Spekulationswelle um KI, Kredite und Staatsschulden
Eine der heißesten Fragen an den Märkten lautet derzeit: Steuern wir auf eine neue Finanzblase zu? Die Euphorie um Künstliche Intelligenz erinnert viele an das Jahr 2000, als der Dotcom-Boom platzte und Milliarden an Börsenwert vernichtete. Heute sind es fünf Bereiche, die Ökonomen besonders kritisch sehen: Künstliche Intelligenz, private Kreditvergabe, Staatsschulden, Aktienmärkte und ESG-Investments. Ein Finanzblasen-Zyklus folgt meist demselben Muster: Gier, Übertreibung – und Ernüchterung. Sobald Vertrauen und Liquidität schwinden, platzt die Blase. Doch das Erkennen ist schwierig. Denn wer weiß schon, wann Überbewertung in Selbsttäuschung kippt?
Der KI-Boom als „rationaler“ Hype
Die Diskussion um einen möglichen KI-Ballon dominiert die Finanzwelt. Der Vergleich mit der Dotcom-Ära drängt sich auf: Die Bewertungen vieler Tech-Unternehmen steigen schneller als ihre Gewinne. Laut dem Bloomberg-Analystenbericht fließt so viel Kapital in KI wie noch nie – oft ohne klare Geschäftsmodelle. OpenAI-Chef Sam Altman erklärte 2024 offen: „Ob wir 500 Millionen oder 50 Milliarden Dollar im Jahr ausgeben, ist egal, solange wir auf dem richtigen Weg sind.“ Diese Haltung nährt Zweifel, ob der Boom auf Substanz oder Glauben basiert. Ökonom Mohamed El-Erian spricht von einem „rationalen Blasenphänomen“ – überzogene Investitionen, die sich nur für wenige auszahlen werden.
Das Risiko ist enorm: KI-Konzerne tragen laut Berechnungen rund 80 Prozent des diesjährigen Wachstums des US-Aktienmarktes. Sollten Tech-Schwergewichte wie Nvidia, Microsoft oder Tesla einbrechen, könnte dies das gesamte Börsensystem ins Wanken bringen. Hinzu kommt: Die großen Player sind vielfach untereinander verflochten – als Kunden, Zulieferer und Investoren. Dieses „zirkuläre Finanzsystem“ erzeugt den Eindruck stetig wachsender Nachfrage, während Risiken kaum transparent sind.
Schattenkredite und Staatsschulden als Zeitbomben
Neben dem Technologiesektor wächst die Sorge über das private Kreditwesen. In den USA gingen zuletzt mehrere Unternehmen in die Insolvenz, die sich über außerbörsliche Kreditkanäle finanzierten. Fehlende Regulierung, unklare Risiken und mangelnde Transparenz machen den Sektor anfällig. JP-Morgan-Chef Jamie Dimon kommentierte dazu: „Wenn man eine Kakerlake sieht, gibt es meist mehr davon.“ Ratingagenturen wie Fitch warnen, dass Schocks in diesem Markt rasch auf Banken, Pensionsfonds und Kleinanleger übergreifen könnten. Noch größer ist das Risiko der überbordenden Staatsschulden. Laut IWF ist die weltweite Verschuldung heute so hoch wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. In Frankreich liegt der Schuldenstand bei 113 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, in den USA bei über 122 Prozent. Steigende Zinsen machen die Finanzierung immer teurer. Ökonomen befürchten, dass hohe Zinszahlungen künftig Bildung, Gesundheit und Investitionen verdrängen.
Der Internationale Währungsfonds fordert deshalb, Staatsausgaben stärker auf wachstumsfördernde Bereiche zu lenken – und vor allem effizienter zu gestalten. Alternativ drohe eine fiskalische Stagnation, die Regierungen politisch lähmt.
Aktien und ESG im Korrekturmodus – mit Blick auf Deutschland
Auch die Aktienmärkte zeigen Überhitzungstendenzen. Die Bank of England warnt vor plötzlichen Kurskorrekturen, insbesondere im Tech-Sektor. Goldmans Sachs sieht zwar Unterschiede zu früheren Blasen, erkennt aber Anzeichen von Überbewertung und Anleger-Euphorie. Das Segment der ESG-Investments – also Anlagen mit Umwelt-, Sozial- und Governance-Fokus – hat seinen Zenit offenbar überschritten. Nach Jahren des Wachstums verzeichnen Fonds nun Kapitalabflüsse. In den USA, wo Präsident Donald Trump grüne Vorgaben ablehnt, ebenso wie in Europa. Experten sprechen von einem „platzenden ESG-Ballon“: zu große Erwartungen, politische Polarisierung und steigende Zinsen machen das Konzept weniger attraktiv.
Für Deutschland ist diese Entwicklung doppelt relevant. Einerseits gilt die Bundesrepublik als Befürworterin nachhaltiger Finanzmärkte, andererseits sind deutsche Anleger besonders anfällig für globale Schocks durch Tech- und Kreditmärkte. Sollte es in den kommenden Jahren zu einer „synchronen Korrektur“ in mehreren dieser Blasen kommen, wäre die exportabhängige Wirtschaft direkt betroffen – vor allem über die Kapitalmärkte und die Industrieinvestitionen.

