Panorama

Wie Glücksspiel zunehmend unsere öffentliche Gesundheit bedroht

Spielhallen sind wie eine Parallelwelt. Statt um Unterhaltung geht es für viele Menschen um Befriedigungen von Süchten, warnt die Wissenschaft. Das Wachstum ist besorniserregend, die Sensibilität könnte besser sein.
28.10.2024 08:07
Lesezeit: 2 min

Glücksspielsucht verursacht wesentlich mehr Schäden bei Menschen als bislang angenommen. Zu diesem im Fachmagazin "The Lancet" veröffentlichten Ergebnis kommt eine Kommission aus Experten in den Bereichen Glücksspielforschung, öffentliche Gesundheit, globale Gesundheitspolitik, Risikokontrolle und Regulierungspolitik. Glücksspiel sei "eine Bedrohung für die öffentliche Gesundheit", stellt der Bericht fest. Demnach kann Glücksspielsucht zu physischen wie psychischen Schäden führen, Beziehungen und Familien zerstören, das Suizidrisiko steigern, zum finanziellen Ruin führen, Kriminalität sowie häusliche Gewalt fördern und für den Verlust des Arbeitsplatzes verantwortlich sein.

Fast eine halbe Milliarde Betroffene weltweit

Drastisch verschärft hat sich die Situation demnach zum einen durch die internationale Ausbreitung des kommerziellen Glücksspiels, vor allem aber durch die Digitalisierung. "Jeder, der ein Mobiltelefon besitzt, hat heute 24 Stunden am Tag Zugang zu einem Casino in seiner Tasche", betont Heather Wardle von der britischen Universität Glasgow, Co-Vorsitzende der Kommission. Die Bereiche Online-Sportwetten und Online-Casinos wachsen derzeit dem Bericht zufolge am schnellsten.

Aktuell sind demnach weltweit schätzungsweise fast 450 Millionen Menschen von negativen Auswirkungen von Glücksspiel betroffen - durch mindestens ein Verhaltenssymptom oder einen persönlichen, sozialen oder gesundheitlichen Nachteil. 80 Millionen Menschen leiden unter Glücksspielstörung oder problematischem Glücksspiel - also etwa so viele wie Deutschland Einwohner hat.

In Deutschland nehmen dem Glücksspielatlas Deutschland 2023 zufolge 30 Prozent der Menschen an Glücksspielen teil. Demnach haben etwa 1,3 Millionen Menschen eine Störung durch Glücksspiele, weitere 3 Millionen Menschen haben ein problematisches Glücksspielverhalten. Etwa jeder 13. Glücksspieler entwickle durch Teilnahme an Automatenspielen, Sportwetten und anderen Glücksspielen gesundheitliche, finanzielle oder auch soziale Probleme, heißt es. In den letzten Jahren sei vor allem die Nachfrage von Online-Glücksspielenden nach ambulanten Hilfsangeboten stark gestiegen. Die Deutsche Automatenwirtschaft kritisiert die Zahlen aus dem Glücksspielatlas Deutschland 2023 als nicht belastbar, nennt allerdings keine eigenen Zahlen.

Branche wächst enorm

"Ein ausgeklügeltes Marketing und eine ausgeklügelte Technologie machen es leichter, mit dem Glücksspiel zu beginnen, und schwerer, damit aufzuhören", erklärt Wardle von der Universität Glasgow. Viele Produkte seien so konzipiert, dass sie zu wiederholtem und längerem Spielen anregen. "Das weltweite Wachstum dieser Branche ist phänomenal, wir müssen alle gemeinsam aufwachen und handeln."

Zwar handelt es sich der Kommission zufolge um ein globales Problem, dieses sei aber nicht ausgeglichen auf alle Bevölkerungsschichten verteilt. Besonders gefährdet seien Menschen aus benachteiligten sozioökonomischen Gruppen. Länder mit niedrigen und mittleren Einkommen seien oft weniger gut ausgestattet, um die Industrie zu regulieren und mit den dadurch entstehenden Schäden umzugehen.

