bürokratische Herausforderung dar. Beide Gesetze bringen eigene Anforderungen und Berichtspflichten mit sich, was die administrativen Aufgaben verdoppelt. Besonders der Mittelstand leidet unter dieser doppelten Regulierung, da oft nicht die gleichen Ressourcen wie große Konzerne zur Verfügung stehen. Unternehmen müssen detaillierte Prüfungen ihrer gesamten Lieferketten durchführen, um sowohl die deutschen als auch die europäischen Anforderungen zu erfüllen. Dies kann zusätzliche Compliance-Programme und mehr Personal erfordern.

Praxisprobleme: Die Hürden bei der Umsetzung der Lieferkettengesetze

Nicht nur die doppelte Gesetzgebung wird kritisiert, sondern auch die Praktikabilität der EU-Richtlinie selbst. Trotz der gestaffelten Einführung bleibt die Überwachung von Lieferketten, insbesondere von indirekten Zulieferern, schwierig und oft intransparent. Unternehmen müssen zudem ein System zur Bearbeitung von Beschwerden schaffen und gegebenenfalls kleinere Geschäftspartner unterstützen, um die Einhaltung der neuen Regeln zu gewährleisten.

Wer die Lieferketten nicht gründlich kontrolliert oder die geforderten Standards nicht einhält, riskiert hohe Bußgelder und Schadensersatzforderungen. Mittelständische Firmen könnten davor zurückschrecken, internationale Märkte zu betreten oder neue Zulieferer zu finden, da sie die Risiken und Kosten der Vorschriften scheuen.

Zukunftsausblick: Wege zur Bewältigung der Lieferkettenregulierung

Ein Gleichgewicht zwischen regulatorischen Anforderungen und wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit ist entscheidend. Die Aussetzung des deutschen Lieferkettengesetzes bis zur vollständigen Umsetzung der EU-Regelungen könnte eine Lösung sein. Dies würde Unternehmen eine klarere rechtliche Grundlage bieten und ihnen ermöglichen, sich auf eine einzige Regelung zu konzentrieren.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck deutete bereits an, dass die Bundesregierung das deutsche Lieferkettengesetz möglicherweise aussetzen könnte, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu sichern und eine Doppelbelastung zu vermeiden.

Innerhalb der Regierung gibt es jedoch unterschiedliche Meinungen. Einige politische Akteure könnten eine Aussetzung unterstützen, um die Belastungen für Unternehmen zu verringern, während andere darauf bestehen, dass nationale Gesetze notwendig sind, um schneller Fortschritte zu erzielen. Deutschland wird oft als Vorreiter in der Etablierung hoher sozialer und ökologischer Standards gesehen und einige Experten argumentieren, dass Unternehmen, die frühzeitig hohe Standards einhalten, langfristig Wettbewerbsvorteile erzielen können.

DIHK ruft zur Handlung auf: Umsetzbare Lösungen auf betrieblicher Ebene gefordert!

Die doppelte Herausforderung durch nationale und europäische Lieferkettengesetze zwingt deutsche Unternehmen in jedem Falle zu einem Balanceakt zwischen hohen Standards und wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit. Es braucht klare und praktikable Lösungen, um den wirtschaftlichen Druck zu mindern und gleichzeitig Fortschritte im Bereich der sozialen und ökologischen Verantwortung zu fördern.

DIHK-Hauptgeschäftsführer Wansleben fordert eine „möglichst bürokratiearme und praxistaugliche Ausgestaltung der Regelungen (…)“. Unterstützungsmaßnahmen durch Beratungsdienste, finanzielle Hilfen oder Leitlinien könnten Unternehmen helfen, die komplexen Vorschriften einzuhalten und die praktische Umsetzung zu erleichtern.


Mehr zum Thema:  

 

DWN
Unternehmen
Unternehmen VW hält an Werksschließungen fest - Sparansage auch bei Bosch
24.11.2024

Im Streit um Einsparungen bei VW bleibt das Unternehmen hart: Die Kapazitäten sollen schnell runter. Die IG Metall reagiert in der...

DWN
Panorama
Panorama Sammelkarten als Wertanlage: Das Geschäft mit begehrten Karten
24.11.2024

Sammelkarten sind weit mehr als nur ein Zeitvertreib. Besonders seltene Karten erzielen zum Teil Rekordpreise. Was steckt hinter diesem...

DWN
Panorama
Panorama Migration, Terrorgefahr und Krieg: Die größten Sorgen der EU-Bürger
24.11.2024

Der russische Angriffskrieg in der Ukraine wird von Menschen in Osteuropa als ernste Bedrohung wahrgenommen. Doch betrachtet man die...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Jahresgutachten der Wirtschaftsweisen: Wo die Probleme in Deutschland liegen und was passieren muss
24.11.2024

In Deutschland gab es in den vergangenen Jahren größere Versäumnisse, sowohl in der Politik als auch in der Wirtschaft, die das Wachstum...

DWN
Politik
Politik Kommt die Wegzugsbesteuerung für deutsche Fondsanleger? Neues Hindernis gegen die Abwanderung ins Ausland beschlossen
23.11.2024

Eine geplante Wegzugsbesteuerung bei Investmentfonds soll zunehmende Abwanderung von Geld und Fachkräften aus Deutschland stoppen! Wie die...

DWN
Politik
Politik Solidaritätszuschlag: Kippt das Bundesverfassungsgericht die „Reichensteuer“? Unternehmen könnten Milliarden sparen!
23.11.2024

Den umstrittenen Solidaritätszuschlag müssen seit 2021 immer noch Besserverdiener und Unternehmen zahlen. Ob das verfassungswidrig ist,...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Insolvenz von HH2E: Rückschlag für Habecks Energiewende - Wasserstoffprojekte in Sachsen in Gefahr
23.11.2024

Der Wasserstoff-Spezialist HH2E hat Insolvenz angemeldet, die Finanzierung durch ein britisches Private-Equity-Unternehmen ist gestoppt....

DWN
Panorama
Panorama 2050: Was erwartet Kinder in der Zukunft?
23.11.2024

Klimawandel, technologische Entwicklungen und demografische Veränderungen werden das Aufwachsen von Kindern in der Zukunft prägen, so die...