Führungskräfte im Ausnahmezustand: Ein wachsendes Problem
Als Max Eberl am 28. Januar 2022 um 14 Uhr im Presseraum des Borussia-Parks vor die versammelten Medien trat, ahnte kaum jemand, dass er nur Minuten später seinen sofortigen Rücktritt als Sportdirektor von Borussia Mönchengladbach bekanntgeben würde. Sichtlich mitgenommen erklärte Eberl, er sei erschöpft und müde, habe keine Energie mehr und brauche Zeit, um wieder zu sich selbst zu finden. „Ich muss jetzt einfach hier raus, ich muss auf den Menschen achten”, sagte er unter Tränen und beschrieb damit einen Zustand, den viele Führungskräfte gut kennen dürften: die völlige emotionale Erschöpfung durch Stress im Job.
Eberls Fall steht exemplarisch für die Schattenseite einer Leistungs- und Erfolgsgesellschaft, die auch vor Führungskräften nicht Halt macht. 61,6 Prozent der Führungskräfte in Deutschland gaben in einer aktuellen Studie des Berliner Markt- und Meinungsforschers Civey an, sich in den letzten drei Monaten erschöpft gefühlt zu haben. Besonders betroffen sind junge Entscheider zwischen 30 und 39 Jahren, ganze 72 Prozent aus dieser Altersgruppe berichten von Erschöpfung. Was besonders auffällt: Frauen sind mit 64,6 Prozent häufiger betroffen als ihre männlichen Kollegen. Mehr noch: Je jünger und weiblicher, desto größer die empfundene Belastung.
Doch warum sind gerade Führungskräfte besonders betroffen? Edgar Dockhorn ist Geschäftsführer der ias PREVENT GmbH, die sich auf Prävention und Check-ups für Führungskräfte und Entscheidungsträger in Unternehmen spezialisiert hat und ihre Kunden dabei unterstützt, langfristig gesund und leistungsfähig zu bleiben. Er weiß: „Führungskräfte tragen eine immense Verantwortung und müssen Erwartungen von vielen Seiten erfüllen. Hinzu kommen eine steigende Arbeitsbelastung und ständige Erreichbarkeit“.
Gesundheitsrisiken: Die unsichtbare Last
Tatsächlich sind die Anforderungen an Führungskräfte hoch: Sie tragen Verantwortung, bedienen Erfolgserwartungen und bewältigen Tag für Tag eine nicht enden wollende Aufgabenflut. Dass dabei der Mensch selbst auf der Strecke bleibt, erscheint nur allzu nachvollziehbar. „Auch, um mir gerecht zu werden, meinen Anforderungen, meinem Anspruch an mich selbst“, beschreibt Max Eberl rückblickend seine Situation.
Typische Gesundheitsrisiken sind dabei keine Seltenheit. Dauerhaft hoher Druck führt zu emotionaler und körperlicher Erschöpfung. „Stressbelastungen bis hin zum Burnout sind nur eines von vielen Themen, mit denen wir täglich zu tun haben”, erklärt Dockhorn. „Unsere Erfahrung zeigt, dass eine Vielzahl von gesundheitlichen Herausforderungen – von Herz-Kreislauf-Erkrankungen über Stoffwechselstörungen bis hin zu psychischen Belastungen – eine Rolle spielt.”
Achtsamkeit als Erfolgsfaktor: Strategien gegen den Stress im Job
Gerade in Führungsetagen wird Achtsamkeit oft mit Schwäche gleichgesetzt, was das Risiko für psychische und physische Erkrankungen weiter erhöht. Edgar Dockhorn plädiert deshalb zu mehr Offenheit in den Firmen: „Schaffen Sie eine Kultur, in der der Blick auf die Gesundheit und das Wohlbefinden nicht als Schwäche, sondern als Erfolgsfaktor gesehen wird.” Hinzu kommt, dass Führungskräfte eine zentrale Vorbildfunktion haben. „Ihr eigenes Gesundheitsverhalten wirkt sich unmittelbar auf die Gesundheit und das Wohlbefinden ihrer Mitarbeitenden aus“, erklärt der Präventionsexperte.
