Mehr als einen Monat ist seit der vorgezogenen Parlamentswahl in Frankreich vergangen, doch es bleibt unklar, wie die neue Regierung aussehen wird. Präsident Emmanuel Macron spielt auf Zeit und wollte erst die Olympischen Spiele abwarten, die an diesem Sonntag endeten. Wird Frankreich bald einen neuen Regierungschef haben? Der Druck auf Macron dürfte jedenfalls aus allen Richtungen steigen, um das Land vor politischem Stillstand zu bewahren.
Wahlergebnis stellt Frankreich vor eine politische Herausforderung
Zurück zum Anfang: Entgegen den Erwartungen konnte bei der Neuwahl der französischen Nationalversammlung Anfang Juli nicht das rechtsnationale Rassemblement um Marine Le Pen gewinnen, sondern das Linksbündnis Nouveau Front Populaire ging als Sieger hervor. Macrons Mitte-Kräfte landeten auf dem zweiten Platz.
Die Wählerinnen und Wähler stellten die Abgeordneten mit ihrem Ergebnis vor eine große Herausforderung. Keines der Lager verfügt über eine absolute Mehrheit. Für Frankreich, wo größere Kompromisse und Koalitionen in der Politik selten sind, stellt dies eine äußerst komplexe Situation dar.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Interpretationen des Wahlergebnisses stark auseinandergehen. Im linken Lager sieht man einen klaren Regierungsauftrag und ärgert sich über Staatschef Macron, der die vorgeschlagene Premierministerin Lucie Castets nicht ins Amt beruft. Macron hingegen deutet das Wahlergebnis als Wunsch der Wählerschaft nach einer Zusammenarbeit über politische Lagergrenzen hinweg, sodass auch seine Mitte-Kräfte Teil der Regierung sein sollten.
Kommt es in Frankreich zu einer großen Koalition?
Ist Macron, der die vorgezogene Parlamentswahl ohne wirkliche Not eingeleitet und krachend verloren hat, nur ein schlechter Verlierer, der keine Macht abgeben will? Oder ist er Realist? Sucht er, entgegen der Tradition in Frankreich, nach einer möglichen großen Koalition, um die politische Blockade zu lösen?
Aus Macrons Lager mehren sich jedenfalls die Stimmen, die betonen, wo es Überschneidungen mit den Konservativen sowie den Sozialisten, Grünen und Kommunisten gibt, die man aus ihrer Allianz mit der Linkspartei La France Insoumise herauszulösen versucht.
Die beigeordnete Landwirtschaftsministerin Agnès Pannier-Runacher drängt auf Zugeständnisse des eigenen Lagers. Und die beigeordnete Ministerin für Gleichstellung, Aurore Bergé, räumt ein: "Wir müssen den Parlamentswahlergebnissen ins Auge sehen und viel Demut an den Tag legen. Das bedeutet auch, dass der nächste Premierminister nicht aus unseren Reihen stammen kann."
Trotz Gemeinsamkeiten bleibt eine Einigung in Frankreich schwierig
Auch eine Gruppe von Experten, die an den Programmen des Linksbündnisses, des Mitte-Lagers oder der Konservativen mitgewirkt hat, veröffentlichte kürzlich 40 Politikvorschläge, die linke, konservative und zentristische Parteien ihrer Meinung nach gemeinsam umsetzen könnten.
Wie jedoch die unterschiedlichen Parteien zusammenfinden könnten, bleibt ungewiss. Das linke Lager, das schon wenig von einer Zusammenarbeit mit Macrons Mitte-Kräften hält, dürfte mit den Konservativen erst recht nicht koalieren wollen. Umgekehrt gilt dasselbe. Auch innerhalb von Macrons Lager gibt es noch viele, die Schwierigkeiten haben, sich eine Zusammenarbeit mit den Grünen vorzustellen.
Dass die Parteien sich langsam aber sicher auch für die Präsidentschaftswahl 2027 positionieren und daher eher Distanz zueinander suchen, erschwert die Situation zusätzlich.
Zeit für eine Regierungsfindung in Frankreich drängt
Obwohl Macron betont, dass es nicht um eine einzelne Person geht, dürfte die Frage, wer die Regierung anführt, in den Gesprächen eine zentrale Rolle spielen. Neben der von den Linken vorgeschlagenen Castets werden etwa der konservative Regionalpräsident Xavier Bertrand, der ehemalige Premier Bernard Cazeneuve und der frühere französische Außenminister sowie spätere EU-Kommissar Michel Barnier als potenzielle Premierminister gehandelt. Wie schon beim geschäftsführenden Regierungschef Gabriel Attal könnte Macron jedoch auch diesmal einen Überraschungskandidaten präsentieren.
So schwierig es auch sein mag, auszuhandeln, wer in Frankreich künftig mit welcher Mannschaft regiert, die Zeit drängt. Denn für das kommende Jahr muss ein Haushalt verabschiedet werden. Eigentlich würden die Beratungen dazu im Parlament bereits im Herbst beginnen. Die neue Regierung wird wahrscheinlich noch einmal den Entwurf der aktuellen geschäftsführenden Truppe von Attal überarbeiten.
Nicht zuletzt droht eine langwierige Regierungsfindung auch als Verzögerungstaktik Macrons interpretiert zu werden, was den Frust und Vertrauensverlust in der Bevölkerung weiter wachsen lassen könnte. Viel Zeit bleibt dem Präsidenten also nicht, um einen neuen Premierminister für Frankreich zu finden.