The Atlantic: Geheime Diskussionen über den Jemen-Angriff werfen Fragen zur Sicherheit und Strategie auf
Jeffrey Goldberg, Chefredakteur von The Atlantic, staunte nicht schlecht, als er Zugang zu einem internen Chatforum erhielt, in dem unter anderen Vizepräsident JD Vance, Verteidigungsminister Pete Hegseth und Sicherheitsberater Mike Waltz teilnahmen. Insgesamt gehörten zu dieser offenbar internen Chatgruppe auf dem Nachrichtendienst Signal 18 teils hochrangige US-Regierungsvertreter. Die Gespräche drehten sich um strategische Überlegungen, wirtschaftliche Auswirkungen und die Rolle Europas, vor allem aber wurden – und das ist das eigentliche Desaster – tagelang Angriffe auf die Huthi-Rebellen diskutiert.
Während viele zunächst an der Echtheit der Leaks zweifelten, begannen am 15. März die ersten US-Luftangriffe auf den Jemen – und bestätigten damit die Authentizität der Signal-Unterhaltungen. Die US-Regierung hat das Datenleck inzwischen eingeräumt, doch Ex-Präsident Trump verweigerte zunächst jeglichen Kommentar und attackierte stattdessen The Atlantic. Trump bezeichnete Goldberg als „lügenden und diskreditierten sogenannten Journalisten“. Inzwischen stand Trump Rede und Antwort, verfolgte dabei aber seine klassische Strategie: abstreiten!
Geheime Militärplanung auf unsicherer Plattform
Neben der unautorisierten Beteiligung eines Journalisten wirft die Nutzung des Messaging-Dienstes Signal für militärische Planungen ernsthafte Sicherheitsfragen auf. Der pensionierte General Barry McCaffery kritisierte die Praxis scharf:
„Hätten Generäle eine Militäroperation über Signal geplant, wären sie alle entlassen und strafrechtlich verfolgt worden.“
Europa als Verlierer – und potenzieller Zahlmeister
Besonders brisant sind die Aussagen der US-Regierungsmitglieder über Europa. Im Gruppenchat wird mehrfach darauf hingewiesen, dass die Angriffe auf die Huthis in erster Linie europäischen Interessen dienen, insbesondere dem Schutz des Suezkanals. Vizepräsident JD Vance äußerte sich dazu abfällig:
„Wenn ihr meint, wir sollen es tun, dann nur zu. Ich hasse es einfach, Europa schon wieder retten zu müssen.“
Während der Suezkanal für nur drei Prozent des US-Handels von Bedeutung ist, läuft rund 40 Prozent des europäischen Handels durch diese Route. Die Diskussionsteilnehmer im Chat waren sich einig, dass Europa für die militärischen Maßnahmen der USA aufkommen sollte. Stephen Miller, ein enger Berater von Donald Trump, brachte es auf den Punkt:
„Der Präsident war eindeutig: Grünes Licht, aber wir werden Ägypten und Europa bald klarmachen, was wir im Gegenzug erwarten. Wenn Europa nicht zahlt – na und?“
Auch Sicherheitsberater Mike Waltz betonte, dass die USA die Kosten der Operation auf die Europäer umlegen sollten.
Sorge um steigende Ölpreise und Saudi-Arabien
Vizepräsident Vance äußerte im Chat zudem Bedenken über mögliche wirtschaftliche Folgen des Angriffs. Er warnte vor einem Anstieg der Ölpreise in einer Phase wirtschaftlicher Unsicherheit. Zudem wurde in der Gruppe diskutiert, wie Schäden an saudi-arabischen Ölanlagen vermieden werden können, um politische Spannungen mit Riad zu verhindern.
„Wenn wir irgendetwas tun können, um das Risiko eines Zusammenstoßes mit saudi-arabischen Ölanlagen zu minimieren, sollten wir es tun.“
Spuren nach Moskau?
Der umfassende Angriff auf die Huthi-Bewegung begann am 15. März. Hochrangige US-Beamte feierten ihn im Chat mit Emojis von amerikanischen Flaggen und Feuer. Besonders pikant: Trumps Sondergesandter Steve Witkoff war am 13. und 14. März in Moskau, um mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin über den Ukraine-Krieg zu sprechen.
Es gibt Spekulationen, dass Witkoff das Hotel-WLAN nutzte, um an dem geheimen Chat teilzunehmen – eine potenzielle Sicherheitslücke, die den russischen Geheimdiensten Zugang zu den Gesprächen hätte verschaffen können. Laut den von den Huthi kontrollierten jemenitischen Gesundheitsbehörden starben bei dem Angriff am 15. März mindestens 53 Menschen.
Trump-Regierung: Keinerlei vertrauliche Informationen
Das Magazin The Atlantic hatte zuerst lediglich auszugsweise aus dem Chatverlauf zitiert, die militärischen Details aus Rücksicht auf die Sicherheit von US-Soldaten jedoch ausgelassen. Trump, Waltz und andere Beteiligte und führende Regierungsmitglieder behaupteten jedoch unisono öffentlich, dass in dem Chat keinerlei vertrauliche Informationen geteilt wurden. Auch Hegseth bestritt vehement, "Kriegspläne" übermittelt zu haben. Stattdessen diskreditierten sie The Atlantic und dessen Chefredakteur.
