Politik

Feldmarschall und Trump einig: Die Ukraine kann den Krieg nicht gewinnen

Die diplomatischen Fronten im Ukraine-Krieg verschieben sich. Während Präsident Wolodymyr Selenskyj in Europa erneut um Unterstützung wirbt, sendet Washington unter Präsident Donald Trump ein unmissverständliches Signal der Distanz. Sowohl der britische Feldmarschall Lord Richards als auch Trump vertreten inzwischen dieselbe Analyse: Die Ukraine kann den Krieg gegen Russland militärisch nicht gewinnen.
23.10.2025 08:24
Lesezeit: 3 min
Feldmarschall und Trump einig: Die Ukraine kann den Krieg nicht gewinnen
Präsident Donald Trump war am Freitag damit beschäftigt, Präsident Selenskyj beizubringen, warum er ukrainischem Territorium für ein Friedensabkommen mit Russland geben muss. (Foto: dpa) Foto: Alex Brandon

Trump drängt Selenskyj zur Kapitulation im Ukraine-Krieg

Lord Richards, ehemaliger britischer Generalstabschef, erklärte in einem Interview mit The Independent, dass die ukrainischen Streitkräfte „nicht die militärische Stärke besitzen, um die russischen Besatzungstruppen aus den rund 20 Prozent des Landes zu vertreiben“. Selbst mit ausreichender westlicher Ausrüstung wäre ein Sieg unwahrscheinlich. „Wir haben die Ukraine ermutigt zu kämpfen, ohne ihr die Mittel zu geben, zu gewinnen“, so Richards. Der Westen stehe damit in einem Widerspruch zwischen moralischer Unterstützung und strategischer Zurückhaltung.

Auch aus Washington kommen zunehmend Signale einer politischen Kursänderung. Laut übereinstimmenden Medienberichten verläuft die Kommunikation zwischen Trump und Selenskyj seit Wochen angespannt. Beim letzten Treffen am Freitag soll der US-Präsident den ukrainischen Staatschef ungewöhnlich scharf angegangen haben. Nach Informationen der Financial Times schrie Trump seinen Amtskollegen an, warf ihm militärisches Versagen vor und bezeichnete den Konflikt als „Spezialoperation, die nicht einmal ein richtiger Krieg ist“.

Er habe, so zitiert die Zeitung, die von Selenskyj vorgelegten Karten zur Frontlage vom Tisch geworfen und erklärt: „Diese rote Linie, ich weiß nicht einmal, wo sie ist. Ich war nie dort.“ Trumps Botschaft war eindeutig: Die Ukraine verliere, und Präsident Putin könne sie „zerstören, wenn er will“.

Das Treffen endete ohne gemeinsame Erklärung. Stattdessen deutete Trump an, dass ein Friedensgipfel zwischen ihm, Putin und möglicherweise Selenskyj in Budapest innerhalb weniger Wochen stattfinden könne, jedoch wohl nicht in gemeinsamer Sitzung. Beobachter sehen darin den Versuch Trumps, sich als alleiniger Vermittler zu positionieren, zugleich aber den Druck auf Kiew zu erhöhen, eine umfassende Kapitulation zu akzeptieren.

Europa in der strategischen Sackgasse

Für die europäischen Staaten wäre eine solche Entwicklung ein geopolitischer Schock. Sollte Trump seine Haltung beibehalten, würde die US-Führung ihre bisherige Unterstützung de facto sowohl finanziell als auch militärisch-logistisch zurückziehen. Damit stünde Europa in einem Vakuum, unfähig, den Krieg ohne Washingtons Ressourcen weiterzuführen. Selenskyj versucht deshalb, den europäischen Block neu zu mobilisieren. Nach dem gescheiterten Treffen mit Trump forderte er auf sozialen Medien eine erneute Sitzung der „Koalition der Willigen“, jener Gruppe europäischer Länder, die sich bereit erklärt haben, nach einer Waffenruhe an einer möglichen Friedensmission in der Ukraine mitzuwirken. „Die Ukraine wird Terroristen niemals für ihre Verbrechen belohnen, und wir erwarten, dass unsere Partner dieselbe Haltung beibehalten“, schrieb Selenskyj.

