Finanzen

EZB-Leitzins: Stillstand oder Strategie? Was die EZB-Zinsentscheidung wirklich bedeutet

Die Europäische Zentralbank hat den Leitzins beim jüngsten EZB-Zinsentscheid nicht angerührt – doch das Schweigen ist laut. Christine Lagarde hält Kurs, obwohl geopolitische Spannungen, stagnierende Wirtschaft und ein starker Euro an den Märkten rütteln. Was als Stabilitätspolitik beginnt, könnte schnell zum Balanceakt für das Wachstum in Deutschland und Europa werden.
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avtor
08.11.2025 05:51
Lesezeit: 3 min
EZB-Leitzins: Stillstand oder Strategie? Was die EZB-Zinsentscheidung wirklich bedeutet
Stillstand bei der EZB: Warum Christine Lagarde abwartet, obwohl Inflation und Wirtschaftsdaten Alarm schlagen. (Foto: dpa/LaPresse/AP | Roberto Monaldo) Foto: Roberto Monaldo

EZB-Leitzins: Kein Kurswechsel in Frankfurt

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat auf ihrer Oktobersitzung beschlossen, die Leitzinsen unverändert zu lassen – eine Entscheidung, die Ökonomen erwartet hatten. Damit bleibt der wichtigste Einlagensatz weiterhin bei 2,0 Prozent.

Laut EZB besteht derzeit kein Anlass, die Geldpolitik und damit auch den EZB-Leitzinssatz weiter zu lockern. Die Notenbank verweist auf eine stabile Inflationslage und eine robuste Wirtschaft, die auch in einem schwierigen globalen Umfeld wächst. Zudem stützen ein starker Arbeitsmarkt, solide Bilanzen im Privatsektor und die bisherigen Zinssenkungen der EZB die Widerstandskraft des Euroraums. Dennoch warnt die Zentralbank vor Unsicherheiten. Anhaltende Handelskonflikte und geopolitische Spannungen könnten das Wirtschaftsumfeld belasten.

Inflation bleibt stabil – aber Risiken nehmen zu

Das Ziel der EZB-Zinspolitik ist klar: Preisstabilität mit einer jährlichen Inflationsrate von rund zwei Prozent. Weder zu hohe noch zu niedrige Inflation gelten als wünschenswert, da beides die wirtschaftliche Entwicklung gefährden kann. Im Oktober lag die Teuerungsrate nach vorläufigen Schätzungen erneut nahe dieser Zielmarke. Im Mai betrug sie 1,9 Prozent, im Juni und Juli zwei Prozent, im August ebenfalls zwei Prozent, bevor sie im September leicht auf 2,2 Prozent stieg.

Seit Juni 2024 befindet sich die EZB in einem Lockerungszyklus: Innerhalb eines Jahres senkte sie ihre Leitzinsen in acht Schritten um insgesamt zwei Prozentpunkte. Seit Juli, September und Oktober 2025 blieben die Zinsen allerdings konstant – ein Zeichen, dass die Notenbank abwartet, wie die bisherigen Senkungen auf die Realwirtschaft wirken. EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte bereits im September betont, die Zentralbank befinde sich „in einer guten Position, die Auswirkungen der bisherigen Maßnahmen zu beobachten“. Mit anderen Worten: Die Zeit drängt nicht. Solange die Inflation stabil bleibt, ist kein weiterer Eingriff nötig.

Volkswirte halten zusätzliche Zinssenkungen derzeit nicht für wahrscheinlich, schließen sie aber nicht aus, falls sich die Wirtschaftslage verschlechtern sollte. Belastungsfaktoren wären etwa steigende US-Zölle, geopolitische Spannungen, ein stärkerer Euro oder politische Unsicherheiten in einzelnen Mitgliedstaaten.

Wirtschaft wächst moderat – EZB bleibt datengetrieben

Aktuelle Eurostat-Daten zeigen, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Euroraum im dritten Quartal um 0,2 Prozent gegenüber dem Vorquartal zulegte – etwas stärker als im zweiten Quartal mit 0,1 Prozent. Die Zahlen sind vorläufig, zeigen aber eine leichte Erholung. Zwischen den Ländern bestehen jedoch deutliche Unterschiede: Deutschland und Italien stagnieren, Frankreich verzeichnet trotz politischer Turbulenzen ein Plus von 0,5 Prozent, Österreich liegt bei 0,1 Prozent. Für Kroatien liegen noch keine Daten vor. Zudem hat die EZB zu Wochenbeginn neue Ergebnisse aus der Bank Lending Survey (BLS) veröffentlicht. Diese zeigen: Die Kreditvergabe an Haushalte und Unternehmen wächst weiter, wenn auch unterschiedlich stark. Besonders das Interesse an Wohnungsbaukrediten steigt deutlich, während die Nachfrage von Firmen eher schwach bleibt. Kreditstandards für Unternehmen wurden leicht verschärft, bei privaten Wohnbaukrediten blieben sie stabil. Im dritten Quartal 2025 stieg die Kreditnachfrage von Unternehmen um zwei Prozent, die von Haushalten für Immobilien um 28 Prozent. Konsumentenkredite legten leicht um ein Prozent zu.

Zentralbanken senken Zinsen traditionell, wenn Inflation niedrig ist und das Wachstum schwächelt. Momentan sieht die EZB dafür keinen akuten Handlungsbedarf. Dennoch weisen viele Prognosen auf externe Risiken hin – von globalen Handelskonflikten bis zu politischen Unsicherheiten. Für ihre geldpolitischen Entscheidungen stützt sich die EZB auf drei Säulen: neue Wirtschafts- und Finanzdaten, die Entwicklung der Kerninflation sowie die Transmissionsmechanismen der Geldpolitik – also darauf, wie stark Zinsschritte tatsächlich in der Realwirtschaft wirken.

Was der EZB-Zinsentscheid für Deutschland bedeutet

Die Entscheidung der Europäischen Zentralbank, vorerst keine neuen Zinsschritte zu wagen, ist auch für Deutschland von zentraler Bedeutung. Als größte Volkswirtschaft im Euroraum trägt die Bundesrepublik stark zum wirtschaftlichen Gleichgewicht bei – zugleich leidet sie derzeit unter einer Industrieschwäche und anhaltender Stagnation. Bleibt die Inflation stabil, könnte sich das Umfeld für deutsche Kreditnehmer und Unternehmen etwas entspannen. Zugleich wird der Handlungsspielraum der EZB begrenzt, sollte die Wirtschaft weiter an Dynamik verlieren. Ein abruptes Umsteuern wäre riskant – und für Deutschland, das stark vom Export abhängt, mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden.

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Albina Kenda

Zum Autor:

Albina Kenda ist eine erfahrene Journalistin, die sich auf die Berichterstattung über Geldpolitik und EU-Themen für die slowenische Wirtschaftszeitung Casnik Finance spezialisiert hat. Sie arbeitet sich regelmäßig durch endlose Stapel von Berichten, Vorschlägen, Reden und Diskussionen, um so klar wie möglich darzustellen, wie internationale und insbesondere europäische Themen uns alle betreffen, auch wenn wir uns nicht dafür interessieren.

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