Das Magazin entschied sich daher für die Veröffentlichung auch der heiklen militärischen Passagen. "Es besteht ein eindeutiges öffentliches Interesse daran, die Art von Informationen offenzulegen, die Trump-Berater in unsicheren Kommunikationskanälen ausgetauscht haben", schrieb das Magazin zur Begründung - insbesondere, weil die Trump-Regierung versuche, die Bedeutung der Nachrichten herunterzuspielen. Man habe vor der Veröffentlichung verschiedene Regierungsmitglieder gefragt, ob sie Einwände hätten. Die meisten hätten nicht reagiert. Das Weiße Haus sei gegen die Veröffentlichung gewesen.
Wetter, Kampfjet-Startzeiten, Reihenfolge - das ganze Chat-Desaster
Die Nachrichten haben es in sich. Aus den Screenshots des Chatverlaufes geht hervor, dass Hegseth am 15. März kurz vor dem Beginn des US-Militärschlages im Jemen Einzelheiten zum geplanten Ablauf in dem Signal-Chat postete - inklusive Wetter, Startzeiten von F-18-Kampfjets und Drohnen und Reihenfolge der Angriffe. Wörtlich heißt es unter anderem: "Zielterrorist befindet sich an seinem bekannten Aufenthaltsort." Genaue Orte der Militäraktionen nannte er in seiner Nachricht nicht.
Trumps Sicherheitsberater Waltz spielte dies einmal mehr herunter und schrieb auf der Plattform X über die neue Enthüllung: "Keine Standorte. Keine Quellen und Methoden. Keine Kriegspläne." Außerdem seien ausländische Partner bereits vorab über die bevorstehenden Angriffe informiert worden.
Sicherheitsversagen von immensem Ausmaß
Mitglieder des Gruppenchats waren die obersten Führungsköpfe zur nationalen Sicherheit der USA: neben Hegseth unter anderem Trumps Stellvertreter J.D. Vance, Trumps Nationaler Sicherheitsberater Mike Waltz, der Chef des US-Auslandsgeheimdienstes CIA, John Ratcliffe, und die Geheimdienstkoordinatorin Tulsi Gabbard. Waltz hatte die Gruppe eingerichtet und dabei den Journalisten Goldberg hinzugefügt.
Dass ranghohe Regierungsmitglieder überhaupt sensible Informationen über die kommerzielle App Signal austauschen, ist bereits ein Bruch mit den üblichen Sicherheitsstandards. Dass dort Details über einen bevorstehenden Militärschlag erörtert wurden - noch dazu vor den Augen eines Reporters, dessen Anwesenheit sich niemand bewusst war, gilt als Sicherheitsversagen von immensem Ausmaß.
US-Soldaten in Lebensgefahr?
Demokraten und Fachleute werten die Verbreitung derart konkreter Informationen zu einem unmittelbar bevorstehenden Militärschlag über einen Messenger-Dienst, der nicht ansatzweise den Sicherheitsstandards für den Austausch solcher Informationen genügt, jedoch als kompletten Tabubruch, der jene Soldaten, die an dem Einsatz beteiligt waren, in Lebensgefahr brachte. So schrieb eine frühere Sprecherin des Verteidigungsministeriums aus der Amtszeit des Demokraten Joe Biden, Sabrina Singh, auf X, Hegseth habe den Ablauf der gesamten Operation und die Flugzeugtypen offengelegt, bevor die Operation überhaupt stattgefunden habe. "Er setzte das Leben unserer Kampfpiloten aufs Spiel. Details wie diese sind geheim. Ich bin absolut fassungslos."
Das US-Militär hatte Mitte März auf Befehl von Trump massiv Stellungen der Huthi-Miliz im Jemen angegriffen. Die Militärschläge gegen die Huthi gehen seitdem weiter. Die Miliz beherrscht große Gebiete in der Region und vor allem im Jemen. Sie fing nach Ausbruch des Gaza-Kriegs zwischen Israel und der Hamas im Oktober 2023 damit an, den jüdischen Staat aus Solidarität mit der islamistischen Terrororganisation mit Raketen und Drohnen anzugreifen. Zudem begannen sie mit Angriffen auf Schiffe - vor allem solche mit angeblicher Verbindung zu Israel - die entlang der Küste des Jemen auf einer der für den Welthandel wichtigsten Seefahrtrouten unterwegs sind.
Interne Diskussion über Außendarstellung der Angriffe
Die ranghohen Regierungsmitglieder diskutierten in dem Chat auch hitzig, wie die Attacken gegen die Huthi nach außen hin dargestellt werden sollten - und ob nicht am meisten Europa für seinen Handel davon profitiere, wenn die Schifffahrtsstraßen in der Region wieder sicher gemacht würden.
So schrieb Vance demnach: "Ich hasse es einfach, Europa wieder aus der Klemme zu helfen." Hegseth antworte: "Ich teile voll deine Abscheu vor dem europäischen Schmarotzen. Das ist erbärmlich." An anderer Stelle zweifelte Vance offen an, ob sein Chef Trump sich im Klaren sei, wie die Aktion mit Blick auf seinen sonstigen Kurs zu Europa ankomme: "Ich bin mir nicht sicher, ob sich der Präsident bewusst ist, wie sehr dies im Widerspruch zu den aktuellen Botschaften über Europa steht."