Wie die EU die Ukraine-Hilfe finanzieren will
Die Europäische Union will der Ukraine weiterhin umfangreiche Unterstützung gewähren. Insgesamt sollen 140 Milliarden Euro über ein sogenanntes „Reparationsdarlehen“ bereitgestellt werden. Darüber werden die EU-Finanzminister am Donnerstag beraten. Doch rechtliche Unsicherheiten, politische Vorbehalte und die Frage nach Alternativen bremsen den Fortschritt.
Das europäische Bekenntnis zur Ukraine ist unverändert. In den Schlussfolgerungen der EU-Gipfel betonen die Staats- und Regierungschefs regelmäßig, dass die EU der Ukraine politische, finanzielle, wirtschaftliche, humanitäre, militärische und diplomatische Hilfe leisten werde, so lange und in dem Umfang, wie es erforderlich sei.
Bislang hat die EU der Ukraine 177,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Dieser Betrag umfasst finanzielle, humanitäre und militärische Hilfe sowie Unterstützung für ukrainische Geflüchtete in Europa. Die Auszahlung ist an die Umsetzung eines Reform- und Investitionsplans gebunden, den die ukrainische Regierung mit der EU abgestimmt hat.
Dringender Finanzbedarf in Kiew
Ein zentrales Thema ist derzeit das geplante Reparationsdarlehen in Höhe von 140 Milliarden Euro. Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte beim EU-Gipfel im Oktober klargestellt, dass der Ukraine bis Ende März das Geld ausgehen werde. Eine ähnliche Situation hatte sich bereits im vergangenen Jahr ergeben. Die EU-Kommission unter Ursula von der Leyen strebt daher an, eine Einigung noch vor dem EU-Gipfel im Dezember zu erzielen, um das Hilfspaket rechtzeitig beschließen zu können.
Deckung des Haushaltsdefizits
Der dringend benötigte Kredit soll den massiven Haushaltsdefizit der Ukraine decken. Der Großteil der Staatseinnahmen wird derzeit für die Finanzierung des Kriegs aufgewendet. Für Verwaltung, öffentliche Dienste und zivile Ausgaben bleibt kaum Spielraum.
Ursprünglich hatte Kiew den Finanzbedarf für die Jahre 2026 und 2027 auf rund 38 Milliarden Dollar (33 Milliarden Euro) geschätzt. Laut Bloomberg überzeugte der Internationale Währungsfonds die ukrainische Regierung jedoch, ihre Prognose auf etwa 65 Milliarden Dollar (56 Milliarden Euro) zu erhöhen.
Das eingefrorene russische Vermögen
Seit Februar 2022 hat die EU mit Sanktionen Transaktionen mit Vermögenswerten der russischen Zentralbank verboten. Diese Vermögenswerte bleiben zwar im Eigentum Russlands, können aber nicht genutzt werden. Es handelt sich vor allem um Devisenreserven, die in Anleihen, Staatswertpapieren und Einlagen gehalten wurden.
Darunter befinden sich Staatsanleihen Chinas, Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens, Österreichs und Kanadas. Der größte Teil der Reserven ist in Euro (207 Milliarden Dollar) angelegt, gefolgt vom US-Dollar (67 Milliarden Dollar) und dem britischen Pfund (37 Milliarden Dollar). Goldreserven liegen in Russland selbst, Investitionen in Yuan in China.
Wert und Aufbewahrung der eingefrorenen Mittel
In der EU sind nach Schätzungen rund 250 Milliarden Euro an russischem Zentralbankvermögen eingefroren, der Großteil in Belgien. Die meisten dieser Papiere sind inzwischen ausgelaufen und wurden in Einlagen überführt.
Sie liegen nun bei der belgischen Abwicklungsstelle Euroclear, deren Gelder wiederum auf Konten der belgischen Zentralbank verwahrt werden. Weitere 25 Milliarden Euro an eingefrorenem Vermögen befinden sich in Deutschland, Frankreich und Luxemburg.
Das Konzept des Reparationsdarlehens
Der Plan der EU sieht vor, dass Russland indirekt für die weitere Unterstützung der Ukraine aufkommt. Das eingefrorene russische Vermögen soll dabei als finanzieller Hebel dienen, ohne formell enteignet zu werden.
