Führende Grünen-Politiker wollen den angekündigten Rücktritt der Parteivorsitzenden als Chance für einen Neuanfang nutzen. Doch intern herrscht Verunsicherung. Dazu hat auch beigetragen, dass - kurz nachdem Ricarda Lang und Omid Nouripour am Mittwoch ihre Entscheidung öffentlich gemacht hatten - überraschend alle Mitglieder des Bundesvorstandes der Grünen Jugend wegen ideologischer Bauchschmerzen ihren Austritt aus der Partei verkündet haben.
Zerlegen sich die Grünen jetzt?
Nein. Zwar brodelt an Tag Eins nach dem Doppelknall die Gerüchteküche und in kurzfristig anberaumten Schaltkonferenzen muss viel erklärt werden. Doch politische Mitbewerber, die jetzt schon den Abgesang auf die Partei anstimmen, sind vielleicht zu voreilig.
Was ist passiert?
Am Mittwoch kündigt der Parteivorstand nach vier vergeigten Wahlen seinen Rücktritt an. Mitte November, so sagen Lang und Nouripour, soll beim regulären Bundesparteitag in Wiesbaden vorzeitig eine neue Parteispitze gewählt werden. Eine inhaltliche Distanzierung der beiden Co-Chefs von ihrer Partei oder von der Politik der Ampel ist das nicht. Vielmehr will man Konsequenzen ziehen nach einer Serie von Wahlschlappen, womöglich auch weil dem aktuellen Vorstand ein Rezept dafür fehlt, wie es künftig besser laufen könnte.
Eine zweite Überraschung, die wenige Stunden später im Grünen-Kosmos für Aufregung sorgt, hat dagegen sehr wohl mit politischen Differenzen zu tun. Der Bundesvorstand der Grünen Jugend will demnächst ebenfalls abtreten. Die zehn Vorstandsmitglieder geben ihren Austritt aus der Partei bekannt, den sie mit zu wenig linkem Profil und zu vielen Ampel-Kompromissen begründen. „Wir sind nicht länger bereit, unseren Kopf für eine Politik hinzuhalten, die wir falsch finden“, heißt es in einer Erklärung, die sie veröffentlichen. Darin kündigen sie ihre Absicht an, dazu beizutragen, „dass es bald eine starke linke Partei in Deutschland geben kann“.
Kurz darauf wird klar, dass ihnen zwar einige Mitglieder der Parteijugend auf diesem Weg folgen werden. Die Existenz der Grünen Jugend sei aber nicht gefährdet, ist aus der Bundestagsfraktion zu hören.
Angesichts des Abschieds der Grünen von einer menschenrechtsbasierten Flüchtlingspolitik und der Bereitschaft mit der CDU zu koalieren sei der Rückzug des Vorstands der Grünen Jugend konsequent, sagt Clara Bünger, Bundestagsabgeordnete der Gruppe Die Linke. „Ich bin sicher, dass es künftig zu inhaltlichen Überschneidungen kommen wird“, fügt sie hinzu.
Fraktionschefinnen wollen die Wogen glätten
Der Rücktritt der Parteivorsitzenden sei Ausgangspunkt für eine Neuaufstellung der Grünen, sagt Fraktionschefin Britta Haßelmann. Damit sei der Weg frei für die Aufstellung für die nächsten Wahlkämpfe mit neuem Personal und einer strategischen Diskussion über die Ausrichtung der Partei, führt sie im ARD-“Morgenmagazin“ aus. Natürlich befinde sich die Partei in einer ernstzunehmenden Lage, räumte Haßelmann ein. Nötig seien nun Klarheit, Ruhe und Stabilität.
Die Co-Fraktionsvorsitzende der Grünen, Katharina Dröge, weist Forderungen aus der Union nach Neuwahlen zurück. „Ich halte das für einen Weg, der ins Chaos führt“, sagt sie im Deutschlandfunk. Das größte Land der Europäischen Union müsse in diesen Zeiten stabil regiert werden. Ihre Partei habe den Anspruch, eine Aufholjagd zu starten. „Und das verbinden wir mit einer Kanzlerkandidatur“, sagt Dröge.
Offiziell ist zwar noch nichts entschieden, doch seitdem Bundesaußenministerin Annalena Baerbock erklärt hat, sie wolle es 2021 nicht noch einmal versuchen, gilt Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck als gesetzt.
Wer ist im Team Habeck?
Die Entscheidung über eine Kanzlerkandidatur der Grünen liegt aus Sicht von Habeck beim Bundesparteitag. Wenn es nach ihm gehe, werde man in Wiesbaden eine sehr ehrliche Debatte darüber führen, „wer wir sein wollen, was wir in den Regierungsjahren gemacht haben, was wir geleistet haben und welche Personen - und ob ich eine der Personen sein kann, die diese Partei dann in den nächsten Jahren nach vorne führt“, sagte Habeck am Mittwochabend im „heute journal“ des ZDF.
Spekulationen, Habeck habe Nouripour und Lang quasi weggemobbt, weisen mehrere gut vernetzte Parteimitglieder zurück. Kritik habe es insgesamt eher an der Arbeit der Politischen Geschäftsführerin, Emily Büning, gegeben, ist zu hören.
Wer im November für die Parteispitze kandidieren will, ist noch nicht klar. Die besten Chancen für den Co-Vorsitz werden jedoch dem Bundestagsabgeordneten Felix Banaszak und Franziska Brantner eingeräumt. Banaszak wird dem linken Flügel zugerechnet. Brantner spielt schon lange eine führende Rolle bei den „Realos“. Für Brantner würde der Parteivorsitz wohl bedeuten, dass sie ihren Platz als parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium räumen müsste.