Wohnraum durch Zweckentfremdung – Fallbeispiele
Über die letzten Jahre und Jahrzehnte hinweg gab es wiederholt Versuche, ungenutzten Raum in nutzbaren Wohnraum umzuwandeln. Hier einige Beispiele aus der Bundesrepublik:
Von Gottes- zu Wohnhaus
So mancher mag bei diesem Titel verdutzt aufschauen. Wie soll man denn in einer Kirche wohnen? Vielleicht ist die erste Frage viel eher: Wie bekommt man sowas in Deutschland bürokratisch umgesetzt? Tatsächlich gibt es mehr als einen Fall, wo genau das geschehen ist. 2014 macht die Herz-Jesu-Kirche in Mönchengladbach Schlagzeilen. Der Grund? Wo bis 2007 regelmäßig christliche Messen stattfanden, wohnen nun 23 Parteien. Die ungenutzte Kirche (mit mehr als 1500 qm Fläche!) wurde zu Wohnungen zweckentfremdet und bietet seitdem Objekte in Größe von 52 bis 83 Quadratmetern.
Den Umbau hat die Kirche dem lokalen Architekturbüro M15 zu verdanken, das sich größte Mühe gegeben hat, das Alte mit dem Neuen zu verbinden. Schließlich gibt es beim Umbau einer Kirche mehr zu bedenken, als rein architektonische Schönheit. Manche Christen, so WELT-Redakteurin Britta Nagel, befürchten bei diesen Wohnlösung eine „ungesunde Vermischung von Kommerz und heiligen Hallen“. Zugegeben ist die Wohnlösung besonders, für Manche vielleicht sogar blasphemisch. Aber auf einem so angespannten Markt ist die Sorge vor solchen potenziellen Fauxpas sekundär. Und sagte Jesus nicht einst: „Teilt euer Brot mit den Hungrigen, nehmt Obdachlose bei euch auf, und wenn ihr einem begegnet, der in Lumpen herumläuft, gebt ihm Kleider“ (Jesaja 58.7)?
Neues Leben für eine antike Scheune
Kirchen sind nicht die einzigen Objekte, die sich zu alternativen Wohnflächen umfunktionieren lassen. Ein Ehepaar aus Arnstadt (Thüringen) gestaltete eine Scheune aus dem Baujahr 1592 innerhalb von vier Jahren zu einem Wohnhaus um – und gewann dafür sogar 2021 den KfW-Preis „Bauen und Bestand“. Bevor das Ehepaar sich der Scheune annahm, stand sie schon lange Jahre leer und war einsturzgefährdet. Der Umbau hauchte dem historischen Objekt im wahrsten Sinne des Wortes neues Leben ein.
Den Preis gewann es, da das Neugebäude über seine kreative Gestaltung hinaus auch besonders nachhaltig war. Die natürlichen Baumaterialien wurden so weit es ging wiederverwendet und neu aufbereitet. Die Wärmedämmung fand vor allem durch Benutzung von Holzfaserdämmplatten und Blähbeton statt. Der Neubau wurde ohne weiteren Flächenverbrauch gestemmt und auch die Smarthome-Funktionen, welche eingebaut wurden, erlaubten der neuen Scheune eine besonders nachhaltige Bilanz. Was mehr als 400 Jahren währte, wurde durch kreative Umgestaltung und de facto Zweckentfremdung zu einer nachhaltigen Wohnlösung.
Büroraum wird Wohnraum
Seit der Pandemie und der flächendeckenden Verbreitung von Hybrid-Modellen werden Gewerbegebäude weniger und weniger in Vollzeit benutzt, manche werden sogar völlig verlassen. Alleine in Frankfurt steht jedes zehnte Büro leer. Die Lösung ist naheliegend: Warum wandelt man nicht die vielen leerstehenden Büros in Wohnungen um? Durch eine Nutzungsänderung – eine Anpassung der genehmigten Nutzungsart der Immobilie bei der örtlichen Baubehörde – ist das möglich. Solange sämtliche rechtliche Anforderungen gegeben sind und die Umbauarbeiten nicht zu umfangreich sind, steht dem Vorhaben nichts im Weg.