Aus seiner Beratungserfahrung heraus weiß er: „Nach dem Prinzip ‚Gesunde Führungskräfte – gesunde Mitarbeitende‘ zeigt sich, wer als Führungskraft auf die eigene Gesundheit achtet, sendet ein starkes Signal an das gesamte Team und schafft eine Kultur, in der Gesundheit, Balance und Leistungsfähigkeit selbstverständlich sind.“ Wie das in der Praxis aussehen kann, zeigen innovative Ansätze wie Biohacking.
Biohacking: Mehr als ein Trend
„Biohacking ist im Grunde der gezielte Einsatz von Technologien, Ernährung, Training, Atemtechniken und Lebensstilanpassungen, um Körper und Geist zu optimieren“, erklärt der Physiotherapeut und Biohacking-Spezialist Frank Bochmann, der seit vielen Jahren in Oslo lebt und Unternehmen in Norwegen, Deutschland und Österreich in Sachen Biohacking berät. „Es geht darum, die Gesundheit individuell zu optimieren, um widerstandsfähiger gegen Stress und Krankheiten zu werden“.
Für Führungskräfte sei Biohacking ideal, um Leistungsfähigkeit und Resilienz zu steigern, erklärt Bochmann, der zwischen leichten und komplexen Biohacking-Ansätzen unterscheidet. Leichte Ansätze umfassen beispielsweise Atemtechniken, Meditation, Schlafoptimierung und Ernährungsanpassung. Komplexere Ansätze hingegen setzen auf High-Tech-Tools wie Infrarot-Saunen, Rotlichttherapien und sogenannte Kloudmatten zur Zellaktivierung.
Kleine Routinen mit großer Wirkung
Step by Step lautet das Motto. Wer mit Biohacking anfangen möchte, sollte zunächst kleine Routinen etablieren, etwa regelmäßige Atemübungen oder Fastenphasen. Für Anfänger empfiehlt der Experte, mit Meditation zu starten – fünf bis zehn Minuten täglich reichen aus. Auch Atemübungen zur Stressreduktion, etwa die 4-7-8-Technik, bei der vier Sekunden lang durch die Nase eingeatmet, sieben Sekunden der Atem gehalten und acht Sekunden lang durch den Mund ausgeatmet wird, seien wirkungsvoll. Um die Schlafqualität zu verbessern, rät Bochmann zu festen Schlafenszeiten und dem Verzicht auf elektronische Geräte vor dem Zubettgehen.
„In Norwegen sind viele Menschen offener für Biohacking als in Deutschland“, berichtet der Biohacking-Berater. „Dort ist es bereits Teil einer bewussten Lebensführung“. In Deutschland und Österreich sei das Thema hingegen noch recht neu, werde aber zunehmend bekannter, insbesondere bei Führungskräften, die nach Wegen suchen, ihre Gesundheit und Leistungsfähigkeit zu optimieren.
Auch er ist überzeugt, dass Unternehmergesundheit nicht losgelöst von der Gesundheit der Mitarbeitenden betrachtet werden kann: „Je gesünder oder mental stabiler die Führungskraft ist, desto besser ist das für das gesamte Team.“ Um eine gesunde Unternehmenskultur zu fördern, empfiehlt er eine einfache, aber effektive Maßnahme: „Statt 15 Minuten Raucherpause lieber 15 Minuten meditieren, ein kurzes Workout machen oder auf eine Kloudmatte legen. Das steigert die Konzentration und Produktivität deutlich und fördert gleichzeitig das Wohlbefinden im Team.“
Best Practice: Biohacking im Unternehmensalltag
Ein Beispiel dafür findet sich bei der Kongsberg-Gruppe, einem der führenden norwegischen Konzerne für Verteidigung und Maritime Technologie. „Dort achtet man zunehmend auf eine gesunde Balance zwischen Verantwortung und Freizeit“, erklärt Bochmann, der den Konzern bei der Etablierung von Biohacking im höheren Management berät, um bei Führungskräften Stress zu reduzieren und mentale Resilienz zu stärken.
„Es geht nicht darum, noch leistungsfähiger zu werden, sondern langfristig gesund und stabil zu bleiben“, betont Bochmann. Diese Perspektive auf Gesundheit und Leistungsfähigkeit sei in Norwegen stärker verankert als in Deutschland. „In Norwegen gehört es dazu, sich Zeit für sich selbst zu nehmen – ohne schlechtes Gewissen.”
