Politik

Neuanfang für die Grünen: Rücktritt der Parteivorsitzenden als Chance

Zunächst tritt die Führung der Grünen zurück, und anschließend verlässt der gesamte Vorstand der Grünen Jugend die Partei. Diese Entwicklungen verdeutlichen, dass die Kompromisse innerhalb der Ampelkoalition nicht nur für die FDP schwierig sind.
26.09.2024 18:31
Lesezeit: 3 min

Führende Grünen-Politiker wollen den angekündigten Rücktritt der Parteivorsitzenden als Chance für einen Neuanfang nutzen. Doch intern herrscht Verunsicherung. Dazu hat auch beigetragen, dass - kurz nachdem Ricarda Lang und Omid Nouripour am Mittwoch ihre Entscheidung öffentlich gemacht hatten - überraschend alle Mitglieder des Bundesvorstandes der Grünen Jugend wegen ideologischer Bauchschmerzen ihren Austritt aus der Partei verkündet haben.

Zerlegen sich die Grünen jetzt?

Nein. Zwar brodelt an Tag Eins nach dem Doppelknall die Gerüchteküche und in kurzfristig anberaumten Schaltkonferenzen muss viel erklärt werden. Doch politische Mitbewerber, die jetzt schon den Abgesang auf die Partei anstimmen, sind vielleicht zu voreilig.

Was ist passiert?

Am Mittwoch kündigt der Parteivorstand nach vier vergeigten Wahlen seinen Rücktritt an. Mitte November, so sagen Lang und Nouripour, soll beim regulären Bundesparteitag in Wiesbaden vorzeitig eine neue Parteispitze gewählt werden. Eine inhaltliche Distanzierung der beiden Co-Chefs von ihrer Partei oder von der Politik der Ampel ist das nicht. Vielmehr will man Konsequenzen ziehen nach einer Serie von Wahlschlappen, womöglich auch weil dem aktuellen Vorstand ein Rezept dafür fehlt, wie es künftig besser laufen könnte.

Eine zweite Überraschung, die wenige Stunden später im Grünen-Kosmos für Aufregung sorgt, hat dagegen sehr wohl mit politischen Differenzen zu tun. Der Bundesvorstand der Grünen Jugend will demnächst ebenfalls abtreten. Die zehn Vorstandsmitglieder geben ihren Austritt aus der Partei bekannt, den sie mit zu wenig linkem Profil und zu vielen Ampel-Kompromissen begründen. „Wir sind nicht länger bereit, unseren Kopf für eine Politik hinzuhalten, die wir falsch finden“, heißt es in einer Erklärung, die sie veröffentlichen. Darin kündigen sie ihre Absicht an, dazu beizutragen, „dass es bald eine starke linke Partei in Deutschland geben kann“.

Kurz darauf wird klar, dass ihnen zwar einige Mitglieder der Parteijugend auf diesem Weg folgen werden. Die Existenz der Grünen Jugend sei aber nicht gefährdet, ist aus der Bundestagsfraktion zu hören.

Angesichts des Abschieds der Grünen von einer menschenrechtsbasierten Flüchtlingspolitik und der Bereitschaft mit der CDU zu koalieren sei der Rückzug des Vorstands der Grünen Jugend konsequent, sagt Clara Bünger, Bundestagsabgeordnete der Gruppe Die Linke. „Ich bin sicher, dass es künftig zu inhaltlichen Überschneidungen kommen wird“, fügt sie hinzu.

Fraktionschefinnen wollen die Wogen glätten

Der Rücktritt der Parteivorsitzenden sei Ausgangspunkt für eine Neuaufstellung der Grünen, sagt Fraktionschefin Britta Haßelmann. Damit sei der Weg frei für die Aufstellung für die nächsten Wahlkämpfe mit neuem Personal und einer strategischen Diskussion über die Ausrichtung der Partei, führt sie im ARD-“Morgenmagazin“ aus. Natürlich befinde sich die Partei in einer ernstzunehmenden Lage, räumte Haßelmann ein. Nötig seien nun Klarheit, Ruhe und Stabilität.

