Politik

Bürgergeld: Während die FDP kürzen will, kämpfen Menschen bundesweit für mehr

Die FDP möchte das Bürgergeld kürzen - und zwar um 14 bis 20 Euro pro Monat. Das entspricht jährlichen Einsparungen im Gesamtvolumen von rund 850 Millionen Euro. Während in Berlin über Sparmaßnahmen debattiert wird, kämpfen viele Bürgergeldempfänger bereits darum, ihre Ansprüche geltend zu machen. Sie erhalten oft nicht das, was ihnen zusteht - ein Thema mit Konfliktpotential.
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21.08.2024 16:00
Lesezeit: 5 min

Inmitten der politischen Auseinandersetzungen um den Bundeshaushalt 2025, der aktuell durch die Ampelkoalition diskutiert wird, hebt sich ein Vorschlag besonders hervor: die Kürzung des Bürgergeldes um 14 bis 20 Euro monatlich. FDP-Fraktionschef Christian Dürr präsentiert diese Maßnahme als einen Schritt zur Haushaltsdisziplin und als Teil eines umfassenden Plans, 850 Millionen Euro jährlich einzusparen. Zum Vergleich: Die Deutsche Bahn benötigt 850 Millionen Euro für die Modernisierung der Schnellfahrstrecke Hannover–Würzburg.

Doch hinter dieser Entscheidung verbirgt sich nicht nur ein finanzieller Ratschlag, sondern auch eine dramatische Realität für Millionen von Bürgergeldempfängern. Diese Kürzung könnte für viele Menschen weit mehr als nur einen kleinen finanziellen Einschnitt bedeuten. Sie könnte die Lebensgrundlage vieler Haushalte bedrohen und verdeckt die zugrundeliegenden Probleme im Sozialleistungssystem.

Deutschlands größte Verbraucherrechtskanzlei rightmart.de hat in einer aktuellen Auswertung untersucht, in welchen Regionen die meisten Menschen ihre Bürgergeldbescheide rechtlich überprüfen lassen. Die Analyse basiert auf über 35.000 Anfragen, die bei rightmart im Zeitraum von Januar 2023 bis Juni 2024 eingegangen sind. Diese Auswertung verdeutlicht, dass Bürgergeldempfänger oft um ihre Ansprüche kämpfen müssen, da sie nicht immer das erhalten, was ihnen eigentlich zusteht.

Bürgergeld 2024: aktuelle Regeln

Um zu verstehen, was die FDP konkret kürzen möchte, ist es wichtig, die zugrundeliegenden Summen zu kennen. Hier ein Überblick:

Regelbedarf

Deckt grundlegende Bedürfnisse wie Ernährung, Kleidung und soziale Teilhabe ab. Abhängig von der Lebenssituation variiert der monatliche Betrag, z.B. 563 Euro für Alleinstehende ab 2024.

Mehrbedarf

Werden bei besonderen Lebensumständen wie Schwangerschaft, Behinderung oder Alleinerziehung anerkannt. Die Höhe ist abhängig von individuellen Faktoren, z.B. 36 Prozent Mehrbedarf für Alleinerziehende mit einem Kind unter 7 Jahren.

Bedarf für Unterkunft und Heizung

Angemessene Kosten für Miete und Heizung werden übernommen, wobei die Angemessenheit örtlich geregelt wird. Im ersten Bezugsjahr („Karenzzeit“) werden die tatsächlichen Unterkunftskosten übernommen, die Heizkosten jedoch nur in angemessenem Umfang.

Einmalige Leistungen

Auf Antrag können besondere Bedarfe, wie Erstausstattung bei Geburt oder Haushaltsgründung, zusätzlich abgedeckt werden.

FDP-Kürzungen: Sozialer Ausgleich oder Sparzwang auf Kosten der Bedürftigen?

