Technologie

Magnesium neu gedacht: Salzwasser und kräftig Sonne ergibt das Metall der Zukunft

Die meisten Menschen dosieren Magnesium üblicherweise nur in Pillengröße als tägliches Nahrungsergänzungsmittel. Für so manchen wirkt Magnesium wie ein Wundermittel im Körper - zum Beispiel gegen Krämpfe und Regelbeschwerden. Doch auch in der Industrie 2.0 kann das Mineral wahre Wunder bewirken. Es lässt sich bei relativ niedrigen Temperaturen zu Metall verarbeiten. Chinas E-Auto-Offensive lebt davon. In Deutschland scheint die Wirtschaft die Chancen übersehen zu haben.
09.09.2024 16:00
Lesezeit: 5 min
Magnesium neu gedacht: Salzwasser und kräftig Sonne ergibt das Metall der Zukunft
Magnesium-Radnaben für Elektroautos stehen in einer Werkstatt der Dongfeng Magnesium Co., Ltd. in Shenmu City, Provinz Shaanxi im Nordwesten Chinas. Die weltweite Versorgungslage bei dem für den Auto- und Flugzeugbau dringend benötigten Metall Magnesium wird überwiegend von China gedeckt. (Foto: dpa) Foto: Shao Rui

Magrathea Metals heißt die kleine Firma mit Hauptsitz in San Francisco, die derzeit die Wirtschaft der fünftgrößten Volkswirtschaft, also Kalifornien, geradezu elektrisiert. Nicht wenige sagen: California hat endlich seinen nächsten Trend gefunden - nach Surfing, Skating und Silicon Valley. Man nehme einfach das Salzwasser aus dem Pazifik, trockne es ausgiebig in der prallen Sonne Kaliforniens und schon gewinnt man umweltfreundliches Metall für den Einsatz im Autobau, leichte Flugzeuge oder auch Fahrradrahmen.

Kein Hexenwerk und sicherlich keine Neuerfindung. Erinnern Sie sich an den guten alten Käfer, der hatte traditionell ein günstiges und leichtes Kurbelgehäuse und einen Getriebekasten aus Magnesium - millionenfach bewährt. Selbst der Boxermotor im Heck des Herbie bestand teilweise aus Magnesium. Der Stoff ist vier Mal leichter als Stahl und rund eineinhalb Mal leichter als das Leichtmetall Aluminium.

Und trotzdem scheinen so manche Betriebe das naheliegende Geschäft verpasst zu haben. Kali & Salz (K+S) etwa, der große deutsche Düngemittellieferant aus Kassel. Auch dort hat man natürlich Magnesium auf dem Schirm. „In der Düngeplanung liegt ein hohes Augenmerk auf Stickstoff, Phosphor und Kalium. Doch was ist mit Magnesium? Es lohnt sich, die Funktionen dieses Nährstoffs in der Pflanze genauer unter die Lupe zu nehmen. Denn Magnesium bietet ein großes Potenzial, Wachstum und Ertragsbildung zu optimieren", heißt es auf K+S-Homepage. Und sonst?

Was lehrt uns Wikipedia? Magnesium ist eines der zehn häufigsten Elemente der Erdoberfläche. Es kommt in zahlreichen Mineralstoffen, im Meerwasser, und auch im Blattgrün von Pflanzen vor. Magnesium kommt in der Natur allerdings wegen seiner Reaktionsfreudigkeit nicht in elementarer Form vor. Als Mineral tritt es überwiegend in Form von Carbonaten, Silikaten, Chloriden oder Sulfaten auf. Als Dolomit ist es sogar gebirgsbildend, so etwa in den norditalienischen Dolomiten. Im Leitungswasser gelöst, ist Magnesium zusammen mit Calcium für hartes Wasser verantwortlich. Im salzigen Meerwasser ist Magnesium mit einer Konzentration von ungefähr 1,3 kg pro Kubikmeter enthalten, was einer Stoffmengen-Konzentration von 0,054 mol/L entspricht. Damit ist Magnesium nach Natrium das zweithäufigste metallische Element im Meerwasser. Dies ermöglicht eine ökonomische Gewinnung von Magnesium aus Meerwasser - wie es jetzt in Kalifornien gerade en vogue wird.

Aus mettalurgischem Basiswissen mehr rausholen als Schmerzmittel

Warum nur verwandeln nicht mehr deutsche Unternehmen Magnesium in Metallstücke oder dünne Legierungsbleche? Die Bestrebungen nach Leichtbau führten Ende des 20. Jahrhunderts zur Entwicklung insbesondere von besonders leichten Magnesium-Lithium-Legierungen. Aufgrund der hohen Herstellkosten werden sie bisher aber fast ausschließlich in der Luft- und Raumfahrt sowie für die Militärtechnik verwendet - in bescheidenen Mengen. Deutschland war also durchaus mal auf den richtigen Wege, aus dem metallurgischen Basiswissen mehr zu genieren als nur Tabletten und Zusatzstoffe. Peter Harry Carstensen zum Beispiel warb dafür anno 2007, als er in Schleswig-Holstein, das Magnesium Innovations Center im GKSS-Forschungszentrum Geesthacht besuchte und stolz eine Autotür präsentierte - wie unser Foto von damals zeigt.

Natürlich können das inzwischen auch andere deutsche Firmen. In einem Tochterunternehmen von ThyssenKrupp Steel etwa wurden schon 2008 unter experimentellen Bedingungen Magnesiumhalbzeuge hergestellt (siehe Foto). Gemeinsam mit 15 Partnerunternehmen werden derlei Magnesiumknetlegierungen im Fahrzeugbau eingesetzt. Magnesium schmilzt bei 650 Grad und wiegt nur 35 Prozent gegenüber Aluminium. Alles bekannt. Woran hapert es also?

