Politik

Noch immer keine neue Regierung: Frankreich am Scheideweg

Pattsituation in Frankreich: Nach der Parlamentswahl konnte keine Partei eine Regierungsmehrheit erzielen. Einen Monat nach der Wahl ist unklar, wie es weitergeht. Alle Blicke sind auf einen Mann gerichtet.
17.08.2024 12:27
Lesezeit: 3 min

Mehr als einen Monat ist seit der vorgezogenen Parlamentswahl in Frankreich vergangen, doch es bleibt unklar, wie die neue Regierung aussehen wird. Präsident Emmanuel Macron spielt auf Zeit und wollte erst die Olympischen Spiele abwarten, die an diesem Sonntag endeten. Wird Frankreich bald einen neuen Regierungschef haben? Der Druck auf Macron dürfte jedenfalls aus allen Richtungen steigen, um das Land vor politischem Stillstand zu bewahren.

Wahlergebnis stellt Frankreich vor eine politische Herausforderung

Zurück zum Anfang: Entgegen den Erwartungen konnte bei der Neuwahl der französischen Nationalversammlung Anfang Juli nicht das rechtsnationale Rassemblement um Marine Le Pen gewinnen, sondern das Linksbündnis Nouveau Front Populaire ging als Sieger hervor. Macrons Mitte-Kräfte landeten auf dem zweiten Platz.

Die Wählerinnen und Wähler stellten die Abgeordneten mit ihrem Ergebnis vor eine große Herausforderung. Keines der Lager verfügt über eine absolute Mehrheit. Für Frankreich, wo größere Kompromisse und Koalitionen in der Politik selten sind, stellt dies eine äußerst komplexe Situation dar.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Interpretationen des Wahlergebnisses stark auseinandergehen. Im linken Lager sieht man einen klaren Regierungsauftrag und ärgert sich über Staatschef Macron, der die vorgeschlagene Premierministerin Lucie Castets nicht ins Amt beruft. Macron hingegen deutet das Wahlergebnis als Wunsch der Wählerschaft nach einer Zusammenarbeit über politische Lagergrenzen hinweg, sodass auch seine Mitte-Kräfte Teil der Regierung sein sollten.

Kommt es in Frankreich zu einer großen Koalition?

Ist Macron, der die vorgezogene Parlamentswahl ohne wirkliche Not eingeleitet und krachend verloren hat, nur ein schlechter Verlierer, der keine Macht abgeben will? Oder ist er Realist? Sucht er, entgegen der Tradition in Frankreich, nach einer möglichen großen Koalition, um die politische Blockade zu lösen?

Aus Macrons Lager mehren sich jedenfalls die Stimmen, die betonen, wo es Überschneidungen mit den Konservativen sowie den Sozialisten, Grünen und Kommunisten gibt, die man aus ihrer Allianz mit der Linkspartei La France Insoumise herauszulösen versucht.

Die beigeordnete Landwirtschaftsministerin Agnès Pannier-Runacher drängt auf Zugeständnisse des eigenen Lagers. Und die beigeordnete Ministerin für Gleichstellung, Aurore Bergé, räumt ein: "Wir müssen den Parlamentswahlergebnissen ins Auge sehen und viel Demut an den Tag legen. Das bedeutet auch, dass der nächste Premierminister nicht aus unseren Reihen stammen kann."

Trotz Gemeinsamkeiten bleibt eine Einigung in Frankreich schwierig

Auch eine Gruppe von Experten, die an den Programmen des Linksbündnisses, des Mitte-Lagers oder der Konservativen mitgewirkt hat, veröffentlichte kürzlich 40 Politikvorschläge, die linke, konservative und zentristische Parteien ihrer Meinung nach gemeinsam umsetzen könnten.

Wie jedoch die unterschiedlichen Parteien zusammenfinden könnten, bleibt ungewiss. Das linke Lager, das schon wenig von einer Zusammenarbeit mit Macrons Mitte-Kräften hält, dürfte mit den Konservativen erst recht nicht koalieren wollen. Umgekehrt gilt dasselbe. Auch innerhalb von Macrons Lager gibt es noch viele, die Schwierigkeiten haben, sich eine Zusammenarbeit mit den Grünen vorzustellen.

