Politik

EU-Beitrittsgespräche: Ukraine und Moldau auf dem Weg zur Mitgliedschaft

Traditionell standen Balkanstaaten wie Montenegro oder Serbien im Fokus, wenn es um mögliche neue EU-Mitglieder ging. Doch durch Russlands aggressive Kriegspolitik hat sich das Blatt gewendet. Die Ukraine und Moldau sind schnell zu EU-Beitrittskandidaten geworden. An diesem Dienstag feiern beide Länder den offiziellen Beginn der EU-Beitrittsgespräche. Könnte die EU bald größer sein als vor dem Brexit?
25.06.2024 08:53
Lesezeit: 2 min

EU-Erweiterung: Psychologische und symbolische Bedeutung

Die Eröffnung der Beitrittsgespräche hat vor allem eine starke psychologische und symbolische Wirkung. Mit diesem Schritt zeigt die EU den rund 35 Millionen Menschen in der Ukraine und den 2,4 Millionen Menschen in Moldau, dass sie eine Zukunft als EU-Bürger haben. Der CDU-Außenpolitiker Michael Gahler betont: Für die Menschen in der Ukraine ist die EU "der verheißungsvolle Fluchtort aus dem düsteren Kriegsalltag". Ihre Hoffnungen ruhen auf einer EU-Mitgliedschaft.

In Moldau gibt es keinen Krieg, aber die EU hat dennoch strategisches Interesse daran, das Land auf EU-Kurs zu halten. David McAllister (CDU) erklärt: "Die Republik Moldau wird wegen ihrer Solidarität mit der Ukraine und ihrer proeuropäischen Ausrichtung vom Kreml ins Visier genommen." Dies sei besonders im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen im Oktober zu spüren.

EU-Beitrittsgespräche: Der Ablauf

Bei den EU-Beitrittsgesprächen geht es darum, dass die EU den Kandidatenländern aufzeigt, welche Anforderungen sie erfüllen müssen. Dazu gehört die Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an das EU-Recht sowie die Angleichung von Wirtschaft und Verwaltung. Der Prozess ist in 35 Kapitel unterteilt. Zu Beginn geht es um grundlegende Beitrittsvoraussetzungen wie Rechtsstaatlichkeit und Justiz. In Luxemburg werden diesen Dienstag die Leitlinien für die Verhandlungen präsentiert. Die ersten Kapitel könnten laut EU-Diplomaten innerhalb der nächsten zwölf Monate eröffnet werden.

Die Dauer der EU-Beitrittsgespräche hängt stark von den Reformfortschritten der Kandidatenländer ab. Ein Beispiel ist die Türkei: Ihre Beitrittsgespräche begannen 2005 und liegen nun wegen Rückschritten bei der Rechtsstaatlichkeit auf Eis. Für das Öffnen und Schließen der 35 Kapitel ist eine einstimmige Entscheidung aller EU-Staaten nötig, was Blockaden zur Folge haben könnte.

Ungarn als potenzielles Hindernis

Besonders im Falle der Ukraine könnte Ungarn ein Veto einlegen. Regierungschef Viktor Orbán äußerte gegenüber den Funke Medien, der Prozess sei "politisch motiviert". Er sieht Probleme darin, ein Land im Krieg aufzunehmen, dessen Grenzen unklar sind. Zudem müsse der Einfluss auf die EU-Landwirtschaft berücksichtigt werden.

Die große Landwirtschaft der Ukraine würde umfassende Reformen der EU-Agrarförderungen erfordern. EU-Experten schätzen, dass ohne Änderungen 186 Milliarden Euro in einem siebenjährigen Haushaltszeitraum in die Ukraine fließen könnten. Auch die Grenzfragen sind problematisch: Die Ukraine kann wahrscheinlich erst nach dem Ende des Krieges mit Russland EU-Mitglied werden. Andernfalls könnte Kiew militärischen Beistand nach Artikel 42, Absatz 7 des EU-Vertrags anfordern, was die EU zur Kriegspartei machen würde.

Notwendige Reformen in der EU

Viele in der EU sind der Ansicht, dass eine Erweiterung nur erfolgreich sein kann, wenn es zuvor umfassende Reformen gibt. Besonders die Entscheidungsprozesse in der Außenpolitik sind oft schwerfällig, da meist das Einstimmigkeitsprinzip gilt.

Europastaatsministerin Anna Lührmann (Grüne) kommentierte: "Heute ist ein historischer Tag für Europa." Trotz der Herausforderungen durch russische Bomben, Desinformationskampagnen und Destabilisierungsversuche hätten die Ukraine und Moldau bereits große Fortschritte erzielt. Zwar stünden noch viele Reformen an, doch heute sei ein Tag zum Feiern. Ab morgen gehe die Arbeit weiter.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

DWN
Politik
Politik Warum sprechen diese Woche alle über Trumps „Big Beautiful Bill“?
01.07.2025

Es ist Trumps größtes Prestigeprojekt. Doch welche Vor- und Nachteile hat das Gesetzespaket, das am Freitag unterschriftsreif auf dem...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Kernenergie-Aktien explodieren um 542 Prozent: Anleger warnen vor Blasenbildung
01.07.2025

Kernenergie-Aktien feiern ein spektakuläres Comeback – befeuert durch den steigenden Strombedarf für Rechenzentren. Die Branche erlebt...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Svenska Digitaltolk: Dolmetscher-Gigant kauft KI-Unternehmen – Millionenumsatz prognostiziert
01.07.2025

Schwedens Dolmetscher-Gigant will Europas Übersetzungsmarkt aufrollen – mit KI, Millionenplänen und dem Griff nach Deutschland. Doch...

DWN
Politik
Politik Grenze zu – zumindest teilweise: Polen kontrolliert ab Montag
01.07.2025

Polen wird ab kommendem Montag vorübergehend wieder Grenzkontrollen an der Grenze zu Deutschland einführen. Das kündigte...

DWN
Politik
Politik Krankenkassen schlagen Alarm: Zusatzbeiträge könnten deutlich steigen
01.07.2025

Die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) warnen vor Druck zu neuen Beitragserhöhungen ohne eine rasche Bremse für steigende Kosten....

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Thyssenkrupp-Umbau betrifft Tausende – Betriebsräte fordern Klarheit
01.07.2025

Angesichts weitreichender Umbaupläne bei Thyssenkrupp fordern die Beschäftigten klare Zusagen zur Zukunftssicherung. Betriebsräte pochen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Neues Werk für NATO-Kampfjet: Rheinmetall startet Produktion in NRW
01.07.2025

Der Rüstungskonzern Rheinmetall hat in Weeze (Nordrhein-Westfalen) eine hochmoderne Fertigungsanlage für Bauteile des Tarnkappenbombers...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Investitionsstau: Kaputte Straßen, marode Schulen – Kommunen am Limit
01.07.2025

Viele Städte und Gemeinden stehen finanziell mit dem Rücken zur Wand: Allein die Instandhaltung von Straßen, Schulen und...