Welche Folgen hätte eine Donbass-Aufgabe für die Ukraine?
Im Donbass pulsierte einst das industrielle Zentrum der Ukraine. Nach langen Kämpfen liegt ein Großteil der Region in Trümmern. Doch ein kompletter Abzug wäre ein gravierender Einschnitt. Für die Ukraine hätte die Donbass-Aufgabe tiefgreifende militärische, gesellschaftliche und ökonomische Konsequenzen. Nach dem US-russischen Gipfeltreffen in Alaska erhebt Moskau die Forderung, dass die Ukraine ihre Streitkräfte vollständig aus Donezk und Luhansk zurückzieht – als Gegenleistung für ein Einfrieren anderer Fronten. Auch Washington erhöht in dieser Richtung den Druck auf Kiew.
Militärisch: Verlust einer strategischen Linie
Eine Donbass-Aufgabe würde Russland kampflos Land verschaffen, das es weder 2022 noch 2014 erobern konnte. Zwar halten die ukrainischen Truppen im Verwaltungsgebiet Luhansk nur wenige Quadratkilometer. Doch im Raum Donezk befinden sich immerhin 7.600 von 26.500 Quadratkilometern weiterhin in ukrainischer Hand, rund ein Drittel.
Hier liegen Großstädte wie Slowjansk und Kramatorsk, die als Verteidigungsriegel dienen. Westlich davon erstreckt sich weites Steppenland, wodurch Russland bei einer Wiederaufnahme der Kämpfe ungehindert Richtung Charkiw oder Dnipropetrowsk vorstoßen könnte.
Humanitär: Hunderttausende betroffen oder vertrieben
Kramatorsk hatte vor dem Krieg 150.000 Einwohner, Slowjansk 106.000. Selbst wenn die Zahl gesunken ist, würden im Raum Donezk Hunderttausende ukrainische Bürger unter russische Herrschaft geraten – oder fliehen. Die Ukraine hält seit über dreieinhalb Jahren durch, weil sie ihre Bevölkerung nicht unter Moskauer Gewalt zurücklassen will.
Alle Berichte aus 2022 zurückeroberten Regionen zeigen, dass die Besatzung mit Verschleppungen, Morden und Folter einherging. Das traf sogar russischsprachige Ukrainer im Osten, die Moskau angeblich schützen will. Zudem wird Druck ausgeübt, die russische Staatsangehörigkeit anzunehmen. Sprache und Kultur der Ukraine werden zurückgedrängt.
Wirtschaftlich: Rohstoffe unter Kontrolle Moskaus
Vor 2014 lebten in der Industrieregion Donbass rund 6,5 Millionen Menschen. Mit Kohle und Eisen bildete sie das Herzstück der Schwerindustrie der Ukraine, obwohl viele Werke bereits veraltet waren. Zur Fußball-EM 2012 erhielt die Millionenstadt Donezk mit der modernen Donbass-Arena ein neues Stadion.
Doch als Donezk und weite Teile des Donbass 2014 unter russische Herrschaft gerieten, brach der Austausch mit dem von Kiew kontrollierten Land weitgehend ab. Durch die Kämpfe wurden zahlreiche Gruben aufgegeben und liefen voll Wasser. In diesem Sommer gab es in Donezk Probleme mit Trinkwasser, weil der Siwerskyj Donez-Donbass-Kanal an mehreren Stellen zerstört ist. Im Donbass befinden sich viele Rohstoffe, mit denen die Ukraine laut Abkommen eigentlich US-Unterstützung absichern wollte. Doch durch das Vorrücken russischer Truppen sind in den vergangenen Monaten weitere Lagerstätten für Kiew verloren gegangen.