Dass die Parteien sich langsam aber sicher auch für die Präsidentschaftswahl 2027 positionieren und daher eher Distanz zueinander suchen, erschwert die Situation zusätzlich.

Zeit für eine Regierungsfindung in Frankreich drängt

Obwohl Macron betont, dass es nicht um eine einzelne Person geht, dürfte die Frage, wer die Regierung anführt, in den Gesprächen eine zentrale Rolle spielen. Neben der von den Linken vorgeschlagenen Castets werden etwa der konservative Regionalpräsident Xavier Bertrand, der ehemalige Premier Bernard Cazeneuve und der frühere französische Außenminister sowie spätere EU-Kommissar Michel Barnier als potenzielle Premierminister gehandelt. Wie schon beim geschäftsführenden Regierungschef Gabriel Attal könnte Macron jedoch auch diesmal einen Überraschungskandidaten präsentieren.

So schwierig es auch sein mag, auszuhandeln, wer in Frankreich künftig mit welcher Mannschaft regiert, die Zeit drängt. Denn für das kommende Jahr muss ein Haushalt verabschiedet werden. Eigentlich würden die Beratungen dazu im Parlament bereits im Herbst beginnen. Die neue Regierung wird wahrscheinlich noch einmal den Entwurf der aktuellen geschäftsführenden Truppe von Attal überarbeiten.

Nicht zuletzt droht eine langwierige Regierungsfindung auch als Verzögerungstaktik Macrons interpretiert zu werden, was den Frust und Vertrauensverlust in der Bevölkerung weiter wachsen lassen könnte. Viel Zeit bleibt dem Präsidenten also nicht, um einen neuen Premierminister für Frankreich zu finden.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Politik
Politik Bundeswehr: Rüstung auf dem Papier – Defizite auf dem Feld
29.06.2025

Die Bundeswehr bleibt trotz 100-Milliarden-Sondervermögen kaum einsatzfähig. Es fehlt an Ausrüstung, Personal und Struktur. Ist das...

DWN
Politik
Politik Experte fürchtet politischen Schock in Europa: „Es ist tatsächlich beängstigend“
28.06.2025

Europa taumelt: Rechte Parteien sind auf dem Vormarsch, Frankreich droht der Machtwechsel. Experte Rahman warnt: Das „Trump-Moment“...

DWN
Technologie
Technologie Neue Technologien am Körper: Gehirnimplantate, künstliche Intelligenz, elektronische Tattoos
28.06.2025

Hightech greift immer direkter in den menschlichen Körper ein. Ob Gehirnimplantate, elektronische Tattoos oder künstliche Intelligenz...

DWN
Politik
Politik Machtverlust oder Wendepunkt? Irans Zukunft nach dem Konflikt
28.06.2025

Nach dem militärischen Schlagabtausch mit Israel steht der Iran politisch und gesellschaftlich unter Druck. Zwischen Machtkonsolidierung,...

DWN
Unternehmen
Unternehmen So gelingt der Einstieg: KI im Personalwesen mit System etablieren
28.06.2025

Künstliche Intelligenz erobert Schritt für Schritt das Personalwesen. Deutschland liegt im europäischen Vergleich weit vorne – doch...

DWN
Politik
Politik Familienkonzern Trump: Wie der Präsidenten-Clan Milliarden scheffelt
28.06.2025

Die Trump-Familie vermischt Politik und Profit wie nie: Während Donald Trump das Weiße Haus beherrscht, expandieren seine Söhne mit...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Börsenausblick 2025: Drohen jetzt heftige Kursbeben?
28.06.2025

Die Sommermonate bringen traditionell Unruhe an den Finanzmärkten. Mit Trump im Weißen Haus steigen die Risiken zusätzlich. Erfahren Sie...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Milliarden für heiße Luft: Ex-OpenAI-Chefin kassiert ohne Produkt
28.06.2025

Ein Start-up ohne Produkt, eine Gründerin mit OpenAI-Vergangenheit – und Investoren, die Milliarden hinterherwerfen. Der KI-Hype kennt...