„Kürzen, wo es geht“, scheint das Motto der FDP zu sein, wenn sie das Bürgergeld ins Visier nimmt. Christian Dürr und seine Parteikollegen sehen in der geplanten Kürzung um 14 bis 20 Euro monatlich einen praktikablen Schritt zur Einsparung von 850 Millionen Euro jährlich.

„Das würde sowohl die Steuerzahler um bis zu 850 Millionen Euro entlasten als auch die Arbeitsanreize erhöhen“, so Christian Dürr, FDP-Fraktionschef (Zitat: ZDF).

Diese Zahl mag im großen Finanzhaushalt als unbedeutend erscheinen, im Gegensatz dazu sind die Auswirkungen für die betroffenen Bürger erheblich und weitreichend. Während in den politischen Hallen über diese Einsparungen diskutiert wird, zeigt sich auf der anderen Seite die Realität vieler Bürgergeldempfänger: Jeder Euro zählt - und 20 Euro weniger können den Unterschied zwischen finanzieller Sicherheit und prekärer Unsicherheit ausmachen.

Das Bürgergeld, ursprünglich als sozialer Ausgleich und Unterstützung für einkommensschwache Haushalte konzipiert, hat sich oft als unzureichend erwiesen. Die geplante Kürzung ignoriert die Tatsache, dass viele Menschen in prekären Lebenslagen auf das Bürgergeld angewiesen sind, um grundlegende Bedürfnisse wie Nahrung, Unterkunft und medizinische Versorgung zu decken.

“Eine enorme Anzahl der bei uns eingereichten Bescheide kommt von alleinerziehenden Müttern. Für sie können hundert Euro mehr oder weniger den Ausschlag geben zwischen Existenzangst und temporärer Sicherheit. Entsprechend nachvollziehbar ist es, dass sie in Zweifelsfällen den Rechtsbeistand suchen”, so Mohamed El-Zaatari, Rechtsanwalt und Rechtsabteilungsleiter bei rightmart.

Dürr weist mit seinem Vorschlag zwar zurecht darauf hin, dass eine Anpassung nach unten aus finanzpolitischer Sicht nachvollziehbar wäre, "weil bei der letzten Berechnung die Inflation höher eingeschätzt wurde, als sie sich tatsächlich entwickelt hat" - das zeigt auch ein Blick auf die aktuelle Entwicklung der Verbraucherindizes in Deutschland:

Aber: Die FDP scheint in ihrer Sparpolitik übersehen zu haben, dass die Höhe der Sozialleistungen nicht nur eine Frage des Budgetrahmens, sondern auch der sozialen Gerechtigkeit ist. Zudem hat eine Analyse der Ökonomin Irene Becker im Auftrag des Paritätischen Gesamtverbands ergeben, dass Bezieher von Bürgergeld zwischen 2021 und Ende 2023 massive Kaufkraftverluste hinnehmen mussten. Sie stellt klar, dass die Verluste selbst durch die Bürgergelderhöhungen Anfang 2023 und 2024 nicht ausgeglichen werden konnten.

Der Kampf um das Bürgergeld 2024: Regional unterschiedlich

Während die politischen Entscheidungsträger in Berlin über Kürzungen und Einsparungen diskutieren, zeigen die Daten von rightmart, dass die Realität vor Ort weit komplexer ist. Bürgergeldempfänger kämpfen in ganz Deutschland darum, ihre Ansprüche korrekt durchzusetzen.

Die Verbraucherrechtskanzlei rightmart stützt ihre Analyse auf Daten der Agentur für Arbeit. Die Auswertung zeigt, in welchen Bundesländern die Berechtigten am häufigsten ihren Bürgergeld-Bescheid überprüfen ließen. Besonders auffällig war dies in Rheinland-Pfalz, wo etwa 2.000 von 222.572 Leistungsberechtigten (0,9 Prozent), in Thüringen, wo rund 950 von 119.091 Leistungsberechtigten (0,8 Prozent), und in Baden-Württemberg, wo etwa 3.930 von 491.166 Leistungsberechtigten (0,8 Prozent) ihren Bescheid prüfen ließen.

