Technologie

China erweitert seinen KI-Einfluss: Erste Schritte im islamischen Technologieraum sichtbar

China nutzt offene KI-Modelle, religiöse Märkte und diplomatische Strategien, um seine Macht in der KI-Geopolitik auszuweiten. Von Malaysia bis Saudi-Arabien entstehen neue Strukturen, während Washington warnt – und Europa Gefahr läuft, den Anschluss zu verlieren.
22.08.2025 05:59
Lesezeit: 5 min

Peking setzt auf offene Modelle und religiöse Märkte

Im Handelskrieg zwischen den globalen Mächten auf verschiedenen Kontinenten zeichnen sich die Einflusssphären von China und den USA immer deutlicher im Technologiebereich ab. Hier geht es nicht nur um neue Zölle oder Abkommen über Halbleiter, sondern vor allem um die immer heftigeren Wettläufe im Bereich Künstliche Intelligenz (KI), die zu einem zentralen Feld der globalen Machtdynamik geworden sind. Während Europa den US-Technologien folgt, wird Chinas Infrastruktur zur Stütze für andere asiatische Länder, um eigene KI-Modelle zu entwickeln.

Das malaysische Unternehmen Zetrix AI Bhd gab im August bekannt, ein großes Sprachmodell für Muslime entwickelt zu haben – basierend auf Open-Source-KI aus Chinas DeepSeek. Damit soll eine Zielgruppe von rund zwei Milliarden Menschen erreicht werden. Der vorgestellte Chatbot „NurAI“ wird Beratung in Malaiisch, Indonesisch, Arabisch und Englisch anbieten – zu Fragen von Ernährung bis hin zu rechtlichen Ratschlägen nach der Scharia sowie islamischen Werten. In den kommenden Monaten sollen KI-Avatare eingeführt werden, die islamische Gelehrte imitieren und Lebensstil-, Gesundheits- und Finanzberatung leisten.

Dieses Modell wurde nach Methoden des chinesischen Start-ups DeepSeek entwickelt, das im Januar dieses Jahres populär wurde. Das in Guangzhou ansässige Unternehmen half dem Team in Malaysia, eine „Mixture of Experts“-Architektur aufzubauen – ein System, das Anfragen zwischen „Experten“ innerhalb des Modells verteilt, um Geschwindigkeit und geringere Kosten zu gewährleisten. „Dies ist die Bestätigung, dass innovative KI auch außerhalb der Technologiezentren USA und China gedeihen kann“, sagte Fadzlio Shah, CEO von Zetrix. „Wir hatten die Möglichkeit, ein breites Spektrum technologischer Fortschritte durch DeepSeek zu nutzen, da dieses Start-up westliche KI-Modelle erneuert und verbessert hat.“

Fadzlio Shah erklärte, dass das Zetrix-Modell muslimischen Mehrheitsstaaten und Gemeinschaften eine Alternative zu westlichen und chinesischen KI-Modellen bieten solle. Langfristig plant Zetrix, „NurAI“ auch in anderen muslimischen Mehrheitsstaaten im Nahen Osten oder in Afrika einzuführen – jedes Land und jeder Markt soll das Modell mit eigenen Daten trainieren.

Religiös basierte KI-Lösungen sind keine Neuheit. Es gibt bereits Produkte wie „Ask AiDeen“ oder „Anakin“, die sich ebenfalls an muslimische Gemeinschaften weltweit richten. Doch Zetrix präsentiert „NurAI“ als vollwertiges, auf islamischen Werten basierendes Sprachmodell, das von einem Aufsichtsrat aus islamischen Gelehrten und Geistlichen in Malaysia, Indonesien, Brunei und anderswo begleitet wird.

Offene KI als Instrument chinesischer Technologie-Diplomatie

Malaysia ist nur ein Beispiel dafür, wie chinesische Modelle zur Infrastruktur für andere Regionen werden. Open-Source-Modelle aus China wie DeepSeek oder Alibaba ziehen weltweit Nutzer an – darunter auch den saudischen Ölkonzern Saudi Aramco. Kostenloser Zugang ist nicht nur ein attraktives Geschäftsmodell, sondern auch Teil von Pekings technologischer Diplomatie. China will seine Open-Source-KI-Modelle zu einem globalen Standard machen.

