EU-Mitglied Ukraine: Wird das bis 2030 Realität?
Die Förderung der EU-Erweiterung gehört zu den Hauptprioritäten der aktuellen EU-Ratspräsidentschaft. Doch ein Mitgliedsstaat blockiert sämtliche Fortschritte bei den Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine. Erstmals seit Beginn des russischen Angriffskriegs im Jahr 2022 ist es in der Ukraine zu Protesten gegen Präsident Wolodymyr Selenskyj gekommen. Auslöser war ein Gesetz, das Selenskyj per Eilverfahren durchs Parlament brachte und das nach Ansicht von Kritikern dem Kampf gegen die Korruption schadet.
Innerhalb von 24 Stunden wuchs der politische Druck. Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen äußerte „große Bedenken“ über eine Hotline nach Kiew und forderte eine Überarbeitung. Noch am selben Abend kündigte Selenskyj an, das Gesetz nachzubessern, um den Bedenken Rechnung zu tragen. Von der Leyens Warnung wird in Kiew nicht ignoriert – schließlich steht die Ukraine kurz vor Beitrittsverhandlungen mit der EU, mit dem erklärten Ziel, bis 2030 Vollmitglied zu sein.
Reformen unter Kriegsbedingungen
Die Hürden sind gewaltig: Korruptionsbekämpfung, demokratische Stabilität, Rechtsstaatlichkeit und wirtschaftliche Strukturen müssen verbessert werden. Zudem ist die Ukraine ein Land im Krieg, mit unsicheren Grenzen und einer geschwächten Wirtschaft. Mit 33 Millionen Einwohnern wäre sie eines der größten EU-Mitglieder. Dänemark, das derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, leitet die Verhandlungen. Premierministerin Mette Frederiksen und Europaministerin Marie Bjerre kündigten an, den Erweiterungsprozess energisch vorantreiben zu wollen. Laut Bjerre könne die Ukraine 2030 EU-Mitglied werden – sofern sie Kurs hält.
Die Brüsseler Denkfabrik Bruegel widerspricht: Ein Beitritt während eines aktiven Krieges sei unwahrscheinlich. Die Ausgangsbedingungen der Ukraine seien schlechter als jene früherer Beitrittsländer Mittel- und Osteuropas. Besonders bei Justiz, Dezentralisierung und Verfassungsordnung bestehe erheblicher Reformbedarf. Dennoch sieht Bjerre Fortschritte und betont, dass die Ukraine „unter unmenschlichen Bedingungen“ wichtige Reformen umsetze. Zudem wäre das Land ein strategischer Zugewinn: als Binnenmarkt, Energieversorger und militärische Macht.
Deutschlands Rolle und warum Ungarn den EU-Beitritt der Ukraine blockiert
Aus deutscher Sicht ist der EU-Beitritt der Ukraine geopolitisch wie wirtschaftlich von zentraler Bedeutung. Als größter Nettozahler der EU muss Deutschland erhebliche Kosten mittragen – insbesondere bei Agrarsubventionen und Strukturhilfen für die ukrainischen Regionen. Gleichzeitig könnte die Ukraine helfen, Energiepreise zu stabilisieren, Sicherheitskapazitäten der EU zu stärken und deutsche Exporteure durch einen neuen Großmarkt zu fördern. Doch auch innenpolitisch steht Berlin unter Druck, ein klares Signal gegen Russlands Expansionismus zu setzen – gerade jetzt, da Frankreichs EU-Linie ins Wanken geraten ist.
Ironischerweise sind es weder Krieg noch Korruption, die derzeit den Beitrittsprozess lähmen, sondern das EU-Mitglied Ungarn. Ministerpräsident Viktor Orbán lehnt eine Mitgliedschaft der Ukraine ab – mit Verweis auf deren Kriegssituation und mangelnden Schutz der ungarischen Minderheit.
In der EU gilt das Einstimmigkeitsprinzip: Ein einzelnes Land kann den gesamten Erweiterungsprozess blockieren. Marie Bjerre kündigt an, auf diplomatische Lösungen zu setzen – doch wenn Orbán „loyaler gegenüber Putin“ sei, brauche es „eine andere Art von Druck“. Bjerre verweist auf eingefrorene EU-Gelder in Höhe von 18 Milliarden Euro. Sollte Budapest weiter blockieren, müsse die EU prüfen, noch mehr Mittel zurückzuhalten – oder im äußersten Fall Artikel 7 aktivieren. Dies könnte Ungarn das Stimmrecht entziehen – ein Präzedenzfall in der Geschichte der EU.