Lawrows Verschwinden: Gerüchte um den russischen Außenminister
Seit Tagen bleibt der russische Außenminister Sergej Lawrow offenbar öffentlichen Terminen fern, beispielsweise ist er nicht auf einer Sitzung des Sicherheitsrates erschienen, bei der Präsident Wladimir Putin die mögliche Wiederaufnahme von Atomtests ankündigte. Das ist untypisch, normalerweise ist der Außenminister, der seit 21 Jahren im Amt ist, bei solch wichtigen Sitzungen, die die äußere Sicherheit Russland betreffen, dabei. Er fehlte als einziges Mitglied des Gremiums. Offiziell hieß es, das Fehlen sei abgesprochen gewesen.
Lawrow trat zuletzt Ende Oktober öffentlich auf. Seither veröffentlichte das Außenministerium nur schriftliche Erklärungen oder Videobotschaften. Beobachter fragen sich: Wo ist Sergej Lawrow, handelt es sich um eine bloße politische Inszenierung oder wo liegen die Gründe für Lawrows Verschwinden?
Auch beim bevorstehenden G20-Gipfel in Südafrika wird Lawrow Russland nicht vertreten. Stattdessen führt Maxim Oreschkin, ein junger Vizechef der Präsidialverwaltung, die Delegation an. Bereits im Vormonat war der 75-Jährige dem Gipfel der südostasiatischen Staaten ferngeblieben. Beobachter sehen darin ein weiteres Anzeichen dafür, dass sich Sergej Lawrow zunehmend aus der ersten Reihe der russischen Diplomatie zurückzieht. Kremlsprecher Dmitri Peskow sah sich wiederholt gezwungen, auf die Gerüchte zu reagieren, das berichtet t-online. "All diese Berichte sind absolut falsch", betonte er am Montag. Schon am Freitag hatte er erklärt, die Meldungen hätten "nichts mit der Wirklichkeit gemein". Lawrow übe sein Amt weiterhin „aktiv“ aus und werde künftig wieder öffentlich auftreten.
Sergej Lawrow: Das geplatzte Treffen mit Donald Trump
Den Gerüchten zufolge soll Lawrow in Ungnade gefallen sein, weil ein geplantes Treffen zwischen Putin und dem damaligen US-Präsidenten Donald Trump in Budapest gescheitert war. Nach einem Telefonat zwischen Lawrow und seinem US-Amtskollegen Marco Rubio wurde das Gipfeltreffen abgesagt. Wie mehrere Medien berichten, soll der russische Außenminister während des Gesprächs eine besonders harte Linie vertreten haben. Er habe betont, dass Russland keine Zugeständnisse im Ukraine-Krieg machen werde. Diese Unnachgiebigkeit habe Trump verärgert – kurz darauf verhängten die USA Sanktionen gegen die russischen Ölkonzerne Rosneft und Lukoil. Beobachter vermuten, Putin habe seinem Chefdiplomaten die Schuld am Scheitern des Treffens gegeben.
Der Kreml weist auch diese Berichte als falsch zurück. „Keiner dieser Berichte entbehrt einer Grundlage in der Realität. Lawrow bleibt Außenminister“, sagte Peskow. Das berichtet die russische Zeitung Novaya Gazeta. Viele Experten bezweifeln, dass Lawrow eigenmächtig gehandelt hat. „Natürlich treibt Lawrow die Linie von Putin voran“, sagte Alexej Wenediktow, Ex-Chefredakteur von Echo Moskwuj. „Alles, was Lawrow sagte, war abgestimmt.“ Auch Politikwissenschaftler Michail Winogradow erklärte, das Außenministerium habe in den vergangenen Jahrzehnten kaum je eine eigenständige politische Haltung eingenommen. Für diese Sicht spricht, dass Lawrow bereits seit zwei Jahrzehnten als loyales Sprachrohr des Kreml gilt. „Zweifellos, Lawrow arbeitet als Außenminister“, versicherte Peskow am Freitag erneut – eine Aussage, die gleichzeitig bestätigt und verschleiert.