Rightmart hat auch untersucht, in welchen Städten Deutschlands die Bürgergeld-Berechtigten ihre Bescheide am häufigsten überprüfen ließen. Besonders hervorzuheben sind dabei Magdeburg, wo etwa 217 von 23.110 Berechtigten (0,94 Prozent) ihren Bescheid prüfen ließen, Hagen, wo rund 213 von 26.366 Berechtigten (0,81 Prozent), und Mannheim, wo etwa 232 von 29.062 Berechtigten (0,80 Prozent) dies taten.

Gelsenkirchen führt deutschlandweit mit dem höchsten Anteil an Bürgergeldempfängern: 19,5 Prozent der Einwohner sind anspruchsberechtigt. Von diesen lassen nur 0,45 Prozent ihren Bürgergeld-Bescheid rechtlich überprüfen. Auf den Plätzen zwei bis fünf folgen Bremen (16,98 Prozent), Dortmund (14,93 Prozent), Duisburg (14,66 Prozent) und Essen (14,64 Prozent) als Städte mit dem höchsten Anteil an Leistungsberechtigten.

Die drei Länder, in denen sich die Leistungsberechtigten am seltensten rechtlichen Beistand zur Überprüfung ihrer Bürgergeld-Bescheide holen, sind Schleswig-Holstein, Berlin und Sachsen. In Schleswig-Holstein ließen lediglich etwa 1.110 von 195.338 Berechtigten (0,57 Prozent) ihren Bescheid überprüfen, in Berlin waren es rund 2.450 von 453.083 Berechtigten (0,54 Prozent) und in Sachsen etwa 1.260 von 246.812 Berechtigten (0,51 Prozent).

Die Tatsache, dass in bestimmten Regionen eine höhere Überprüfungsquote festzustellen ist, deutet darauf hin, dass in diesen Gebieten entweder ein besseres Bewusstsein für mögliche Fehler oder eine bessere Unterstützung bei der Bescheid-Prüfung vorhanden ist, erklärt ein Experte von rightmart. In anderen Regionen, wo weniger Prüfungen vorgenommen werden, könnte das Fehlen von Informationen oder Unterstützungsangeboten eine Rolle spielen.

“Grund dafür, warum sich vergleichbar wenige Menschen rechtliche Unterstützung bei der Bescheid-Prüfung einholen, sind einerseits fehlende beziehungsweise schwer zugängliche Infos zum Widerspruchsverfahren. Andererseits gehen viele davon aus, dass eine staatliche Behörde bei der Betragshöhe keinen Fehler macht. Natürlich muss auch beachtet werden, dass wir nur auf Daten von Personen Zugriff haben, die sich tatsächlich rechtlichen Beistand suchen und nicht selbst beim Jobcenter Widerspruch einlegen”, so Mohamed El-Zaatari.

Bürgergeld kürzen? Ein Aufruf zur Neubewertung

Die Diskussion um das Bürgergeld und die geplante Kürzung durch die FDP ist ein klarer Hinweis auf die Notwendigkeit einer umfassenden Neubewertung der sozialen Sicherungssysteme. Es ist an der Zeit, die Symbolik von Kürzungen hinter sich zu lassen und sich auf echte, nachhaltige Lösungen zu konzentrieren, die den Bedürfnissen der Bürger gerecht werden. Der wahre Fortschritt liegt nicht in der Kürzung von Leistungen, sondern in der Verbesserung und Optimierung der sozialen Unterstützungsmechanismen.

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                                                                            ***

Iana Roth ist Redakteurin bei den DWN und schreibt über Steuern, Recht und HR-Themen. Zuvor war sie als Personalsachbearbeiterin tätig. Davor arbeitete sie mehrere Jahre als Autorin für einen russischen Verlag, der Fachliteratur vor allem für Buchhalter und Juristen produziert.

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