In Düsseldorf wurde dem „Thyssen Trade Center“ auf diesem Weg erneuert: Der „Living Circle“ wurde geboren. Das ehemalige Bürogebäude bietet heute 343 Wohnungen, eine Kita und einen Nahversorger; ein absolutes Modell in der Umwandlung von Gewerbe zu Wohn.
Lohnt sich die Zweckentfremdung?
Wer nun vor lauter Inspiration zum nächsten Architekturbüro sprinten will, sei gewarnt: Die hier vorgestellten Lösungen sind in der Tat innovative Optionen, um Wohnraum zu schaffen und es gibt zahlreiche Beispiele für erfolgreiche Umbauten. Doch die Zweckentfremdung von Objekten bürgt dem Bauherren Herausforderungen noch über den klassischen Hausbau hinaus auf. Es heißt nicht umsonst Zweckentfremdung; die Objekte wurden zu einem spezifischen Zweck mit ebenso spezifischen Anforderungen gebaut. So wurden demnach Aspekte, die eventuell für Wohnbau wichtig sind, nicht mit einbezogen.
Nimmt man sich die Kirche als Beispiel, sind die Schwierigkeiten geradezu vorprogrammiert. Die hohen Fenster und die luftigen Türme sind für Kirchen gemacht, es gehört zum Baubild dazu. Entfremdet man den Zweck, werden Aspekte, die im Bauvorhaben ganz natürlich waren, nun zum Problem. Ein großes Stichwort hierbei ist (Wärme)Sanierung, ein Begriff, den wir Deutschen nicht mehr hören können, ohne zu erschaudern.
Auch die Frage, wie viel von der Nutzfläche durch wohnhafte Umbauten verloren geht, stellt sich. Zweckentfremdung ist nicht „simpel“; nur weil ein Objekt eine große Nutzfläche hat, bedeutet das nicht, dass diese Fläche nach dem Umbau auch so bereit stehen wird.
Gleichzeitig muss der Umbau auch bezahlt werden. Hier stellt sich bei vielen Projekten auch die Frage rund um Denkmalschutz. Kirchen sind da vorne mit dabei. Das Heizungsgesetz wurde zwar bei denkmalgeschützte Bauten entspannt, dennoch bestehen in Gegenwart und Zukunft Fragen rund um Bausubstanz und Wärmedämmung, die früher oder später an den Geldbeutel gehen werden.
All das sei aber als Ermahnung zu Vorsicht und Recherche zu verstehen, nicht als ein automatischer Ausschluss. Es gibt bewiesene Erfolge in der Zweckentfremdung, auch wenn sich hier und da besondere Herausforderungen aufgrund der Bauart auftun.
Finanziell ist die Situation nicht hoffnungslos: Bauherren, die Interesse an einem Umbau, aber nicht das nötige Kleingeld haben, können auf Kredite von Förderbanken wie der BAFA und der KfW zurückgreifen. Sind die richtigen Umstände gegeben, können sowohl Bau- als auch Sanierungsmaßnahmen so mitgetragen werden. Auch ist die Reduktion der Nutzfläche nicht automatisch ein Ausschlusskriterium. Solange man sich beim Umbau an die Vorgaben des Bauamts hält, steht dem Projekt grundsätzlich nichts im Weg.
Kreativ gegen die Marktlücke
Der angespannte Wohnmarkt im Jahr 2024 braucht vor allem eins: Lösungen. Stand 2024 fehlen laut Pestel-Institut in Deutschland rund 800.000 Wohnungen. Das können die knapp 265.000 Wohnungen, die Bauministerin Klara Geywitz für 2024 prognostiziert, schlichtweg nicht tragen. Die Rezession hat bereits 2023 die Planmarke von 400.000 neuen Wohnungen zunichte gemacht; doch nicht einmal der Idealfall hätte diese enorme Lücke schließen können. Der Markt braucht neue Ansätze. Von Leerstandssteuer hin zu Umverteilung und schließlich Zweckentfremdung sollen Möglichkeiten gefunden werden, um den volatilen Markt zu entspannen. Objekte sind da – zwischen 2019 und 2023 wurden jedes Jahr um die 28 Kirchen profanisiert, also entweiht. Das eröffnet Wege, um leerstehende Kirchen – und auch andere Objekte – in den dringend benötigten Wohnraum umzuwandeln.