Exportabhängig und reformmüde: Wird die deutsche Wirtschaft zum Sorgenfall Europas
Nach Angaben von Destatis, dem Statistischen Bundesamt, schrumpfte das reale BIP in Deutschland im zweiten Quartal 2025 um 0,3 Prozent gegenüber dem Vorquartal. Dies ist eine deutliche Änderung gegenüber den ursprünglichen Schätzungen, die einen Rückgang von 0,1 Prozent auswiesen. Ohne sich zu sehr in Nebensächlichkeiten zu verlieren: Das Bild bleibt gleich – Stagnation, Stagnation und nochmals Stagnation. Die Wirtschaft unseres westlichen Nachbarn wächst nun schon das achte Jahr in Folge nicht mehr.
Auffällig ist, dass Deutschland einen Jojo-Effekt in der Konjunktur erlebte. Zunächst stieg die Wirtschaft im ersten Quartal um 0,3 Prozent, um anschließend um 0,3 Prozent zu schrumpfen – am Ende also null. Die Erklärung liefern die US-Zölle. Im März stiegen Produktion und Export von Pharmazeutika und Maschinen stark an, weil US-Unternehmen ihre Lagerbestände aufstockten, um den negativen Einfluss der Zölle abzufedern. Danach verpuffte dieser Effekt naturgemäß. Ökonomen der Bundesbank schrieben im August-Bericht: „Der Rückgang der Industrieproduktion ist daher wahrscheinlich in erster Linie den Abfalleffekten zuzuschreiben, die auf den vorherigen vorauseilenden Anstieg infolge der US-Zollpolitik im ersten Quartal folgten. Die Produktion in Branchen wie Pharma und Maschinenbau, die stark vom US-Markt abhängig sind, verzeichnete einen besonders deutlichen Rückgang. Abfalleffekte waren auch im Export sichtbar. Der Export von Waren in die Vereinigten Staaten sank im zweiten Quartal stark nach dem zuvor erheblichen Anstieg.“
Industrie zeigt erste Lebenszeichen, Konsum bleibt schwach
Man kann also feststellen: Das zweite Quartal brachte keine Veränderungen. Schwacher Export, Rezession in Industrie und Bau, Investitionsrückgang und Konsumzurückhaltung bleiben ein Ballast für das Wachstum. Einzige Lichtblicke sind steigende staatliche Konsumausgaben, stabiles Beschäftigungsniveau und eine verbesserte Lage in den Dienstleistungen der Bereiche Business und IT.
Wichtig ist: BIP-Daten sind wie ein Blick in den Rückspiegel – sie zeigen, wo wir waren, nicht wo wir sind oder wohin wir gehen. Das zweite Quartal deckt die Monate April bis Juni ab, wir haben aber bereits die zweite Augusthälfte. Zwei Monate können in der Wirtschaft eine Ewigkeit sein – man denke nur an die Geschwindigkeit, mit der sich Börsenstimmungen ändern oder Unternehmen auf neue Informationen reagieren. Das heißt nicht, dass Deutschland plötzlich ein Plus von drei Prozent Wachstum erzielt, aber erste Signale einer Trendwende könnten sich bereits in den neuesten Hochfrequenzdaten, den Frühindikatoren, abzeichnen.
Was sagen diese aus? Kurz gefasst: In den deutschen Fabriken bewegt sich endlich etwas – doch die Portemonnaies der Haushalte bleiben verschlossen. Positive Signale aus der Industrie stehen im Kontrast zur hohen Sparneigung der Bevölkerung.
Im August erreichte der Einkaufsmanagerindex (PMI) für die Industrie mit 49,9 Punkten den höchsten Stand seit 38 Monaten, der Index der Industrieproduktion schoss mit 52,6 Punkten auf den höchsten Wert seit über drei Jahren. Besonders spektakulär war die Wende in der Automobilbranche, bislang das größte Sorgenkind der Wirtschaft. Der Absatz von Pkw stieg im Juli um 11 Prozent gegenüber dem Vorjahr, und die Stimmung der Hersteller verbesserte sich von -31,6 auf -23,8 Punkte.
Haushalte sparen weiter: Risiko für den Aufschwung
Während die Industrie etwas Fahrt aufgenommen hat, bleiben die deutschen Haushaltskassen verschlossen. Die Konsumneigung sank von -6,2 auf -9,2 Punkte, obwohl die Realeinkommen steigen. Der Grund: Die Sparneigung stieg auf 16,4 Punkte. Immer mehr deutsche Haushalte geben an, lieber Geld zurückzuhalten, statt es für größere Anschaffungen auszugeben. Rolf Bürkl vom NIM-Institut erklärt es klar: „Die meisten Konsumenten sind weiterhin der Meinung, dass es ratsam ist, das Geld zurückzuhalten, anstatt es für große Einkäufe auszugeben.“ Ohne einen Umschwung hier bleibt jede Hoffnung auf eine dynamischere Erholung Illusion.
Deutschland könnte gerade in ein zartes, industriebasiertes Aufleben eintreten. Doch die Wahrheit ist: Solange das Wachstumsmodell nicht von der Exportabhängigkeit hin zu einer Stärkung der Binnennachfrage – also zu mehr Konsum und Investitionen – umgebaut wird, ändert sich strukturell nichts. Niedrigere Zinsen dürften zwar helfen, aber eine solche Transformation dauert Jahre, nicht Monate.
Jojo-Ökonomie: Warum die deutsche Wirtschaft trotz Industrie-Impulsen nicht vom Fleck kommt
Gerade für Deutschland ist diese Entwicklung heikel. Der Jojo-Effekt durch US-Zölle verdeutlicht, wie stark die deutsche Wirtschaft von externen Schocks abhängt. Während die Industrie zaghaft Stabilisierungstendenzen zeigt, bleibt die Binnennachfrage blockiert. Für nachhaltiges Wachstum müsste Deutschland also nicht nur seine Exportmärkte absichern, sondern auch die Kaufkraft im Inland stärken – ein Kraftakt, der auch im europäischen Kontext entscheidend wäre.Die deutsche Wirtschaft bleibt in der Stagnation gefangen. Zwar deuten Frühindikatoren auf erste Impulse in der Industrie hin, doch solange Haushalte sparen und Investitionen ausbleiben, wird das Aufleben schwach bleiben. Ohne einen strukturellen Umbau des Wachstumsmodells droht Deutschland, auf lange Sicht das Sorgenkind Europas zu bleiben.