Die deutschen Hersteller kommen nicht gegen die Wettbewerber aus China an, die dank ihrer Kohlekraftwerke unschlagbar billig, aber auch ungeheuer schmutzig produzieren und dabei angeblich sogar billige Lohnsklaven zur Fertigung einsetzen. So wird es jedenfalls in den USA dargestellt, wo man in Kalifornien perspektivisch nichts weniger erwartet, als dass die Technologie absehbar auch wirtschaftlich konkurrenzfähig wird - für die Vereinigten Staaten (und den Rest der Welt).

Dank der Energieversorgung Kaliforniens, die im Gegensatz zu Deutschland und anderen Ländern Europas bei der Transformation vom Kohlewasserstoff hin zu Wind und vor allem Sonne vorangeht und ganz und gar nicht hinterher hinkt. Bis 2045 will es Gouverneur Gavin Newsom geschafft haben, sämtlichen Strom im Lande aus Solarzellen zu generieren. Die Wetten laufen bereits, dass er sogar schneller sein wird, als das selbst gesteckte Ziel. Magrathea in San Francisco ist das Poster-Startup, hat Millionen Dollar an Förderung erhalten und gibt nun richtig Gas. Die bisher produzierte Tonnage ist noch vergleichsweise gering, doch die erhoffte Skalierung sei ein Kinderspiel. Es ist der liebenswürdige Optimismus der Amerikaner, wenn sie glauben, das Ei des Kolumbus entdeckt zu haben.

"Seit einem Jahrhundert beseitigt Magnesium das Leergewicht von Fahrzeugen in Autos, Lastwagen, Flugzeugen, Hubschraubern und im Weltraum. Leichte Werkstoffe werden seit Jahrzehnten angestrebt, um die Normen für die Kraftstoffeffizienz zu erfüllen. Sie werden jedoch mehr denn je benötigt, um die Reichweite von Elektrofahrzeugen in einer Welt mit begrenzter Lithium-Ionen-Batterieversorgung zu erhalten", heißt es da auf der Firmenseite. Klingt ganz simpel, oder?

Deutschland ist auf dem besten Wege, gleichfalls die Landschaft voll mit Solarzellen zu pflastern, schon jetzt produzieren wir in den den Spitzen überflüssigen Solarstrom, der teurer in der Förderung sind, als sie letztlich an der Strombörse in Leipzig verkauft werden können - vor allem in der Mittagshitze des Sommers. Ist es also nicht an der Zeit, in der Lausitz etwa in das Magnesium-Geschäft einzusteigen? Oder sind da dazu erst noch geheime Experimente vonnöten? Nur so als Beispiel: "Tesla leistete Pionierarbeit bei der Giga-Casting-Technologie zur Herstellung riesiger Aluminiumteile in einem Schritt. Ältere Automobilhersteller hielten das für verrückt, aber es funktionierte. Magnesium ist ein gutes Gussmaterial, das schnell abkühlt, ohne die Werkzeuge zu beschädigen, und das sich leicht bearbeiten lässt. Chinesische Unternehmen haben es bereits im Giga-Gussverfahren hergestellt." Das können wir in Deutschland auch, oder?

Als Millionen Käfer mit einem Motorblock aus Magnesium die Welt eroberten

Man hört nur nichts davon aus Stuttgart, Wolfsburg und München. Wie kann das sein? Ist es ein geopolitisches Problem, das da verdrängt wird? "Die 2020er-Jahre sind ein prekäres Jahrzehnt der Großmachtkonflikte. Mehr als 90Prozent des Magnesiums wird in China, Russland und dem Iran hergestellt, obwohl es in einer Vielzahl von Hochleistungs-Verteidigungsanwendungen eingesetzt wird. Wir bauen eine Versorgungsbasis für Magnesium in den USA, Europa und Australien auf, die unsere gemeinsame Sicherheit stärkt", so lautet das vollmundige Versprechen von Magrathea Metals in San Francisco. Das sollte Ansporn genug sein!

Wir haben uns in Deutschland der Energiewende verpflichtet. Womöglich haben wir leider nur den falschen Leute die Autoschlüssel gegeben. Robert Habeck und sein Team sind in Sachen Heizungen mit der teuren Karre in den Graben gefahren. Bei dem Ausbau der erneuerbaren Energien sieht es schon besser aus - dort können wir zumindest bereits das Ziel am Horizont erkennen. Jetzt müssen wir nur noch die Speicher bauen, für den vielen Solarstrom, und endlich Peter Harry Carstensen anrufen, dass sein altes Projekt in Geesthacht bald doch noch eine große Zukunft am Standort Deutschland hat.

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Peter Schubert

Peter Schubert ist stellv. Chefredakteur und schreibt seit November 2023 bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Immobilienthemen. Er hat in Berlin Publizistik, Amerikanistik und Rechtswissenschaften an der Freien Universität studiert, war lange Jahre im Axel-Springer-Verlag bei „Berliner Morgenpost“, „Die Welt“, „Welt am Sonntag“ sowie „Welt Kompakt“ tätig. 

Als Autor mit dem Konrad-Adenauer-Journalistenpreis ausgezeichnet und von der Bundes-Architektenkammer für seine Berichterstattung über den Hauptstadtbau prämiert, ist er als Mitbegründer des Netzwerks Recherche und der Gesellschaft Hackesche Höfe (und Herausgeber von Architekturbüchern) hervorgetreten. In den zurückliegenden Jahren berichtete er als USA-Korrespondent aus Los Angeles in Kalifornien und war in der Schweiz als Projektentwickler tätig.

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