Politik

Krieg gegen Ukraine: Für Russland ein Kampf um Rohstoffe - für uns auch?

Lesezeit: 6 min
09.07.2024 13:55
Sahra Wagenknecht sagt, sie habe Ökonomie studiert und sehe Dinge deutlich klarer seither. Mag sein! Aber sie verrät nicht, was sie über Russlands Beweggründe für den Überfall auf die Ukraine weiß oder wissen sollte. Für Putin geht es um ein simples Rechenexempel - freilich nicht um das Leben der Soldaten oder Zivilisten, sondern um die wirtschaftliche Bilanz des Krieges. Was unter dem Strich übrig bleibt? Russlands Reingewinn an reichen Ressourcen.

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Bei uns schüttelt man zumeist nur den Kopf und hat die wirtschaftlichen Folgen für Deutschland im Blick. Was dieser Krieg kostet! Und was man Sinnvolles mit dem lieben Geld anstellen könnte! „Die wirtschaftlichen Kosten für Deutschland nach zwei Jahren Ukrainekrieg dürften deutlich höher liegen als 200 Milliarden Euro“, schätzt der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher. Die gesamten Militärausgaben von Russland, Ukraine, Nato sowie deren verbündete Staaten belaufen sich derzeit auf rund 250 Milliarden Euro.

Ökonomen schätzen, dass die russische Invasion bis 2026 einen Bruttoinlandsprodukt-Verlust in der Ukraine von etwa 120 Milliarden US-Dollar verursacht. Nicht am Krieg beteiligte Drittländer müssen bis 2026 mit einem BIP-Verlust von 250 Milliarden Dollar rechnen, 70 Milliarden allein in der EU. Das zeigt eine Studie des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel.

Über Verlustgeschäfte kann man jedoch trefflich streiten. An einem bestimmten Tax X tauchen sie womöglich als wohlfeile Investitionen in gewinnbringende künftige Geschäfte auf. Abgeschrieben werden sie erst, wenn man sich grundsätzlich verkalkuliert hat - ökonomisch wie auch an der Front, im Kriegsverlauf. Die USA zählen genauestens mit, was Russland in seine Kriegsmaschinerie steckt. US-Vizepräsidentin Kamala Harris bezifferte den Aufwand Putins „mit voraussichtlich 1,3 Billionen Dollar bis 2025“.

Ukraine-Krieg: Rohstoffe als Motiv?

Momentan glauben Wladimir Putin und seine Kamarilla aus gierigen Oligarchen noch, dass sich der Raubzug in der Ukraine lohnen könnte. Die Russen wissen besser als alle anderen auf der Welt, was zwischen dem Donbas, der Krim und Galizien, dem Grenzland zu Polen, an Bodenschätzen unter der schwarzen Erde verborgen liegt. Bei uns hier schwärmt man zumeist nur von den fruchtbaren Böden, die in anderen Zeiten bereits als „die Kornkammer Europas“ die Begehrlichkeiten vergangener Kriegstreiber geweckt hatten.

Im Gegensatz zum russischen Öl- und Gasvorkommen, dessen Wert sich sehr genau berechnen lässt, sind die Bodenschätze der Ukraine bislang in keiner der bekannten wirtschaftlichen Analysen enthalten. Doch allein das Lithium-Vorkommen wird auf gut 500.000 Tonnen geschätzt - eines der größten der Welt.

Das dürfte erklären, warum die Russen seit nunmehr zwei Jahren bereits erbittert um die ukrainische Kleinstadt Kurachowe kämpfen. Die 20.000 Einwohner zählende Ortschaft liegt im Westen der Oblast Donezk auf dem linken Ufer des Kurachower Stausees.

Dort gibt es eine Lagerstätte namens Schewtschenko, wo Lithium im Wert von hunderten Milliarden Dollar vermutet wird. „Gerade hier konzentrieren sich die Hauptangriffskräfte des Feindes, die versuchen, die Verteidigung unserer Truppen zu durchbrechen, Erfolge zu erzielen und große Siedlungen – Kurachowe und Pokrowsk – zu erreichen. Der Feind hat eine beträchtliche Anzahl von Einheiten in diese Richtungen eingesetzt. Er hat zusätzlich vier Brigaden der Streitkräfte der Russischen Föderation eingeführt, er hat von Anfang an eine zahlenmäßige Überlegenheit, sowohl an Personal als auch an Waffen und Wehrtechnik.“ Das bestätigte Nasar Woloschyn, Sprecher der Truppengruppe Chortyzja im ukrainischen TV.

