Volatilität bleibt – doch Optimisten sehen Chancen statt Krise
Die Nervosität an den internationalen Börsen hat in den vergangenen Tagen spürbar zugenommen. Nachdem am Freitag weltweit die Kurse einbrachen, mehren sich die Erklärungsversuche: Die Teilschließung der US-Regierung schränkt den Zugang zu Konjunkturdaten ein, der Handelskonflikt zwischen China und den USA spitzt sich zu, geopolitische Spannungen nehmen zu, Investoren fürchten eine KI-Blase – und nun geraten auch wieder regionale US-Banken unter Druck. Auslöser der jüngsten Verluste waren vor allem zwei kleine US-Regionalbanken, deren Quartalsberichte mögliche Betrugsfälle offenbarten. Anleger reagierten nervös, das KBW-Regionalbank-Index sackte am Donnerstag um bis zu 6,6 Prozent ab. Der S&P 500 schloss mit einem Minus von 0,6 Prozent. Am Freitag griff die Unruhe auf Europa über: Der DAX verlor 1,8 Prozent, das europäische Leitindex-Universum fast 1 Prozent, während schwedische Aktien 1,47 Prozent und dänische Blue Chips 1,12 Prozent nachgaben. Auch Banktitel wie Sydbank, Nordea und Jyske Bank büßten zwischen 1 und 3 Prozent ein. "Wir haben eine Phase hinter uns, in der die Risikobereitschaft immer weiter zugenommen hat", erklärte Peter Lorin Rasmussen, Chefportfoliomanager bei Bankinvest, gegenüber der dänischen Wirtschaftszeitung Børsen. "Jetzt kommt eine weitere Risikofaktor-Schicht hinzu, und irgendwann ist das Maß voll." Dennoch rät Rasmussen zur Gelassenheit: Panik sei fehl am Platz.
Bull-Markt feiert Geburtstag: Rekorde trotz Handelskonflikt und Unsicherheit
Das Bullenmarkt-Jubiläum liefert einen Kontrast zur aktuellen Panikstimmung: Seit dem 12. Oktober 2022 ist der S&P 500 um rund 85 Prozent gestiegen. Trotz protektionistischer Drohungen von US-Präsident Donald Trump und wiederkehrender Handelsunsicherheiten hat sich der Markt als erstaunlich robust erwiesen. Ein wesentlicher Treiber war die Euphorie um künstliche Intelligenz, die Tech-Aktien nach oben trieb. Zugleich stützten Zinssenkungen und sinkende Inflationsraten die Anlegerlaune. Aktuell liegt der S&P 500 nur noch zwei Prozent unter seinem Allzeithoch. Für Rasmussen ist klar: Die Wahrscheinlichkeit eines neuen Rekords sei deutlich höher als die eines Einbruchs. "Wir gehen nicht davon aus, dass dies der Beginn eines neuen Crashs ist", betont er. Kurzfristige Rücksetzer könnten zwar durch algorithmische Handelsstrategien verstärkt werden, doch insgesamt bleibe der Markt intakt. Selbst das Schreckgespenst einer neuen Bankenkrise verlor am Freitag an Kraft, nachdem Trump ein Treffen mit Chinas Präsident Xi Jinping ankündigte und zugleich eine geplante Zollerhöhung von 100 Prozent als "nicht tragfähig" bezeichnete. Das reichte, um die Stimmung zu drehen: Der S&P 500 beendete den Handelstag mit einem Plus von 0,5 Prozent. "Unsicherheit bleibt der Normalzustand", so Rasmussen. "Aber das allein ist kein Grund, die Finger von Aktien zu lassen."
Anleger setzen trotz Risiko auf Technologie – auch in Europa
Dass Optimismus und Risiko derzeit Hand in Hand gehen, zeigen aktuelle Umfragen. Laut einer globalen Erhebung der Bank of America greifen Fondsmanager trotz wachsender Angst vor einer KI-Blase weiter zu Aktien. Die Aktienquote institutioneller Investoren liegt auf dem höchsten Stand seit acht Monaten, und Technologie bleibt die bevorzugte Anlageklasse. „Es ist Mode geworden zu sagen, KI sei eine Blase. Aber eine Blase kann sich verdoppeln“, sagt Josephine Cetti, Chefstrategin bei Nordea. Deshalb bleibe man investiert. Viele Anleger teilen diese Einschätzung – auch wenn 60 Prozent der Befragten die Aktienmärkte inzwischen als überbewertet ansehen, so die Børsen. Cetti zieht den Vergleich zur Dotcom-Ära der 1990er Jahre: Damals hielten Investoren trotz Überhitzung an Tech-Werten fest – und verpassten dadurch keine Gewinne. Heute scheint sich dieses Muster zu wiederholen. Rasmussen sieht in der Kombination aus geopolitischen Spannungen, Bankensorgen und Überbewertung keinen unmittelbaren Krisenherd: „Die US-Wirtschaft zeigt keine Anzeichen einer gefährlichen Abschwächung.“
Auch deutsche Investoren beobachten den US-Aktienmarkt genau. Institutionelle Anleger hierzulande, darunter große Vermögensverwalter und Pensionskassen, nutzen die Volatilität zunehmend für selektive Zukäufe. Zwar fehlen in Europa vergleichbare KI-Champions wie Nvidia oder Microsoft, doch die Marktbewegungen in den USA gelten weiterhin als entscheidender Taktgeber für die globale und damit auch deutsche Anlagestrategie.