Damit erteilte er jeder territorialen Abtretung an Russland eine klare Absage, auch wenn die USA unter Trump genau darauf hinarbeiten. Ein solches Treffen der Koalition könnte bereits am Freitag nach dem EU-Gipfel in Brüssel stattfinden. Doch die strategische Frage bleibt: Was kann Europa tun, wenn die USA aussteigen? Die bisherige militärische und nachrichtendienstliche Koordination mit Washington war Grundvoraussetzung für jede operative Planung.

Strategische Ernüchterung im Westen

Feldmarschall Lord Richards formuliert in seiner Analyse einen Punkt, der in westlichen Hauptstädten zunehmend offen diskutiert wird: Der Ukraine-Krieg sei kein existenzielles Problem für den Westen, wohl aber für Russland. Diese asymmetrische Motivation führe unweigerlich zu einem Kräfteungleichgewicht. „Wir haben entschieden, dass dieser Krieg nicht in unseren vitalen nationalen Interessen liegt“, sagte der ehemalige Kommandosoldat. Europa befinde sich in einer „Art hybriden Krieg“ mit Russland, ohne selbst bereit zu sein, reale Verluste zu akzeptieren. Bewunderung und Sympathie für die Ukrainer könnten, so Richards, keine strategische Realität ersetzen.

Trumps jüngste Positionsänderung folgt offenbar auf ein über zweistündiges Telefonat mit Wladimir Putin, berichtet die dänische Zeitung Borsen. Nach Informationen der Washington Post forderte der russische Präsident darin die vollständige Kontrolle über die ostukrainische Donbass-Region. Kurz darauf bezeichnete Trump die russische Wirtschaft als „stabil und erfolgreich“. Das ist ein bemerkenswerter Gegensatz zu seinen früheren Aussagen, wonach Russland wegen des Kriegs wirtschaftlich kollabiere.

Europas neue Abhängigkeit

Die aktuelle Entwicklung zeigt, dass Europa in der Ukraine-Politik erneut zwischen strategischer Ohnmacht und politischem Opportunismus schwankt. Sollte die USA den Kurs auf Verhandlungen erzwingen, bliebe der EU nur die Rolle eines Zuschauers. Gleichzeitig könnte Russland die gewonnene Zeit für eine umfassende militärische Rekonstruktion nutzen.

Für Deutschland und die EU ist die Situation doppelt heikel: Einerseits steigt der Druck, eine gemeinsame europäische Sicherheitsstrategie zu entwickeln, andererseits droht eine weitere Spaltung zwischen den osteuropäischen Staaten, die auf Sieg setzen, und jenen in Westeuropa, die auf Stabilität hoffen.

Der Ukraine-Krieg tritt in eine neue Phase

Die jüngsten Aussagen von Trump und Lord Richards markieren einen Wendepunkt. Der Ukraine-Krieg ist aus westlicher Sicht nicht länger ein Projekt des militärischen Sieges, sondern der politischen Schadensbegrenzung. Europa steht vor der Entscheidung, entweder eigenständig Verantwortung zu übernehmen oder sich den strategischen Interessen Washingtons zu fügen. Der Krieg bleibt damit nicht nur ein militärischer, sondern zunehmend ein Test der geopolitischen Selbstständigkeit Europas.

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Marius Vaitiekūnas

Zum Autor:

Marius Vaitiekūnas ist ein ausgewiesener Experte für Geopolitik und internationale Wirtschaftsverflechtungen. Geboren 1985 in Kaunas, Litauen, schreibt er als freier Autor regelmäßig für verschiedene europäische Medien über die geopolitischen Auswirkungen internationaler Konflikte, wirtschaftlicher Machtverschiebungen und sicherheitspolitischer Entwicklungen. Seine inhaltlichen Schwerpunkte sind die globale Energiepolitik und die sicherheitspolitischen Dynamiken im osteuropäischen Raum.

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