Das im Frühjahr vorgestellte Reasoning-Modell „R1“ von DeepSeek löste eine Welle aus, der weitere chinesische Akteure folgten – zuerst Alibabas „Qwen“, dann „Moonshot“, „Z.ai“ und „MiniMax“. Alle diese Modelle bieten frei verfügbare Versionen, die Nutzer herunterladen und modifizieren können.

Dies setzt US-Unternehmen, die primär auf Kommerz setzen, unter Druck. Anfang August stellte OpenAI erstmals sein eigenes Open-Source-Modell „gpt-oss“ vor. Die Geschichte zeigt, dass beim Wettbewerb um Standards nicht unbedingt der technologisch fortschrittlichste Akteur gewinnt. Windows, Google oder Android verdankten ihren Erfolg nicht nur Innovation, sondern auch einfacher Zugänglichkeit und Flexibilität. Genau deshalb sorgt Chinas Aufstieg im Bereich Open-Source-KI in Washington und im Silicon Valley für Unruhe.

Politische Dimensionen der KI-Geopolitik

Asiatische Ingenieure betonen, dass chinesische Modelle oft besser regionale Sprachen und kulturelle Nuancen verstehen. Sie werden mit großen chinesischen Sprachdatensätzen trainiert, die Ähnlichkeiten mit anderen Sprachen der Region aufweisen, schreibt das Wall Street Journal. „Mit führenden US-Modellen hatten wir manchmal Schwierigkeiten: Der Chatbot verstand indirekte Absichten nicht und antwortete zu wenig höflich“, sagt der japanische Ingenieur Shinichi Usami. „‚Qwen‘ scheint mit solchen Nuancen besser zurechtzukommen.“

Doch zugleich entstehen Gefahren politischer Zensur. DeepSeek etwa kann unbequeme Fragen über die chinesische Regierung unterdrücken. Diese Steuerbarkeit macht die Modelle nicht nur für Peking attraktiv, sondern auch für autoritäre oder streng religiöse Regionen. Das US-Thinktank Brookings warnt, dass sich der KI-Wettbewerb längst über die Technologie hinaus ausdehnt und politische Systeme betrifft – mit Risiken für demokratische Werte. Der Wettbewerb entscheide über das Prestige liberaler Werte und die geopolitische Machtbalance zwischen den USA und ihren Verbündeten auf der einen sowie China auf der anderen Seite.

Analysten sehen in Chinas Vorstoß einen Versuch, sich durch fortschrittliche KI strategische Vorteile gegenüber den USA zu verschaffen – zugleich aber auch neue KI-basierte Überwachungs- und Repressionsformen einzusetzen, die Pekings illiberales Herrschaftsmodell im In- und Ausland stärken. US-Vertreter warnen, dass China seine dominanten Modelle in der KI-Geopolitik nutzen könnte, um geopolitische Ziele durchzusetzen.

Regulierungsstandards

Um mehr politisches Gewicht in der KI-Arena zu erlangen, spricht China zunehmend über die Notwendigkeit, Sicherheitsgrenzen für diese Technologie festzulegen. Darüber äußern sich auch die höchsten Staatsführer, darunter Präsident Xi Jinping. So versucht Peking nicht nur, die fortschrittlichsten Modelle zu entwickeln, sondern auch internationale Spielregeln zu gestalten.

Ende Juli fand die Welt-KI-Konferenz (WAIC) statt, die größte jährliche KI-Veranstaltung in China, auf der der „Globale Aktionsplan für KI-Governance“ vorgestellt wurde. Kommentatoren des Technologieportals The Wired beschrieben diesen Schritt Pekings als ein Ereignis, bei dem „hinter verschlossenen Türen chinesische Forscher die Grundlagen für eine neue globale KI-Agenda legten“. „Chinas KI-Aktionsplan klingt wie ein globalistisches Manifest: Er schlägt vor, dass die Vereinten Nationen die internationalen KI-Bemühungen anführen, und betont, dass Regierungen eine wichtige Rolle bei der Regulierung dieser Technologie spielen müssen“, schreibt The Wired.

