Politik

Citigroup-Chefin sieht Revolution der Wirtschaft: Größer als Trumps Handelskrieg

Citigroup-Chefin Jane Fraser sieht im Exklusiv-Interview die KI als größte Umwälzung seit Jahrzehnten. Trump, Handelspolitik und Zölle seien Nebensache – China hingegen sei „unstoppbar“.
30.06.2025 10:17
Lesezeit: 5 min
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Citigroup-Chefin sieht Revolution der Wirtschaft: Größer als Trumps Handelskrieg
Jane Fraser ist CEO von Amerikas drittgrößter Bank, der Citigroup. Citi hat Filialen in über 90 Ländern. Wenn also jemand weiß, was derzeit die Weltwirtschaft antreibt, dann ist das Jane Fraser. (Foto: dpa) Foto: Justin Lane

Besuch in Kopenhagen mit klarer Botschaft

Seit März 2021 ist sie Vorstandschefin der drittgrößten US-Bank Citigroup – als erste Frau überhaupt an der Spitze einer der großen amerikanischen Banken und heute eine der einflussreichsten Topmanagerinnen der USA. Im Exklusiv-Interview mit unseren dänischen Kollegen von Borsen steht sie Rede und Antwort.

Citigroup gilt als globalste aller US-Banken mit 229.000 Mitarbeitern in über 90 Ländern. Fraser weiß, wie es der Weltwirtschaft derzeit geht. Was hört sie von ihren Kunden? Wie wirken sich Handelskriege, Nahost-Konflikte und politische Unsicherheiten aus?

„Wir warten immer noch auf Klarheit“, sagt Jane Fraser – eine andere Art zu sagen: Wir wissen nicht, wohin es führt. Und sie ergänzt: „Auch wenn die Schlagzeilen auf uns einprasseln, entwickelt sich das Ganze einfach langsamer.“ Fraser ist überzeugt: Die aktuellen Entwicklungen bringen tiefgreifende Veränderungen – bei Lieferketten, im Welthandel und in Europas Selbstverständnis wirtschaftlicher und militärischer Eigenständigkeit.

Aber: Es sind weder der Handelskrieg noch Donald Trump, die laut Fraser die Welt am nachhaltigsten verändern werden, wenn wir rückblickend auf 2025 schauen: „In fünf Jahren werden wir uns vermutlich wundern, warum wir so fixiert auf Zölle waren und nicht auf die Revolution der Künstlichen Intelligenz – und die Bedeutung, die sie für Gesellschaft, Wirtschaft und Strukturen hat“, sagt sie. „Es ist gleichermaßen großartig und beängstigend.“

„Wir stehen noch am iPod-Moment“

Natürlich bekommen OpenAI, Sam Altman, Deepseek oder Nvidia viel Aufmerksamkeit. Doch dass KI die Welt bis 2030 so stark verändert, dass selbst Trumps Strafzölle gegen Vietnam in Vergessenheit geraten, klingt dennoch kühn. Wie erklärt sie das? „Spricht man mit denjenigen an der Frontlinie der KI-Entwicklung, sind sie selbst überrascht, wie schnell es geht, welche Kraft und Veränderungspotenziale dahinterstecken. Gleichzeitig sind sie auch etwas verängstigt“, sagt Fraser.

KI werde die Arbeitswelt, unsere Freizeit, und auch die medizinische Forschung fundamental prägen. Aber es gebe ebenso beängstigende Aspekte – etwa humanoide Roboter kombiniert mit KI. Wie weit sind wir in dieser Revolution? Und wo steht Citigroup selbst? „Es fühlt sich an, als wären wir noch in der iPod-Phase“, so Fraser. Als Apple 2001 den iPod präsentierte, war das bahnbrechend – ein tragbarer Musikplayer mit bis zu 1000 Songs. Doch die wahre Revolution kam erst 2007 mit dem iPhone, das Telefon, Kamera, Musikplayer und Internet vereinte. Wer erinnert sich noch an Handys mit Tastenfeld?

Bei Citigroup veränderte KI bereits die Softwareentwicklung deutlich. Jetzt wird KI eingesetzt, um Kundenservice und Kostenkontrolle zu optimieren. Bald sollen auch Buchhaltungs- und Abstimmungsaufgaben automatisiert werden. Ebenso stärkt KI die Bekämpfung von Geldwäsche und Cyberangriffen.

Langfristig soll KI neue Einnahmequellen schaffen. Machine Learning habe schon den Handel an den Finanzmärkten revolutioniert – KI werde das noch weiter verbessern. „Doch wir kratzen bislang nur an der Oberfläche“, sagt Fraser. Noch in diesem und im nächsten Jahr werde Citigroup von KI-Assistenz auf echte KI-Umsetzung umschwenken: „Das ist die nächste Phase der Revolution, von der wir bisher nur die Spitze sehen.“

USA im Krisenmodus – keiner kennt die Wahrheit

Doch Zukunftsvisionen hin oder her: Viele blicken schon beim Hier und Jetzt kaum durch – nach sechs chaotischen Trump-Monaten im Weißen Haus. In einem Bloomberg-Interview Anfang Mai erklärte Fraser, sie könne sich nicht erinnern, jemals so große Unterschiede zwischen harten und weichen Wirtschaftsindikatoren gesehen zu haben. Die harten Daten – etwa Beschäftigung – zeigten eine robuste Wirtschaft, die weichen Daten – etwa Konsumklima – signalisierten eine schwelende Krise.

