Wenn Deutschlands Wählerinnen und Wähler am 23. Februar ihre Stimmzettel in die Urnen werfen, werden sie erstmals nach dem neuen Wahlrecht der Ampel-Koalition über die Zusammensetzung des nächsten Bundestages entscheiden. Merken werden sie davon allerdings zunächst nichts.
Wie funktioniert die Wahl jetzt?
Die Wahlberechtigten können wie gewohnt zwei Stimmen vergeben – eine Erststimme für einen Direktkandidaten und eine Zweitstimme für eine Partei. Diese Begriffe bleiben erhalten. Ursprünglich war geplant, sie in "Wahlkreisstimme" und "Hauptstimme" umzubenennen, was jedoch aufgrund der Verwirrung, die diese Änderung verursachen könnte, verworfen wurde.
Auch die Aufteilung des Bundesgebiets in 299 Wahlkreise bleibt unverändert. Zudem bleibt die Fünf-Prozent-Sperrklausel bestehen: Eine Partei muss mindestens fünf Prozent der Zweitstimmen oder drei Direktmandate gewinnen, um in den Bundestag einzuziehen.
Wie groß wird der Bundestag in Zukunft?
In den letzten Jahren wuchs der Bundestag stetig. 2013 waren es 631 Abgeordnete, 2017 dann 709 und 2021 zogen 736 Abgeordnete in den Bundestag ein. Der Bundestag war damit das größte frei gewählte Parlament der Welt. Mit der Wahlrechtsreform wird jedoch die Zahl der Abgeordneten auf 630 begrenzt.
Warum wurde der Bundestag immer größer?
Der Zuwachs des Bundestages war vor allem auf Überhang- und Ausgleichsmandate zurückzuführen. Diese gibt es nach der Wahlrechtsreform nicht mehr. Überhangmandate traten auf, wenn eine Partei mehr Direktmandate durch Erststimmen gewann, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustanden. Diese Mandate durften sie behalten, was durch Ausgleichsmandate für die anderen Parteien ausgeglichen wurde.
Bei der Bundestagswahl 2021 gab es 34 Überhang- und 104 Ausgleichsmandate. Drei Überhangmandate wurden nicht ausgeglichen.
Welche Auswirkungen hat das neue Wahlrecht auf die Kandidaten?
Durch die Wahlrechtsreform wird die Zweitstimme entscheidend wichtiger. Ein gewonnenes Direktmandat muss nun durch das Zweitstimmenergebnis gedeckt sein, um den Sitz im Bundestag zu sichern. Früher war ein Direktmandat automatisch ein gesicherter Platz im Bundestag, was jetzt nicht mehr immer der Fall ist.
Ein Beispiel: Eine Partei gewinnt 50 Direktmandate, hat jedoch nur Anspruch auf 48 Mandate nach dem Zweitstimmenergebnis. In diesem Fall gehen die beiden Direktmandate mit den schlechtesten Ergebnissen leer aus.
Ist das rechtlich zulässig?
Ja, das wurde durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt. Das Gericht entschied, dass das Zweitstimmendeckungsverfahren mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
Politische Kritik gibt es dennoch, insbesondere von der CSU. Bei der Bundestagswahl 2021 errang die CSU 45 Direktmandate in Bayern, während ihr Zweitstimmenergebnis nur für 34 Mandate gereicht hätte. Die Überhangmandate, die es nun nicht mehr gibt, waren damals der Grund, warum die CSU 11 Mandate zusätzlich erhielt.
Gibt es noch weitere Änderungen durch die Wahlrechtsreform?
Die Grundmandatsklausel, die es Parteien ermöglichte, auch bei einer Unterschreitung der Fünf-Prozent-Hürde einzuziehen, wurde ursprünglich gestrichen. Doch das Bundesverfassungsgericht erklärte diese Regelung ohne die Grundmandatsklausel für verfassungswidrig. Daraufhin musste die Klausel wieder eingeführt werden.
Wer profitiert von dieser Regelung?
Bei der Bundestagswahl 2021 profitierte die Linke von dieser Regelung. Trotz weniger als fünf Prozent der Zweitstimmen gewann die Partei zwei Direktmandate in Berlin und eines in Leipzig und zog somit mit 39 Abgeordneten in den Bundestag ein. Die CSU könnte durch das neue System ebenfalls betroffen sein, wenn sie trotz eines starken Ergebnisses in Bayern unter die Fünf-Prozent-Marke fällt und keine Grundmandatsklausel mehr greift.
Bleibt das Wahlrecht jetzt dauerhaft so?
Es ist unwahrscheinlich, dass die Wahlrechtsreform von Dauer ist. Die Union fordert eine Änderung des Wahlrechts nach einem Wahlsieg. Ein zentraler Punkt in ihrem Wahlprogramm ist die Abschaffung des „Ampel-Wahlrechts“. Doch eine Rückkehr zu mehr Abgeordneten könnte für die Union politisch problematisch werden. In Koalitionsgesprächen dürfte dies ein schwieriger Punkt sein, da eine der bisherigen Ampel-Parteien wohl weiterhin als Koalitionspartner benötigt wird.