Obwohl die politischen Systeme der Regierungen sehr unterschiedlich sind, bereiten ähnliche KI-Risiken sowohl in China als auch in den USA Sorgen: Modell-Halluzinationen, Diskriminierung, existentielle Risiken, Schwachstellen in der Cybersicherheit. „Da die USA und China die fortschrittlichsten KI-Modelle entwickeln, die nach derselben Architektur und unter Anwendung derselben Skalierungsgesetze trainiert werden, sind die Auswirkungen und Risiken für ihre Gesellschaften sehr ähnlich“, sagt Brian Tse, Gründer des in Peking ansässigen KI-Sicherheitsforschungsinstituts Concordia AI. Um diese Bedrohungen anzugehen, versucht Peking mit seinem Aktionsplan gleichzeitig den Moment zu nutzen, in dem US-Präsident Donald Trump keine kohärente Politik verfolgt, und politische Führungsrolle im Bereich der KI-Regulierung zu übernehmen.

Eng verflochten

Gleichzeitig sind die USA und China in gewissem Maße voneinander abhängig, wenn es um Fortschritte in KI und anderen digitalen Technologien geht. Der Handelskrieg zwischen den USA und China in diesem Jahr hat gezeigt, wie jede Seite ihre industriellen Vorteile – etwa US-amerikanische Nvidia-Chips oder Chinas seltene Erden – nutzen kann, um von der anderen Seite Zugeständnisse zu erzwingen.

Auch beim Vergleich der Fähigkeiten von KI-Modellen gibt es Gerangel. Laut dem Forschungsunternehmen Artificial Analysis, das die Fähigkeiten von Modellen in Mathematik, Programmierung und anderen Bereichen bewertet, übertraf eine Version von Alibabas „Qwen3“ das Modell „gpt-oss“ von OpenAI. Allerdings ist dieses chinesische Modell fast doppelt so groß wie das von OpenAI, was zeigt, dass „Qwen“ für einfachere Aufgaben mehr Rechenleistung benötigt. Deshalb ist „gpt-oss“ effizienter.

Noch immer ist der ursprüngliche, verblüffende Erfolg von DeepSeek nicht vergessen, als das Modell „DeepSeek-R1“ in Benchmark-Tests nicht schlechter abschnitt, obwohl es für nur 5–6 Millionen USD trainiert wurde – zu einer Zeit, als die Investitionen großer US-Technologiekonzerne bereits Milliarden erreichten. Obwohl einige Experten warnen, dass man chinesischen Angaben nicht blind vertrauen solle, beschrieben große US-Technologiekonzerne das Beispiel von DeepSeek als klares Zeichen, dass China den USA dicht im Nacken sitzt.

Chris Lehane, Leiter der globalen Angelegenheiten bei OpenAI, erklärte im Februar, dass das fortschrittliche und kostengünstige Modell von DeepSeek bestätige, dass es „einen sehr realen Wettbewerb zwischen dem von den USA geführten, demokratischen, kleingeschriebenen d, KI-System und dem von der Kommunistischen Partei Chinas geführten autokratischen, autoritären KI-System“ gebe. „Stellen Sie sich vor, es gäbe weltweit nur zwei Länder, die in der Lage wären, in großem Maßstab Strom zu erzeugen“, so beschrieb C. Lehane die aktuelle Phase des KI-Wettlaufs.

KI-Geopolitik: Wie China mit offenen Modellen die Weltordnung verändert

Für Deutschland ist die KI-Geopolitik von hoher Relevanz. Als exportorientierte Volkswirtschaft ist das Land auf stabile technologische Standards angewiesen. Sollte China mit Open-Source-KI globale Normen setzen, könnten europäische Unternehmen unter Druck geraten, sich Pekings Vorgaben anzupassen. Gleichzeitig droht der Verlust politischer Einflussmöglichkeiten, wenn KI-Standards von autoritären Regimen geprägt werden. Für deutsche Firmen eröffnet die Entwicklung zwar neue Märkte, zugleich entstehen jedoch erhebliche Abhängigkeiten in sensiblen Schlüsseltechnologien.China baut seine Rolle in der globalen KI-Geopolitik massiv aus – mit offenen Modellen, gezielter Technologie-Diplomatie und dem Eintritt in religiöse Märkte wie die islamische Welt. Während Europa hinterherläuft und die USA auf kommerzielle Lösungen setzen, versucht Peking, Standards und Machtstrukturen für die Zukunft der Künstlichen Intelligenz festzuschreiben. Für Deutschland und Europa geht es um nicht weniger als den Erhalt technologischer Souveränität.

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