Politik

Bundesverfassungsgericht schützen vor Blockade und Einflussnahme - Ampel ist sich mit Union einig

Das Beispiel Polen zeigt, welche Eingriffsmöglichkeiten es auch in Demokratien gibt. Ist das Bundesverfassungsgericht für solche Fälle ausreichend gerüstet? Die Ampel-Parteien haben sich nun auf ein einheitliches Vorgehen geeinigt.
23.07.2024 14:45
Lesezeit: 2 min

Die Ampel-Koalition und die Union haben beschlossen, noch vor der Bundestagswahl zentrale Vorgaben zur Struktur des Bundesverfassungsgerichts im Grundgesetz festzuschreiben. Damit wollen sie laut eigener Aussage die Unabhängigkeit und Funktionsfähigkeit des Gerichts auch in politisch turbulenten Zeiten sicherstellen.

"Wir müssen unsere Demokratie wehrhaft und widerstandsfähig machen", sagte Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz bei der Vorstellung des geplanten Gesetzentwurfs. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) erinnerte daran, eine Lehre aus der Weimarer Republik sei, dass "das Mehrheitsprinzip alleine nicht sicherstellen kann, dass jede Mehrheit unter allen Umständen immer die Verfassung wahrt und die Grundrechte der Menschen respektiert".

Bisher sind Änderungen, die das Risiko einer Blockade oder politischen Instrumentalisierung des Bundesverfassungsgerichts bergen, theoretisch mit einfacher Mehrheit möglich. Für eine Änderung des Grundgesetzes ist jedoch immer eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und Bundesrat erforderlich.

Welche Strukturvorgaben ins Grundgesetz sollen

Die zwölfjährige Amtszeit der Richter und der Ausschluss einer Wiederwahl sowie die Altersgrenze von 68 Jahren sollen in der Verfassung festgeschrieben werden. "Wir verhindern, dass durch die Schaffung neuer Senate oder die Herabsetzung der Altersgrenze neue Verfassungsrichterstellen geschaffen werden, die mit Günstlingen besetzt werden können", erklärte Johannes Fechner (SPD). Auch die Festlegung auf 16 Richter und zwei Senate soll im Grundgesetz verankert werden. Damit die Arbeitsfähigkeit des Gerichts nicht gefährdet ist, soll im Grundgesetz stehen, dass ein Richter seine Amtsgeschäfte bis zur Wahl eines Nachfolgers weiterführt.

Das Bundesverfassungsgericht überwacht die Einhaltung des Grundgesetzes und bestimmt die Zuständigkeiten und Grenzen für das Handeln des Staates. Es ist besonders wichtig für die Durchsetzung der Grundrechte. Damit auch in Zukunft niemand diese Prinzipien anfechten oder Urteile ignorieren kann, wollen die Ampel-Fraktionen und die Union den Status des Gerichts und die Bindungswirkung seiner Entscheidungen auf die Ebene der Verfassung heben. Das Gleiche gilt für die Geschäftsordnungsautonomie des Gerichts. Andrea Lindholz (CSU) betonte, dies betreffe auch die Frage, in welcher Reihenfolge Akten bearbeitet werden.

Anti-Blockade-Mechanismus

Eine Öffnungsklausel im Grundgesetz soll sicherstellen, dass bei der Wahl neuer Richter das jeweils andere Wahlorgan einspringen kann, wenn im Bundestag oder Bundesrat über einen längeren Zeitraum keine Zweidrittelmehrheit für einen Kandidaten zustande kommt. Der Grundsatz, dass die Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts jeweils zur Hälfte von Bundestag und Bundesrat gewählt werden, soll beibehalten werden.

Die geplante Reform ist das Ergebnis vertraulicher Beratungen von Vertretern der Fraktionen von SPD, Grünen, FDP und CDU/CSU unter Beteiligung des Bundesjustizministeriums. "Das Bundesverfassungsgericht ist Schutzschild der Grundrechte, aber sein eigener Schutzschild braucht mehr Widerstandskraft", sagte Justizminister Buschmann. Es sei gut, dass ein Mechanismus gefunden worden sei, um Blockaden bei Verfassungsrichterwahlen zu verhindern, findet der Justiziar der Unionsfraktion, Ansgar Heveling. "Damit ist das Bundesverfassungsgericht auch für stürmische politische Zeiten gerüstet."

Warum ist die Reform aus Sicht von Ampel und Union jetzt nötig?

Die Verankerung der Stellung des Gerichts in der Verfassung selbst diene der Stärkung der Unabhängigkeit der Verfassungsgerichtsbarkeit, hieß es in einem gemeinsamen Papier der vier Fraktionen. Diese Notwendigkeit begründen die Parlamentarier nicht mit dem Auftauchen neuer Parteien wie der AfD oder dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), sondern mit Bestrebungen in einzelnen europäischen Ländern, die die Unabhängigkeit der Justiz infrage stellen. Erfahrungen aus Polen wurden in die Überlegungen einbezogen. Die PiS-Regierung begann nach ihrem Antritt damit, das Justizwesen nach ihren Vorstellungen umzubauen.

Der Deutsche Anwaltverein und der Deutsche Richterbund (DRB) begrüßten die Einigung. DRB-Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn sagte: "Die Beispiele Polens und Ungarns haben alarmierend gezeigt, wie schnell selbst vermeintlich stabile Rechtsstaaten kippen können, wenn illiberale Kräfte es darauf anlegen."

Kritik kommt von der AfD

Der stellvertretende AfD-Vorsitzende Stephan Brandner sagte, seine Fraktion habe im Bundestag zur Resilienz der Demokratie eigene Vorschläge gemacht. Dass die AfD von der Arbeit an der geplanten Reform ausgeschlossen worden sei, zeige "die miserable demokratische Kultur unter der Ampel-Regierung".

Aus dem Bundestag dürfte bald ein Gesetzentwurf eingebracht werden. Länder, Verbände und auch das Bundesverfassungsgericht sollen in das Gesetzgebungsverfahren einbezogen werden. Eine Verabschiedung ist noch vor der Bundestagswahl im September 2025 geplant.

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