Nach der Bundestagswahl am 23. Februar hat das alte Parlament noch zweimal getagt und weitreichende Entscheidungen getroffen – doch nun übernimmt das neue. Mit der konstituierenden Sitzung beginnt offiziell die 21. Legislaturperiode des neu gewählten Bundestages. Gleichzeitig überreicht Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und seinem Kabinett die Entlassungspapiere, womit sie ab sofort nur noch geschäftsführend im Amt sind. Das Grundgesetz schreibt vor, dass das neu gewählte Parlament spätestens 30 Tage nach der Wahl erstmals zusammentreten muss – dieser Termin ist der letztmögliche.
Gregor Gysi als Alterspräsident
Linken-Politiker Gregor Gysi hat die erste Sitzung des neuen Bundestages als Alterspräsident eröffnen. Der Alterspräsident ist traditionell das dienstälteste Mitglied des Bundestages. Er leitet die erste Sitzung, bis ein neuer Bundestagspräsident oder eine neue Bundestagspräsidentin gewählt ist, und bestimmt in Abstimmung mit den Fraktionen die Schriftführer. Üblicherweise hält er zudem eine Rede.
Gysi fordert Corona-Aufarbeitung
Gregor Gysi bezog in seiner Rede zur Eröffnung des 21. deutschen Bundestages dezidiert Stellung zu gesellschaftlichen Themen: „Ich bitte die jungen Leute, Protestformen zu finden, mit der sie eine Mehrheit der Bevölkerung gewinnen, statt das Gegenteil zu erreichen“, sagte der Linken-Politiker etwa mit Blick auf Demonstrationen für mehr Klimaschutz. Auch die Corona-Aufarbeitung mahnte er an: „Die vollzogenen Einschränkungen der Freiheit bedürfen eine Untersuchung, um festzustellen, welche falsch waren und nicht wiederholt werden dürfen.“
Die Diskussionskultur im Land sieht Gysi durch eine Intoleranz der Meinungen gefährdet: "Es gibt also unterschiedliche Auffassungen, wie man zum Frieden gelangt", sagte Gysi am Beispiel des Ukraine-Krieges. "Wir müssen einfach lernen zu respektieren, dass es diese Unterschiede gibt. Wenn wir mehr Glaubwürdigkeit bei der Bevölkerung erreichen wollen, sollten wir in unserer Sprache das Maß wahren, nicht immer bei Menschen mit anderer Auffassung das Übelste unterstellen."
Schäubles mahnende Worte zur Parlamentskultur
Wolfgang Schäuble rief in seiner Rede als Alterspräsident im Oktober 2021 die Abgeordneten zur lebhaften, aber fairen Debatte auf: „Hier ist der Ort, an dem wir streiten dürfen, an dem wir streiten sollen, aber fair und nach Regeln, leidenschaftlich, aber auch mit der Gelassenheit, die einer erregten Öffentlichkeit Beispiel geben kann.“ Auch Gregor Gysi hat bereits angedeutet, welche Themen ihn beschäftigen. Der Wochenzeitung Das Parlament sagte er: „Sicherlich werde ich etwas zur Außenpolitik sagen und auch zur Situation unserer Gesellschaft. […] Vielleicht werde ich auch einige Vorschläge unterbreiten, was man überparteilich mal miteinander besprechen müsste. Denn was wir wirklich brauchen, ist mehr echter Diskurs und weniger Schaukämpfe.“
Neue Geschäftsordnung für den Bundestag und Wahl des Bundestagspräsidenten
Ein wesentlicher Punkt der ersten Sitzung ist die Verabschiedung der Geschäftsordnung – eine Art Arbeitsgrundlage des Parlaments. Sie legt Regeln für Redezeiten, Sitzungsabläufe, Tagesordnungen sowie Verhaltens- und Ordnungsmaßnahmen für Abgeordnete fest. Dabei spielen auch Machtfragen eine Rolle. In der Regel übernimmt der neue Bundestag die bestehende Geschäftsordnung. 2021 forderte die AfD jedoch Änderungen, was eine längere Debatte auslöste – letztlich ohne Erfolg.
Der Höhepunkt der konstituierenden Sitzung ist traditionell die Wahl der Bundestagspräsidentin oder des -präsidenten. Das Vorschlagsrecht hat die stärkste Fraktion – diesmal die CDU/CSU. Sie nominierte die frühere Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner. Klöckner wird nach Annemarie Renger (SPD), Rita Süssmuth (CDU) und Bärbel Bas (SPD) erst die vierte Frau in diesem Amt sein, das protokollarisch direkt hinter dem Bundespräsidenten steht. Die CDU-Politikerin, die bereits von 2002 bis 2011 im Bundestag saß, kehrte nach ihrer Zeit in der Landespolitik 2017 nach Berlin zurück und war bis 2021 Bundeslandwirtschaftsministerin. Im alten Bundestag fungierte sie als wirtschaftspolitische Sprecherin der Unionsfraktion und war bis zu ihrer Nominierung Bundesschatzmeisterin der CDU.