Vor genau einem Jahr trennte sich Sahra Wagenknecht von der Linken und gründete das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), zuerst als Verein und dann als Partei. Seither hat sie das politische Geschehen maßgeblich beeinflusst. Vier Wahlsiege in Europa und Ostdeutschland sowie drei mögliche Regierungsbeteiligungen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg sind bemerkenswerte Erfolge.
"Das BSW hat bereits historische Erfolge erzielt", erklärte Wagenknecht gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Doch weiterhin bleibt offen: Welche Ziele verfolgt die 55-Jährige konkret und was kann sie noch erreichen?
Wagenknecht bleibt unnachgiebig
Die Koalitionsgespräche in den drei ostdeutschen Bundesländern gestalten sich schwierig. Wagenknecht pocht auf Forderungen, die wenig mit Landespolitik zu tun haben: keine Waffenlieferungen an die Ukraine, keine US-Raketen in Deutschland. Diese Positionen stehen im Widerspruch zu den potenziellen Koalitionspartnern CDU und SPD. Wagenknechts harte Linie führte dazu, dass SPD-Generalsekretär Matthias Miersch von "Erpressung" sprach. Thorsten Frei von der CDU forderte im Redaktionsnetzwerk Deutschland: "Das BSW muss sich entscheiden, ob es Verantwortung in den Ländern übernehmen will oder in der Fundamentalopposition verharren möchte."
Der "Spiegel" spekulierte, dass Wagenknecht möglicherweise gar kein Interesse an einer Regierungsbeteiligung des BSW habe, da dies "eine schmerzliche Begegnung mit der Realität" bedeuten könnte. "Ihre Stärke lag stets in der Oppositionsrolle", kommentierte das Magazin.
Andere Parteien müssen sich bewegen
Auf die Frage nach ihrer Haltung antwortet Wagenknecht: "Regierungen, die für mehr Diplomatie stehen und den sozialen Zusammenhalt stärken, sind ein Gewinn. Das BSW möchte solche Regierungen unterstützen." Allerdings betont sie, dass dies nur möglich sei, wenn auch die anderen Parteien dazu bereit seien.
Immer wieder hebt sie hervor: Die anderen müssen auf das BSW zugehen. "Alle Parteien sollten den Wählerwillen umsetzen", sagt sie der dpa. "Die Mehrheit hat für Veränderung gestimmt, nicht für ein 'Weiter so'."
"AfD-Wähler ernst nehmen"
Doch stimmt das? Bei der Europawahl erreichte das BSW 6,2 Prozent. In Thüringen erzielte es 15,8 Prozent, in Brandenburg 13,5 Prozent und in Sachsen 11,8 Prozent. Solide Ergebnisse für eine neue Partei, aber keine Mehrheit. Wagenknecht spricht nicht nur von den eigenen Wählern, sondern auch von denen der AfD, die in Thüringen etwa 33 Prozent erreicht hat.
Die Themen der AfD-Wähler seien oft berechtigt, sagte Wagenknecht kürzlich. "Es geht um Krieg und Frieden, Corona-Aufarbeitung sowie soziale und wirtschaftliche Ängste. Eine Regierung, die in diesen Bundesländern bestehen will, muss diese Anliegen ernst nehmen."
Frieden als zentrales Thema
Nach einer Analyse des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung gibt es thematische Überschneidungen zwischen Wählern der AfD und des BSW. "Das BSW ist besonders unter Erwerbstätigen und Arbeitslosen populär, die 2021 die Linke oder die AfD gewählt haben", heißt es im Bericht.
Umfragen von Infratest dimap in Brandenburg zeigen, dass für BSW- und AfD-Wähler ähnliche Themen wichtig sind, wenn auch unterschiedlich priorisiert. Während Migration bei der AfD das wichtigste Thema war, ist für BSW-Wähler die Friedenspolitik das dominierende Thema.
Angriffe auf mögliche Partner
Wagenknecht hat das Thema Frieden in den Mittelpunkt ihrer Kampagne gestellt und damit im Wahlkampf großen Erfolg gehabt. Ihr Anspruch reicht jedoch weiter. "Viele Menschen fühlen sich politisch heimatlos, weil die Politik zunehmend in ihrer eigenen Blase agiert", sagt sie. Ihr Ziel sei es, "das Leben der Menschen spürbar zu verbessern und das Vertrauen in die Demokratie zu stärken." Der Subtext: Nur das BSW bietet eine echte Alternative.
Unklar bleibt, wie sie dies umsetzen will, da das BSW in nationalen Umfragen nur sieben bis neun Prozent erreicht. Während einige BSW-Vertreter in den Ländern, wie Katja Wolf in Thüringen, pragmatische Verhandlungen führen, bleibt Wagenknecht auf Konfrontationskurs.
Wagenknecht ist dafür bekannt, politische Gegner scharf anzugreifen und klare Feindbilder zu schaffen. "Sie ist sehr geschickt darin, politische Gegner zu attackieren und daraus Kapital zu schlagen", schrieb der Soziologe Oliver Nachtwey in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Gegenüber der Politik anderer Parteien verwendet sie oft scharfe Begriffe wie "wahnsinnig" und "verlogen".
Ihre jüngste Attacke richtete sich gegen CDU-Chef Friedrich Merz, als dieser die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine unterstützte. Wagenknecht bezeichnete das in der ARD als "blanken Wahnsinn". Merz konterte, indem er sie als Vertreterin eines "Sozialismus in Chanel" abkanzelte.
Wie geht es weiter mit dem BSW?
Auf die Frage, ob sie sich nach der nächsten Wahl eine Regierungsbeteiligung im Bund vorstellen könne, antwortete Wagenknecht: "SPD, Grüne und FDP sind die schlechteste Regierung der Bundesrepublik und mit Friedrich Merz als Kanzler droht ein europäischer Krieg. Unser Land braucht eine seriöse Alternative." Auf die Frage, ob sie Kanzlerin werden wolle, meinte sie: "Das wird sich in einem halben Jahr zeigen."
Wie wird sich das BSW also weiterentwickeln? "Das ist schwer vorherzusagen", schrieb Nachtwey. Kurzfristig könne Wagenknecht weitere Erfolge feiern. Doch was passiert, wenn sich ihre Rhetorik abnutzt oder der Praxistest scheitert? In der Bundespolitik kann ein Jahr eine lange Zeit sein.