Welche Daten spiegeln die Realität? „Wir haben bislang keine wirkliche Klarheit“, so Fraser. Unternehmen zögern mit Investitionen und Neueinstellungen. Der US-Import sinkt, Warenströme verlagern sich, vor allem nach Europa. Die Preise passen sich den neuen Zöllen an – aber es sei erst der Anfang. „Ich glaube nicht, dass wir vor Herbst mehr Klarheit bekommen“, sagt Fraser.

34 Millionen Dollar verdiente Jane Fraser letztes Jahr. Das ist etwas weniger als die bestbezahlten US-Bankchefs Jamie Dimon von J.P. Morning Chase und David Solomon von Goldman Sachs, die beide 39 Millionen Dollar erhielten.

Als Chefin einer globalen Großbank mit Millionen Kunden – weiß sie nicht mehr als die offiziellen Daten? „Nein. Ich glaube, das weiß niemand.“ Unter Citigroups Kunden sei aber ein klarer Stimmungswandel spürbar – insbesondere gegenüber den USA. Der Dollar verlor seit Jahresbeginn rund 10 Prozent zum Euro. Und Fraser glaubt: „Unsere Erwartung ist, dass sich die Dollar-Schwäche fortsetzt. Es wird eine Diversifizierung geben, über Jahre hinweg. Unternehmen und Investoren wollen sich aus der US-Konzentration lösen.“

Doch das bedeute nicht den völligen Vertrauensverlust ins „Amerika-Investment“, betont sie.

„Es gibt weiterhin gute Gründe, stark in den USA investiert zu bleiben. Aber ich glaube, wir werden mehr Investitionen in Yen, Franken und Euro sehen.“ EZB-Chefin Christine Lagarde schrieb kürzlich in der Financial Times, die Dominanz des Dollars wackele – die Eurozone könne mehr Gewicht gewinnen. Auch Chinas Notenbankchef Pan Gongsheng sprach laut FT von einem multipolaren Währungssystem mit Konkurrenz für den Dollar – inklusive des Yuan.

Europas Chance – aber nur mit Taten

Jane Fraser, gebürtige Britin, spricht mit deutlichem Akzent über Europa – fast, als gehöre sie noch dazu. Sie sieht jetzt eine historische Chance für Europa – wenn es gelingt, die eigene Zersplitterung zu überwinden. „Die Frage ist: Kann Europa aufhören, nur seine Position zu verteidigen, und stattdessen das aufbauen, was es für die Zukunft braucht?“, so Fraser. Nordeuropa sei dabei besonders gut positioniert: digital, wirtschaftsstark, lösungsorientiert. Bei Gesprächen mit skandinavischen Topmanagern sei der Fokus auf Chancen deutlich spürbar gewesen, nicht auf geopolitische Blockaden.

Gerade bei Künstlicher Intelligenz entscheidet sich Europas Rolle: „Wird Dänemark KI aktiv annehmen, Vorreiter sein, mit einem wettbewerbsfähigen und wachstumsorientierten Blick? Oder nur wieder auf Regulierung und Schutz setzen, wie es Europa oft tut?“, fragt Fraser. Brüssel habe zwar Deregulierung, mehr Wettbewerbsfähigkeit und massiven Verteidigungsausbau angekündigt. Aber reicht das? „Oh“, sagt Fraser, lächelt – „Taten. Worte sind wunderbar. Aber sie zählen nicht, wenn keine Handlungen folgen.“

China bleibt die wahre Bedrohung

Seit 1902 – seit über 120 Jahren – ist Citigroup in China aktiv. Aktuell arbeiten dort 5500 Mitarbeiter. Kürzlich kündigte die Bank den Abbau von 3500 Stellen an. Doch Fraser betont: Das sei Teil globaler Kostensenkungen, kein Rückzug aus China. „Da sollte man nicht zu viel hineininterpretieren“, sagt sie. Ihr China-Bild ist klar: Wenn KI die eine Megakraft der Zukunft ist, ist China die andere. Trumps Handelszölle könnten Europas Blick zu sehr gen Westen lenken – die echte Bedrohung komme aus dem Osten. „Die wirtschaftliche Bedrohung kommt nicht aus den USA. Die wirtschaftliche Bedrohung kommt aus China. Und die sind unstoppbar“, so Fraser.

China entwickle Hochtechnologien und skaliere diese über alle Sektoren – Biotech, Pharmazie, Chemie, Batterien, E-Autos – in atemberaubendem Tempo. „Wir im Westen müssen uns klarmachen, wie wettbewerbsfähig China ist. Wie schnell sie agieren, neue Technologien umsetzen – über das gesamte Ökosystem hinweg. Diese Fähigkeit fehlt uns. Genau da wird sich der Wettbewerb entscheiden“, sagt Fraser.

Blick für das große Ganze

Trotzdem glaubt Fraser: Im Bereich KI und Technologie werden China und der Westen zunehmend getrennte Sphären bilden. Doch in anderen Bereichen bleibt Kooperation notwendig. Citigroup bewegt jährlich rund 2000 Billionen US-Dollar für ihre Großkunden weltweit – also umgerechnet 13 Millionen Milliarden Euro. „Wir haben gute und schlechte Zeiten gesehen, aber wir operieren weiter, egal was passiert“, sagt Fraser – und fügt hinzu: „Wir haben schon viel schlimmere Zeiten erlebt, lassen Sie mich das so sagen.“

Ihr wichtigster Rat: Nicht von kurzfristigem Chaos lähmen lassen. „Man muss sich darum kümmern und es managen. Aber den Blick aufs große Ganze nicht verlieren – wo die Welt wirklich hinsteuert. Ich weiß, es ist ein Schock, was gerade passiert. Aber: Spiel das lange Spiel.“

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