Der Startschuss 2023 war laut und vernehmlich: Die Staaten der Europäischen Union sollte nicht noch einmal so eiskalt von einen Energie-Krise erwischt werden - wie im Winter 202272023 durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine und die dadurch verursachte Gaskrise in Europa. Die Kommission schlug vor, dass sich die Länder zu einer gemeinsamen Plattform zusammenschließen, um nicht in einem Wettbewerb und Bieterstreit um rare Ressourcen wie Erdgas zu geraten. Die Geburtsstunde von „Aggregate EU“.
Doch es kann wohl wieder passieren: Es bleibt dabei, Europa ist zu über 80 Prozent von Gas-Importen abhängig und weder Solar-, Wind- oder gar Atomenergie werden dies in den kommenden Jahrzehnten großartig ändern können. Um auf eine neue Gaskrise umfassend vorbereitet zu sein, muss die EU noch etliche Hausaufgaben erledigen, warnt ein heute vom Europäischen Rechnungshof veröffentlichter Bericht. Zwar habe die EU eine Reihe von Sofortmaßnahmen ergriffen, damit Russland Gaslieferungen nicht als Waffe einsetzen könne, doch sei der Nutzen dieser Maßnahmen nicht immer eindeutig. Der Rechnungshof spricht davon, dass die europäische „Gasversorgung weiterhin Lecks“ aufweist
Immerhin hat Deutschland als Nationalstaat mit dem Bau von LNG-Terminals reagiert
Glück im Unglück ist, dass sich einzelne Mitgliedsstaaten wie Deutschland beim Import von LNG-Flüssiggas schnell geöffnet und entsprechende Infrastruktur genehmigt und in Betrieb genommen haben. Dadurch ist freilich der Preis für Gas nicht wirklich günstiger geworden. LNG-Flüssiggas ist eine weltweit frei gehandeltes Gut, dessen Preis dadurch auch nicht wirklich zu kontrollieren ist. Wer die Ware bestellt, muss sie auch bezahlen - den Preise regelt Angebot und Nachfrage. Die Hoffnung ist dabei, dass die USA ihren Exporten nicht per Schieber abriegeln, wenn es mal wieder darum geht, politisch in Konflikten Einfluss zu nehmen. Doch sicher ist das alles keineswegs. Das ist die Erkenntnis des Europäischen Rechnungshofes (ECA).
„Die Krise, die durch den Großangriff Russlands auf die Ukraine im Jahr 2022 ausgelöst wurde, hat die Widerstandsfähigkeit der EU gegenüber einer abrupten Veränderung bei der Gasversorgung auf die Probe gestellt. Zwar stiegen die Preise stark an, was für Familien und Unternehmen mit erheblichen Kosten verbunden war, doch kam es erfreulicherweise nicht zu einem einschneidenden Gasmangel“, sagt João Leão, für die Prüfung zuständiges Mitglied des Rechnungshofs. Seine Forderungen an die EU.Kommission liegen auf dem Tisch: Die angestrebte Versorgungssicherheit ist bislang nicht erreicht worden, die EU müsse hier weitere Anstrengungen unternehmen. Entscheidend wird dabei sein, Transparenz herzustellen, wie die Infrastruktur in Gesamteuropa funktioniert und sich harmonisieren lässt. Von gut 80 angestrebten bilateralen Abkommen zwischen EU-Mitgliedssaaten seien bislang gerade mal acht zustande gekommen. Die versammelte Presse hat dies Ungläubigkeit zur Kenntnis genommen auf der ECA-Pressekonferenz am Montag. Gut möglich, dass sich die Verantwortlichen in Russland wieder einmal ins Fäustchen lassen, wie schwerfällig Europa agiert - und wie uneinheitlich.
Die unzureichenden Mittel und Wege , die gegen Russland gerichteten Sanktionen im Energiebereich durchzusetzen, sind ja durch unzählige Medienberichte bereits hinlänglich bekannt. Fakt ist, dass Russland immer noch für 15 Prozent des Gases in der EU sorgt - deutlich weniger als jene noch 45 Prozent vor dem Angriff 2022. Doch weiterhin genug, um ein einträgliches Geschäft zu machen und die eigene Kriegswirtschaft zu subventionieren. Die EU hat daraufhin diese Woche angekündigt, die Schlupflöcher im LNG-Bereich stopfen zu wollen und dafür entsprechende Sanktionswerkzeuge zu schärfen. Die Umgehungsstrecken sollen geschlossen werden,, ein mühsames Unterfangen, zumal etliche Anrainer-Staaten Russlands nicht mitziehen, sondern ordentlich Marge machen dabei.
Ein weiterer Kritikpunkt: Schließlich weisen die Prüfer darauf hin, dass bei der Technik zur Abscheidung, Nutzung und Speicherung von CO2 (Carbon capture use and storage - CCUS) zu wenige Fortschritte erzielt werden. Dies könne langfristig auch die Versorgungssicherheit gefährden. Angesichts der Klimaziele der EU (insbesondere Netto-Null-Emissionen bis 2050) werde die Verringerung der durch Gas verursachten CO2-Emissionen in diesem Zusammenhang immer wichtiger. Bisher könne mit den vier in der EU kommerziell betriebenen CCUS-Projekten eine Abscheidung von 1,5 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr erreicht werden. Dies sei jedoch nur ein Tropfen auf den heißen Stein im Vergleich zu den 450 Millionen Tonnen CO2, die mithilfe von CCUS bis 2050 jährlich abgeschieden werden müssten, um die Klimaziele der EU zu erreichen.
Wie geht es weiter? Diese Woche startet die nächste Bestell-Runde, in der Unternehmen ihren Gasbedarf für die kommende Heizperiode anmelden können. Die EU setzt auf geballte Marktmacht, um international bei Anbietern niedrigere Gaspreise zu erreichen. Außerdem soll vermieden werden, dass sich die Staaten sich gegenseitig überbieten, wie es im vergangenen Jahr zum Ärgernis wurde. Die EU-Länder haben zugesagt, mindestens 15 Prozent ihrer nationalen Speicherziele über die Plattform zu ordern. Nachdem die Unternehmen ihren Bedarf angemeldet haben, wird die Gesamtmenge am Weltmarkt ausgeschrieben. Anschließend sollen Angebote der Gaslieferanten verglichen werden, bevor die teilnehmenden Unternehmen in Verhandlungen gehen. Unternehmen, die sich in russischem Besitz befinden, sind laut EU-Kommission vom Programm ausgeschlossen.
Wo der Sonderbericht zur Gasversorgung abgerufen werden kann
Der Sonderbericht 09/2024 „Sicherheit der Gasversorgung in der EU: Der EU-Rahmen hat den Mitgliedsländern geholfen, auf die Krise zu reagieren, doch die Auswirkungen einiger Krisenreaktions-Maßnahmen können nicht nachgewiesen werden" ist auf der Website des Europäischen Rechnungshofs ([www.eca.europa.eu]) abrufbar.