Wenn US-Präsident Joe Biden statt Demokrat Mitglied bei den Sozialdemokraten wäre, hätte er wohl nicht nur auf eine Neuauflage als Regierungschef verzichtet, sondern gleich die Partei verlassen bei den schlechten Umfragewerten.
Niemand weiß das besser als der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil. Er hasst den Spagat, Olaf Scholz die Treue zu schwören, wenn ihm seine Auguren bedeuten, dass die stolze Arbeiterpartei bei ihrem Abwärtsstrudel allmählich, aber sicher in der Bedeutungslosigkeit zu landen droht. Einen Vorgeschmack dürfte es bei den Wahlen in Mitteldeutschland im September geben. Wie also die Stimmung verbessern? Vielleicht findet Klingbeil antworten in den USA – dem Land der Trends und Überraschungen.
Neuen Schwung und etwas von der ansteckenden Euphorie aus den USA mitbringen
Klingbeils Reise soll jedenfalls für „neuen Schwung“ sorgen, wie er sagt und die Mitglieder in Tweets auf X wissen lässt. Er habe vor Ort sofort gespürt, „dass bei den Demokraten so eine richtige Euphorie entsteht“. Die Rejuvenation der Demokraten sei beinahe mit Händen greifbar. „Man glaubt jetzt wieder dran, dass man gewinnen kann, und das hat man hier heute in der Halle auch gespürt“, weiß Klingbeil.
Was könnten die Sozialdemokraten also anders machen im Willy-Brandt-Haus, wenn die Strategen in den kommenden Wochen die von Klingbeil mitgebrachte Blaupause in deutsche Handlungsanweisungen übersetzen möchten?
Man müsste wohl oder über die Kandidatenfrage in den Mittelpunkt stellen. Auch im Fall Joe Biden war es erst Nancy Pelosi, die „Grande Dame der Demokraten“ und langjährige Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, die gemeinsam mit Ex-Präsident Barack Obama den Druck so weit erhöht hat, dass Biden nicht mehr anders konnte.
Kandidatenwechsel war der Schlüssel in den USA – bei uns ist die SPD noch nicht so weit
Im Fall Scholz ist die SPD noch lange nicht vom notwendigen Kandidatenwechsel überzeugt. „Ich hab ja sehr klargemacht, dass wir mit Olaf Scholz antreten wollen, das sehen auch alle in der Spitze der SPD so“, betont Klingbeil. Um sogleich einzuschränken, dass Wahlkämpfe immer eine ganz eigene Dynamik entfalten. „Da kommt vieles noch mal in Bewegung, da entsteht ein neuer Schwung. Auch der entsteht manchmal in der Tat über personelle Wechsel, so wie das hier ist, an anderen Stellen dann auch über programmatische Veränderungen.“
Klingbeil ist auf der Suche nach einer neuen Überschrift. „Nicht dieses Klein-Klein der Regierungsarbeit, sondern wirklich die großen Themen.“ Er hofft, dass da was über den großen Teich schwappt, wie bei den meisten Trends, die zeitversetzt hier als Kulturwandel wahrgenommen werden.
Klingbeil versucht allen Partei-Arbeitern Mut zu vermitteln: „Natürlich tue ich jetzt auch alles dafür, dass der nächste Parteitag bei uns auch euphorisch wird, dass auch dran geglaubt wird, dass wir die Bundestagswahl gewinnen“, sagte Klingbeil. Und nennt explizit auch die Inhalte und Schlagworte, die Kamala Harris in den USA auf die Agenda gesetzt habe, um die Wähler in den Swing States abzuholen und zum Seitenwechsel zu bewegen. „Da lässt man sich hier natürlich auch ein bisschen inspirieren.“
Die Preise runter und Steuerentlastungen für die arbeitende Mitte
Steuerentlastungen für die "working class", was in unserem Breiten den Arbeitern und Angestellten im Mittelstand entspricht. Die Sache mit der Inflation und den Verbraucherpreisen, die in den vergangenen Jahren durch die Decke gegangen sind, und den kleinen Leuten jeglichen Spielraum genommen haben. „Die Preise müssen runter“, wäre der zu adaptierende Slogan für Deutschland. Wobei die deutschen Supermärkte (anders als in den USA) von sich aus Preissenkungen durchzusetzen vermögen – auch gegen Landwirtschaft und Produzenten, wenn es darauf ankommt. Bei uns sind es denn wohl eher die Immobilienpreise, die den Mittelstand in Angst und Schrecken versetzen und damit die Konjunktur und den Aufschwung am Bau abwürgen.
Dass Klingbeil wie alle anderen Parteitags-Touristen dieser Tage in Chicago mitgerissen sind, ist eigentlich selbst redend. Doch der SPD-Chef legt sich wenig überraschend trotzdem fest: „Ich wünsche mir, dass Kamala Harris diese Wahl gewinnt“, gesteht er. „Das ist alles ein harter Kampf, aber es gibt eine große Chance, dass sie gewinnen kann. Und da drücken wir alle die Daumen.“ Die Frage ist, ob er nach der Rückkehr wirklich Weichen für den Wahlkampf in Deutschland 2025 neu stellen wird?