Kinder und Jugendliche "besonders anfällig"

Zudem würden vor allem Kinder und Jugendliche routinemäßig mit Werbung für Glücksspielprodukte konfrontiert. Darüberhinaus sei Glücksspiel oft in Videospiele eingebettet. "Kinder und Jugendliche sind besonders anfällig für die Verlockungen des leichten Geldes und die spielerische Gestaltung von Online-Spielen", erläutert Co-Autorin Kristiana Siste von der Universität Indonesia. In der Werbung würde die Industrie Glücksspiel grundsätzlich als harmlose Unterhaltung anpreisen.

Auch daher betont Malcolm Sparrow von der Harvard Kennedy School in den USA: "Die Kommission fordert die politischen Entscheidungsträger auf, das Glücksspiel als ein Problem der öffentlichen Gesundheit zu behandeln, so wie wir andere süchtig machende und ungesunde Waren wie Alkohol und Tabak behandeln."

Welche Maßnahmen fordert die Kommission?

Da die Glücksspielindustrie innovative digitale Marketingansätze nutze, um ihre Produkte zu fördern und ihre Interessen zu schützen, fordert die Kommission ein effektives und gut ausgestattetes Regulierungssystem sowie internationale Zusammenarbeit und Führung, um die Folgen des kommerziellen Glücksspiels für die öffentliche Gesundheit zu verringern. Dies sei in allen Ländern nötig - unabhängig davon, ob Glücksspiel dort legal ist oder nicht. Konkret sollten Glücksspiele in Zukunft weniger verfügbar sein. Zudem sollten gefährdete Gruppen der Gefahr weniger ausgesetzt sein. Außerdem fordert die Kommission mehr Unterstützung und Behandlungsmöglichkeiten für Süchtige sowie Aufklärungskampagnen zu den Schäden von Glücksspiel.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Immer mehr XRP- und ETH-Inhaber wenden sich still und leise an OPTO-Miner, um 3.000 Dollar pro Tag zu verdienen

Im derzeit unberechenbaren Kryptomarkt entscheiden sich immer mehr Anleger dafür, langsamer zu werden und sich nicht mehr von...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Wirtschaft und KI: Jeder zweite Arbeitnehmer zweifelt an Deutschlands wirtschaftlicher Zukunft
09.07.2025

Eine aktuelle Umfrage zeigt: Viele Beschäftigte sind skeptisch, ob Deutschland im Zeitalter der künstlichen Intelligenz wirtschaftlich...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Grünes Image unter Druck: EU plant strengere Regeln für Umweltwerbung
09.07.2025

Begriffe wie „klimaneutral“ oder „biologisch abbaubar“ begegnen Verbraucherinnen und Verbrauchern inzwischen fast überall – von...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deutschlands 500-Milliarden-Euro-Infrastrukturplan: Eine Chance für europäische Bauunternehmen?
09.07.2025

Deutschland plant das größte Infrastrukturprogramm seiner Geschichte. Doch es fehlen Bauarbeiter. Können andere europäische Firmen und...

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin-Kurs stabil trotzt Milliardenbewegung: Anleger bleiben dennoch vorsichtig
08.07.2025

80.000 Bitcoin aus der Satoshi-Ära wurden bewegt – doch der Bitcoin-Kurs blieb stabil. Was hinter dem Rätsel steckt, warum Investoren...

DWN
Politik
Politik Steinmeier drängt auf mehr gemeinsame Rüstungsprojekte in Europa
08.07.2025

Bei seinem Besuch in Lettland hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier für mehr Zusammenarbeit in der europäischen...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Schwäche in China bremst Porsche: Absatz geht im ersten Halbjahr zurück
08.07.2025

Porsche muss im ersten Halbjahr 2025 einen spürbaren Rückgang beim Fahrzeugabsatz hinnehmen. Besonders in China läuft das Geschäft...

DWN
Politik
Politik Trump verspricht Raketen für die Ukraine – doch zu welchem Preis?
08.07.2025

Donald Trump kündigt neue Waffenlieferungen an die Ukraine an – obwohl er sich lange zurückhielt. Ein Signal der Stärke oder Teil...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Nvidia-Aktie auf Höhenflug: Wie realistisch ist das 250-Dollar-Ziel?
08.07.2025

Die Nvidia-Aktie eilt von Rekord zu Rekord – doch Analysten sehen noch Luft nach oben. Wie realistisch ist das Kursziel von 250 Dollar?...