Ukraine: Rohstoffe wie Lithium und seltene Erden

Das ließ manchen Experten für seltene Erden und Rohstoffe aufhorchen. Die großen Lithium-Gebiete in der Ukraine sind bereits seit den 1980er-Jahren bekannt. Ihre Bedeutung ist jedoch erst mit dem Durchbruch der Elektro-Mobilität zu einer inzwischen strategischen Größe geworden. Nicht wenige halten Lithium für das „weiße Gold“ der Neuzeit. Es gilt als Metall der Superlative, leichter als alle anderen Metalle im Periodensystem und mit der höchsten spezifischen Wärmekapazität von Feststoffen. Die sogenannte Lithium-Ionen-Technologie ist das Verfahren, das in Akkus und Batterien die Energiewende der Welt bewerkstelligen soll.

Laut Viola von Cramon, EU-Abgeordnete der Grünen, hat der russische Einmarsch ganz klar eine wirtschaftliche Komponente. „Putin hat sehr gezielt Teile der Ost-Ukraine besetzt, wo bekanntermaßen hohe Gasvorkommen sind. Wenn man sich die Karten anschaut, dann sieht man den sogenannten Lithiumgürtel und auch der umfasst oder grenzt an Gebiete, die Russland besetzt hat“, sagt sie.

Tatsächlich hatte im Juli 2021 die Europäische Union mit der Ukraine ein strategisches Abkommen zur Gewinnung und Verarbeitung von kritischen Rohstoffen beschlossen.

„Batterien, die unsere Elektroautos antreiben, werden den Bedarf an Lithium bis 2050 um das 17-Fache steigen lassen“, glaubt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Sollte der Export von Lithium durch China limitiert werden, ergänzte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und warnte, „dann haben wir wirklich ein Problem“.

Ökonomen haben auf eine weitere seltsame Koinzidenz verwiesen. Angeblich hat die ukrainische Regierung anno 2021 (nur wenige Wochen vor Beginn der Invasion) dem australischen Unternehmen European Lithium Förderrechte für dieses Vorkommen eingeräumt, während der große Wettbewerber Chengxin Lithium aus China bei der Ausschreibung der Schürfrechte den Kürzeren gezogen hatte.

Nach Medien-Berichten sollen im Januar 2024, als die Donbas-Offensive Boden gewonnen hat, voreilig erste „Genehmigungs-Dokumente“ ins Ministerium für natürliche Ressourcen nach Moskau übersandt worden sein.

Verteilung der Bodenschätze: Ökonomische und geostrategische Konsequenz

Die Bundeszentrale für politische Bildung verweist auf folgenden weiteren Zusammenhang: „Als weitere Batterie-Rohstoffe sind Graphit, Kupfer, Nickel und Kobalt von Bedeutung, die sich ebenfalls in der Ukraine finden lassen. Hinzu treten für den Fahrzeugbau Eisen (Stahl), Aluminium und Titan. Hier bieten sich wichtige Potenziale für integrierte Wertschöpfungsketten der Elektromobilität und Umweltindustrien. Allerdings müssen die notwendige Infrastruktur und die Erschließung von Lagerstätten sowie die erforderliche Aufbereitung und Verarbeitung zu industriell benötigten Materialien erst aufgebaut werden, was von der Erschließung bis zur Produktion auf internationalem Niveau etwa sieben bis zehn Jahre dauert.“ Die genauen Zahlen sind mithin ein Blankoscheck für den Sieger des Krieges.

Dass Putin stets glaubte, Deutschland ließe sich durch seine Abhängigkeit von russischem Gas unter Druck setzen, ist die für uns wohl größte Lektion des Krieges. Denn es geht nicht nur um Gas und Öl. Viele der Rohstoffe, die Europa braucht, beziehen wir bislang vor allem aus Russland und China. Die Ukraine mit ihren umfangreichen Rohstoff-Schätzen stellt einen möglichen Ausweg aus der Abhängigkeit dar, den Putin rigoros zu verstellen versucht.

Zugegeben: Lithium-Funde hat es unterdessen auch bei uns in der Eifel und im Oberrheingraben gegeben, außerdem in Norwegen und jüngst sogar in Japan. Eines der mit Abstand größten Vorkommen befindet sich in Chile - allesamt Länder und Regionen, die aus den Rohstoffen bestenfalls ein gutes Geschäft machen.

Doch in der Ukraine gibt es nahezu alles, was für unsere Industrie und Entwicklung essenziell wäre. 22 von 30 strategisch wichtigen Rohstoffen, die von der EU als kritisch eingestuft sind, könnten in der Ukraine gewonnen werden: Titan, Kaolin, Mangan, Zirconium, Graphit, Magnesium, Eisenerz.

Die Russen wissen dies nur zu genau. Putins Taktik könnte aufgehen, wenn wir den Widerstand einstellen. „Aus der räumlichen Verteilung der Bodenschätze ergibt sich eine wichtige geostrategische und -ökonomische Konsequenz: Ein großer Teil dieser Bodenschätze, allen voran Kohle und Gas, sowie große Anteile von metallischen Rohstoffen, befindet sich in derzeit russisch annektierten und besetzten oder in ukrainisch kontrollierten und durch Kriegseinwirkung gefährdeten Gebieten, da sie in der Nähe der derzeitigen Frontlinie liegen. Sollte diese zu einer Waffenstillstandslinie werden, würde kein vernünftiger Investor das Risiko einer Investition in diesen Risikogebieten eingehen“, so das Fazit der Bundeszentrale für politische Bildung.