Die Co-Fraktionsvorsitzende der Grünen, Katharina Dröge, weist Forderungen aus der Union nach Neuwahlen zurück. „Ich halte das für einen Weg, der ins Chaos führt“, sagt sie im Deutschlandfunk. Das größte Land der Europäischen Union müsse in diesen Zeiten stabil regiert werden. Ihre Partei habe den Anspruch, eine Aufholjagd zu starten. „Und das verbinden wir mit einer Kanzlerkandidatur“, sagt Dröge.

Offiziell ist zwar noch nichts entschieden, doch seitdem Bundesaußenministerin Annalena Baerbock erklärt hat, sie wolle es 2021 nicht noch einmal versuchen, gilt Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck als gesetzt.

Wer ist im Team Habeck?

Die Entscheidung über eine Kanzlerkandidatur der Grünen liegt aus Sicht von Habeck beim Bundesparteitag. Wenn es nach ihm gehe, werde man in Wiesbaden eine sehr ehrliche Debatte darüber führen, „wer wir sein wollen, was wir in den Regierungsjahren gemacht haben, was wir geleistet haben und welche Personen - und ob ich eine der Personen sein kann, die diese Partei dann in den nächsten Jahren nach vorne führt“, sagte Habeck am Mittwochabend im „heute journal“ des ZDF.

Spekulationen, Habeck habe Nouripour und Lang quasi weggemobbt, weisen mehrere gut vernetzte Parteimitglieder zurück. Kritik habe es insgesamt eher an der Arbeit der Politischen Geschäftsführerin, Emily Büning, gegeben, ist zu hören.

Wer im November für die Parteispitze kandidieren will, ist noch nicht klar. Die besten Chancen für den Co-Vorsitz werden jedoch dem Bundestagsabgeordneten Felix Banaszak und Franziska Brantner eingeräumt. Banaszak wird dem linken Flügel zugerechnet. Brantner spielt schon lange eine führende Rolle bei den „Realos“. Für Brantner würde der Parteivorsitz wohl bedeuten, dass sie ihren Platz als parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium räumen müsste.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Finanzen
Finanzen „Banknoten-Paradoxon“: Milliarden unter den Matratzen - Bargeldmenge steigt weiter
15.06.2025

Ungeachtet der stetig abnehmenden Bedeutung von Scheinen und Münzen beim alltäglichen Einkauf steigt die im Umlauf befindliche...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Resilienz als strategischer Imperativ: Carlsberg und Davos-Forum fordern neue Unternehmenslogik
15.06.2025

Krisen, Krieg, KI und Klimawandel: Carlsberg und das Weltwirtschaftsforum rufen Unternehmen auf, Resilienz nicht als Reaktion, sondern als...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Der ESG-Betrug: Wie Konzerne Moral simulieren
15.06.2025

Konzerne feiern Nachhaltigkeit, während ihre Bilanzen eine andere Sprache sprechen. Zwischen Greenwashing, Sinnverlust und Bürokratie:...

DWN
Panorama
Panorama Leben auf einem Eismond? - Astrobiologe auf Spurensuche
15.06.2025

Dicke Eiskruste und bis zu minus 200 Grad - klingt nicht gerade angenehm. Warum der Saturnmond Enceladus auf der Suche nach außerirdischem...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Kritik oder Mobbing? Wie Sie den feinen Unterschied erkennen
15.06.2025

Mobbing beginnt oft harmlos – mit einem Satz, einem Blick, einer E-Mail. Doch wann wird aus Kritik systematische Zermürbung? Dieser...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Das neue Magazin ist da: Das können wir gut - wo Deutschland in Zeiten von KI, Transformation und Globalisierung überzeugt
15.06.2025

Was kann Deutschland gut? Diese Frage mag auf den ersten Blick einfach erscheinen, fast schon trivial. Doch in einer Zeit, in der das Land...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft „Kleinkrieg“ um Lkw-Plätze: Autoclub kritisiert Überfüllung
15.06.2025

Auf und an Autobahnen in Deutschland fehlen viele tausend Lkw-Stellplätze – nach einer Kontrolle an Rastanlagen beklagt der Auto Club...

DWN
Politik
Politik Machtverschiebung in Warschau: Der Aufstieg der Nationalisten bringt Polen an den Abgrund
15.06.2025

In Polen übernimmt ein ultrakonservativer Präsident die Macht – während die liberale Regierung um Donald Tusk bereits ins Wanken...