Altersmüdigkeit oder Machtkampf? Was steckt wirklich hinter Lawrows Verschwinden?
Andere Beobachter vermuten hinter Lawrows Verschwinden keine politische Krise, sondern schlichte Amtsmüdigkeit. Mit 75 Jahren gilt der russische Außenminister als einer der dienstältesten Politiker der Welt. Laut Berichten britischer Medien habe Sergej Lawrow zuletzt selbst den Eindruck vermittelt, erschöpft zu sein. Der Guardian zitierte Experten, die über gesundheitliche Probleme und zunehmende Isolation sprachen. Bereits 2022 beim G20-Treffen auf Bali gab es Spekulationen um Lawrows Gesundheitszustand, t-online berichtete. Laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters via Euronews musste Lawrow damals angeblich wegen einer Herzkrankheit im Krankenhaus behandelt werden — was aber vom russischen Außenministerium zurückgewiesen wurde.
Einige Quellen deuten darauf hin, dass Lawrow selbst über einen Rückzug nachdenke. Er habe erkannt, dass Diplomatie in Putins Russland kaum noch Wirkung entfalten könne, da der Präsident zunehmend auf Militärs und Geheimdienste setze. Spätestens seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine beschränkt sich die Rolle des Außenministeriums darauf, Putins Entscheidungen international zu rechtfertigen.
Beobachter betonen, dass Putin bei Personalfragen, die sein engstes Umfeld betreffen, äußerst vorsichtig agiert. Selbst beim unbeliebten Verteidigungsminister Sergej Schoigu dauerte es zwei Jahre, bis Putin ihn versetzte. Ein abruptes Ende der Karriere Lawrows erscheint daher unwahrscheinlich. Gleichzeitig lässt der Kreml kaum erkennen, wie zufrieden Putin mit seinem Außenminister tatsächlich ist. Zwar gilt Lawrow als treuer Vollstrecker, doch das Scheitern des Budapest-Gipfels und die darauf folgenden US-Sanktionen dürften den Präsidenten verärgert haben. Für Putin war das Treffen ein Prestigeprojekt, das Russlands außenpolitische Stärke demonstrieren sollte.
Angeblich Nachfolger in der Diskussion: Ist Lawrows Verschwinden das Symbol einer Krise=
Trotz der Dementis kursieren bereits Namen möglicher Nachfolger. Genannt werden Sergei Rjabkow, der 65-jährige Stellvertreter Lawrows, und Igor Morgulow, derzeit Botschafter in China. Auch Kremlsprecher Dmitri Peskow und Kirill Dmitrijew, Chef des russischen Staatsfonds, gelten als denkbare Kandidaten. Doch bislang handelt es sich ausschließlich um Spekulationen – offizielle Hinweise auf einen Wechsel gibt es nicht. Dmitrijew war in den vergangenen Monaten mehrfach im Ausland unterwegs, um in Putins Auftrag über wirtschaftliche Kooperationen zu sprechen. Dennoch gilt er international als Leichtgewicht. Selbst russische Beobachter halten einen Wechsel an der Spitze des Außenministeriums derzeit für wenig wahrscheinlich.
Das anhaltende Rätsel um Lawrows Verschwinden zeigt, wie stark die Unsicherheit im Kreml gewachsen ist. Putins Umfeld ringt um Stabilität und Kontrolle, während Russlands außenpolitische Beziehungen zunehmend belastet sind. Sergej Lawrow steht dabei sinnbildlich für ein System, das sich selbst in seinen loyalsten Vertretern zu erschöpfen scheint. Ob er tatsächlich geschwächt wurde oder nur vorübergehend pausiert, bleibt offen. Sicher ist jedoch: Das Schweigen um Lawrow sagt mehr über den Zustand des russischen Machtapparats aus als über die Zukunft des Ministers selbst.