„Dies könnte ein wichtiger Anreiz für Russland sein, den Krieg dauerhaft fortzusetzen in dem Versuch, die Ukraine wirtschaftlich auszuhungern und Europa massive wirtschaftliche Schäden zuzufügen. Gerade deshalb muss der Westen hier Russland zügig seine wirtschaftliche Macht entgegensetzen, also den Wirtschaftskrieg gegen Russland erheblich ausweiten.“

Russland kontrolliert bereits große Energievorkommen in der Ukraine

Der kanadische Thinktank SecDev schätzt, dass Russland in den besetzten Gebieten der Ukraine bereits jetzt Energievorkommen, Metalle und Mineralien im Wert von mindestens 12,4 Billionen Dollar kontrolliert. Dazu gehörten 41 Kohle-Felder - und damit 63 Prozent der gesamten Kohlevorkommen des Landes. Zudem 27 Erdgas- und neun Ölfelder sowie sechs Eisenerz-Lagerstätten, zwei weitere für Titan, eines für Strontium und Uran.

Selbst ein wichtiger Kalksteinbruch befindet sich unter russischer Kontrolle. Mehr als 26 Billionen Dollar an Rohstoffreserven haben sich die Russen unter den Nagel gerissen, so die Schätzungen von SecDev. Eine Zusammenfassung der SecDev-Erkenntnisse, hat der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages im Jahr 2023 zusammengetragen.

Robert Muggah und Vadim Dryganov von SecDev sehen den außerordentlichen Ressourcen-Reichtum der Ukraine als Motiv für den Angriffskrieg, wie es in der Bundestags-Studie heißt. Die Ukraine verfüge über einige der größten Energie-, Mineral- und Agrar-Ressourcen der Welt. Mit Ausnahme der Landwirtschaft und der Kohle seien viele der ukrainischen Ressourcen während der Sowjetunion und lange danach unterentwickelt und unerforscht geblieben.

Durch die Erschließung dieser Ressourcen und die Diversifizierung ihrer Exporte habe sich die Ukraine in jüngster Zeit bemüht, unabhängiger von Russland zu werden und ihre wirtschaftliche und energetische Sicherheit zu erhöhen. Im Jahr 2013 leitete das Land eine umfangreiche Öl- und Gas-Privatisierung ein, die die russische Invasion und Annexion der Krim im Jahr 2014 und der Angriff auf den Donbas unterbrochen habe.

Und was setzen die Russen diesen Vorwürfen entgegen? Sie drehen den Spieß argumentativ einfach um und behaupten ihrerseits, sie hätten einen „amerikanischen Krieg um das weiße Gold vereitelt“ und präventiv die „Beschlagnahme von Lithium-Vorkommen verhindert“, schrieb der russische Generalmajor Wladimir Owtschinski, ehemaliger Chef der russischen Interpol, in einem Artikel unter der vielsagenden Überschrift „Lithium und der Tod“.

Womit wir wieder bei den Kriegsfolgen wären. Was ist mit den Tausenden Kriegsopfern? Und könnte man das viele Geld nicht nutzbringend einsetzen? Die Kosten des Wiederaufbaus der Ukraine werden derzeit mit rund 370 Milliarden Euro beziffert. Ob Russland jemals dafür haftet und aufkommt, ist die eine Frage. Putin ein Vielfaches der Summe zu schenken und ihn für seine Aggression auch noch zu belohnen, die Gretchenfrage dieses Konflikts. In der Analyse der Politiker spielen sie freilich bisher nur eine untergeordnete Rolle.

                                                                            ***

Peter Schubert ist stellv. Chefredakteur und schreibt seit November 2023 bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Immobilienthemen. Er hat in Berlin Publizistik, Amerikanistik und Rechtswissenschaften an der Freien Universität studiert, war lange Jahre im Axel-Springer-Verlag bei „Berliner Morgenpost“, „Die Welt“, „Welt am Sonntag“ sowie „Welt Kompakt“ tätig. 

Als Autor mit dem Konrad-Adenauer-Journalistenpreis ausgezeichnet und von der Bundes-Architektenkammer für seine Berichterstattung über den Hauptstadtbau prämiert, ist er als Mitbegründer des Netzwerks Recherche und der Gesellschaft Hackesche Höfe (und Herausgeber von Architekturbüchern) hervorgetreten. In den zurückliegenden Jahren berichtete er als USA-Korrespondent aus Los Angeles in Kalifornien und war in der Schweiz als Projektentwickler tätig.


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