Wirtschaft

Rente und Pflege vor dem Kollaps: Droht der Zugriff aufs Eigenheim?

Wer glaubt, Haus oder Betrieb seien im Pflegefall sicher, irrt. Schon heute zwingt der Staat Pflegebedürftige, ihr Vermögen einzusetzen. Unternehmer riskieren ihr Lebenswerk, Erben verlieren den Schutz – und selbst das Eigenheim gerät ins Visier.
19.09.2025 12:42
Lesezeit: 3 min
Rente und Pflege vor dem Kollaps: Droht der Zugriff aufs Eigenheim?
Eine Pflegehausbewohnerin hält sich am 08.03.2013 in einem Seniorenzentrum an einem Bettaufrichter fest (Foto: dpa). Foto: Angelika Warmuth

Pflege: Die stille Enteignung läuft bereits

40 Jahre gearbeitet, das Haus endlich abbezahlt, ein kleines Vermögen zur Seite gelegt. Dann der Pflegefall – und statt Hilfe kommt das Sozialamt mit Forderungen. Für viele Familien ist das die bittere Realität. Die Pflegeversicherung springt hier nicht ein. Sie ist keine Vollkasko, sondern nur eine Teilversicherung. Sie zahlt feste Zuschüsse, doch die wachsende Lücke müssen Betroffene und Angehörige selbst füllen. Und diese Lücke wird jedes Jahr größer. Laut Verband der Ersatzkassen liegt der Eigenanteil für einen Heimplatz inzwischen bei durchschnittlich 3.108 Euro im Monat – „8,3 Prozent mehr als im Vorjahr“. Tendenz: Weiter steigend.

Die Hoffnung, der Staat übernehme alle Kosten, ist ein Irrtum. Reichen Rente oder Pension nicht, wird das eigene Vermögen fällig – Ersparnisse, Wertpapiere, Immobilien. Geschützt bleibt kaum etwas: Nur rund 10.000 Euro pro Person gelten als Schonvermögen (§ 90 SGB XII). Alles darüber hinaus muss aufgebraucht werden. Das Eigenheim ist nur unter engen Bedingungen sicher. Es darf nicht „luxuriös“ sein, sondern muss als „angemessen“ gelten – und es ist nur dann sicher, wenn es tatsächlich von Ehepartnern oder engen Angehörigen bewohnt wird (§ 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII). Steht das Haus leer oder wird es nach dem Tod vererbt, kann das Sozialamt zugreifen, wenn es zuvor Pflegekosten übernommen hat.

Erben: Vom Traum zum Albtraum

Für viele Familien platzt so der Traum vom schuldenfreien Elternhaus. Das Sozialamt kann bis zu zehn Jahre rückwirkend auf den Nachlass zugreifen (§ 102 SGB XII) – oft noch bevor die Erben im Grundbuch stehen. Das zeigt, dass sich die Behörden schon heute zurückholen, was sie ausgelegt haben.

Seit 2020 gibt es zwar eine Entlastung beim Elternunterhalt: Kinder müssen erst ab einem Einkommen von 100.000 Euro brutto im Jahr zahlen (§ 94 Abs. 1a SGB XII). Doch dieser Schutz greift nur für laufende Unterhaltszahlungen. Der Nachlass selbst bleibt ungesichert – und kann nach dem Tod weiterhin für Pflegekosten herangezogen werden.

Unternehmer: Lebenswerk auf der Kippe

Für Unternehmer ist die Lage besonders heikel. Auch das Betriebsvermögen gilt als verwertbar – jedenfalls dann, wenn es nicht mehr unmittelbar für die Erwerbstätigkeit benötigt wird. Wird der Inhaber pflegebedürftig und fehlt eine klare Nachfolgeregelung, kann das Sozialamt verlangen, dass der Betrieb zur Finanzierung herangezogen wird.

Ein Beispiel: Ein Mittelständler mit 25 Mitarbeitern hat seine Firma jahrzehntelang aufgebaut. Gewinne wurden im Unternehmen belassen – in Maschinen, Lager und Rücklagen. Kommt er ins Heim und gibt es keine geregelte Fortführung, kann das Sozialamt diese Substanz als Vermögen werten. Die Folge: Entweder muss der Betrieb verkauft werden oder die Familie muss andere Wege finden, die Pflegekosten zu decken.

Es gibt zwar Härtefallregelungen und auch die Möglichkeit eines Darlehens (§ 90 Abs. 3, § 91 SGB XII). Doch ohne eine vorausschauende Nachfolgeplanung steigt das Risiko eines Zwangsverkaufs erheblich. Jahrzehnte an Aufbauarbeit können so binnen kurzer Zeit verloren gehen – eine Katastrophe für die Familie und ein existenzielles Risiko für die Beschäftigten.

Rente: Die nächste Krise

Doch Vorsorge betrifft nicht nur die Pflege. Auch die Rente gerät zunehmend unter Druck – und könnte zum nächsten Feld werden, auf dem der Staat stärker auf privates Vermögen zugreift. Das Umlageprinzip wankt, die Finanzlöcher wachsen, der Druck auf Politik und Kassen steigt. Schon heute fließen über 100 Milliarden Euro Bundeszuschüsse jährlich in die Rentenkasse. Der Beitragssatz liegt bei 18,6-Prozent. Ohne Reformen wird er laut Regierungsprognosen in den 2030er Jahren auf über 22-Prozent steigen.

Die Wirtschaftsweisen machen keinen Hehl daraus: Privates Vermögen soll künftig stärker einbezogen werden. Immobilien, Betriebsvermögen, Ersparnisse – alles steht auf dem Prüfstand. Monika Schnitzer, Vorsitzende des Sachverständigenrats, bringt es auf den Punkt: „Man kann nicht erwarten, dass der Staat das Eigenheim schützt.“

Damit wird klar, dass das, was in der Pflege längst Realität ist, auch bei der Rente näher rückt. Es geht nicht mehr um die Frage, ob der Staat zugreift – sondern nur noch darum, wie weit er geht. Ohne tiefgreifende Reformen werden Vermögensbesitzer stärker in den Fokus geraten.

Strategien: Wie kann ich mich schützen?

Die Botschaft ist eindeutig. Nur wer vorsorgt, behält die Kontrolle. Wer sich zurücklehnt, riskiert, dass Jahrzehnte an Arbeit und Eigentum verschwinden. Vertrauen allein auf den Staat ist ein Spiel mit hohem Einsatz – und der Einsatz könnte am Ende das eigene Zuhause sein.

Eigentümer, Unternehmer und Erben müssen aktiv werden, wenn sie ihr Vermögen sichern wollen. Abwarten ist keine Option. Eine private Pflegezusatzversicherung oder ein Pflegetagegeld kann verhindern, dass Eigenanteile das Vermögen auffressen. Rücklagen und Pflegefonds schaffen Spielraum. Immobilienbesitzer können durch Verrentung oder Teilverkauf Kapital freisetzen, ohne sofort das Haus aufzugeben.

Auch eine vorweggenommene Übertragung von Vermögen ist möglich – etwa mit Nießbrauch oder Wohnrecht. Aber Vorsicht: Schenkungen können bis zu zehn Jahre lang zurückgefordert werden (§§ 528, 529 BGB). Unternehmer sollten außerdem ihre Nachfolge frühzeitig regeln, damit das Betriebsvermögen nicht als frei verwertbar gilt und in den Zugriff der Sozialkassen gerät.

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