Vorsorgemedizin und Check-ups: Prävention statt Reparatur
Neben Biohacking spielt die Vorsorgemedizin eine entscheidende Rolle in der Unternehmergesundheit. Regelmäßige Check-ups können Risiken frühzeitig erkennen und vorbeugen. „Es geht darum, nicht erst zu reagieren, wenn es zu spät ist, sondern präventiv zu handeln“, erklärt Edgar Dockhorn.
Er betont, dass gezielte Check-ups das Leben der Klienten nachhaltig positiv verändern können. Frühzeitig erkannte Risiken ermöglichten es Führungskräften, gezielte Gesundheitsstrategien zu entwickeln und langfristig leistungsfähig zu bleiben. „Wir begleiten unsere Klienten ganzheitlich – von der Prävention über die frühzeitige Erkennung von Gesundheitsrisiken bis hin zur Entwicklung nachhaltiger Strategien für ein gesundes Leben.”
„Studien zeigen, dass Unternehmen, die auf Vorsorgemedizin setzen, eine höhere Produktivität und geringere Krankenstände verzeichnen. Prävention zahlt sich also aus – nicht nur für die Gesundheit der Führungskräfte, sondern auch für den Unternehmenserfolg. Dockhorn betont, dass vor allem die personalisierte Prävention eine Investition in die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen darstellt. „Nur gesunde, resiliente Führungskräfte können langfristig leistungsfähig bleiben, ihre Mitarbeitenden motivieren und in einem immer anspruchsvolleren wirtschaftlichen Umfeld kluge Entscheidungen treffen“, erklärt der Präventionsspezialist.“
„Gesunde Führungskräfte schaffen ein gesundes Umfeld“
Max Eberl ist seit Juli 2023 zurück im Fußballgeschäft, als Sportvorstand beim FC Bayern München. „Ich habe keine Angst davor, nochmal in eine Burnout-Situation zu kommen, weil ich ganz bewusst lebe, arbeite, tue und Menschen um mich herum habe, mit denen ich mich extrem austausche“, erklärte Eberl kürzlich im Leadertalk-Podcast von Sport1. Seine Lehren aus der Vergangenheit: Ehrlich zu sich selbst sein, bewusst leben, auf die eigenen Bedürfnisse hören und die eigene Gesundheit nicht nur als Privatsache zu betrachten, sondern als maßgeblichen Erfolgsfaktor für langfristige berufliche Erfolge.
Genau darin sieht auch Edgar Dockhorn den Schlüssel zu langfristiger Gesundheit und Leistungsfähigkeit. Er warnt Führungskräfte davor, erst zu reagieren, wenn gesundheitliche Probleme auftreten. „Prävention ist kein Luxus, sondern eine Investition in Ihre Lebensqualität“, erklärt der Experte. Dockhorn empfiehlt, bewusst auf die eigenen Bedürfnisse zu hören und rechtzeitig Pausen und Auszeiten einzuplanen. Nur wer frühzeitig Verantwortung für seine Gesundheit übernimmt, kann langfristig gesund und leistungsfähig bleiben. Damit das gelingt, gibt Dockhorn Führungskräften folgende drei Tipps mit auf den Weg:
Erstens: Achtsamkeit mit sich selbst
Führungskräfte sollten auf die Signale ihres Körpers hören und rechtzeitig Pausen einlegen, um Erschöpfung und Stress zu vermeiden. „Nehmen Sie Anzeichen wie Schlafprobleme oder nachlassende Konzentration ernst und sorgen Sie bewusst für Ausgleich“, rät Dockhorn.
Zweitens: Achtsamkeit mit den Mitarbeitenden
Eine Kultur der Offenheit und Wertschätzung zu schaffen, fördert nicht nur das Wohlbefinden der Führungskraft, sondern auch das der Mitarbeitenden. „Gesunde Führungskräfte schaffen ein gesundes Umfeld für ihr Team“, betont der Präventionsexperte.
Drittens: Verantwortung für die eigene Gesundheit übernehmen
Dockhorn empfiehlt, frühzeitig in die eigene Gesundheit zu investieren und regelmäßige Check-ups in den Alltag zu integrieren. „Warten Sie nicht, bis gesundheitliche Probleme auftreten“, so sein Ratschlag.