Die EU würde sich bei Euroclear bis zur Höhe der verfügbaren Einlagen zinslos verschulden. Das Geld würde schrittweise an die Ukraine verliehen, die als Sicherheit Reparationsforderungen gegenüber Russland einbringt. Rückzahlungen wären erst fällig, wenn Russland Kriegsentschädigungen zahlt.
In diesem Fall würde die Ukraine die Schulden an die EU begleichen, die wiederum das Geld an Euroclear zurückführt. Da unklar ist, ob Russland jemals Reparationszahlungen leistet, müssten die EU-Mitgliedstaaten die Kredite durch Garantien aus ihren Haushalten absichern.
Belgien blockiert den Vorschlag
Belgien lehnt das Reparationsdarlehen ab. Das Land verweist auf rechtliche Risiken, mögliche russische Gegenmaßnahmen und ein unzureichendes rechtliches Fundament. Premierminister Bart De Wever signalisierte zwar Kompromissbereitschaft, fordert jedoch verbindliche Zusicherungen, dass auch andere Mitgliedstaaten potenzielle Konsequenzen mittragen.
Die rechtliche Grundlage ist das Hauptproblem. Belgien zweifelt an, dass der Brüsseler Ansatz mit internationalem Recht vereinbar ist. Die Einfrierung russischer Vermögenswerte gilt als temporäre Maßnahme im Rahmen der Sanktionen. Eine direkte Verwendung oder Enteignung wäre jedoch völkerrechtlich heikel.
Nach internationalem Recht darf fremdes Eigentum nicht ohne Rechtsgrundlage oder Entschädigung beschlagnahmt werden. Eine solche Maßnahme könnte Russland zu langwierigen Klagen veranlassen, bei denen Belgien im Zentrum stünde. Auch Ungarn und die Slowakei äußern Vorbehalte, während andere Mitgliedstaaten das Konzept unterstützen.
Ursprung der Idee
Das Konzept des Reparationsdarlehens wurde bereits von der US-Denkfabrik American Enterprise Institute diskutiert. In einem Beitrag in der Financial Times stellten der Londoner Unternehmer Hugo Dixon und der Jurist Lee Buchheit, emeritierter Professor der Universität Edinburgh, den Mechanismus vor.
Sie argumentierten, dass das Modell auf zwei etablierten Rechtsprinzipien basiere. Erstens seien Staaten zu Entschädigungen verpflichtet, wenn sie völkerrechtswidrig angreifen. Zweitens könne ein Gläubiger Forderungen mit Vermögenswerten des Schuldners verrechnen. Sollte Russland nicht zahlen, könnten die Kreditgeber die als Sicherheit hinterlegten Ansprüche übernehmen und mit den eingefrorenen Vermögenswerten verrechnen.
Brüssel sucht nach Alternativen
Die Gespräche zwischen der EU-Kommission und Belgien führten zuletzt zu keinem Fortschritt. Dennoch bleibt das Reparationsdarlehen für Brüssel die bevorzugte Option. Da der EU-Gipfel im Dezember näher rückt, werden nun Alternativen geprüft.
Eine Möglichkeit ist laut Reuters eine gemeinsame EU-Verschuldung über Anleihen, ähnlich wie in der Corona-Krise. Auch bilaterale Spenden einzelner Mitgliedstaaten stehen im Raum. Belgien befürwortet das gemeinsame Schuldenmodell, weil es klarere Haftungsstrukturen biete. Allerdings verfügt der EU-Haushalt derzeit nicht über ausreichenden finanziellen Spielraum, um als Garantiegeber zu fungieren.
Deutsche Perspektive zwischen Solidarität und Verantwortung
Für Deutschland ist die Debatte von zentraler Bedeutung. Als einer der größten EU-Beitragszahler wäre die Bundesrepublik maßgeblich an Garantien und Rückzahlungen beteiligt. Gleichzeitig hat Berlin ein starkes Interesse daran, die finanzielle Stabilität der Ukraine zu sichern und ihre Reformpolitik zu unterstützen.
Ob die EU letztlich den rechtlich riskanten Weg über eingefrorene russische Vermögen oder den finanziell aufwendigeren Weg über gemeinsame Schulden wählt, wird zeigen, wie weit Europa bereit ist, politische Verantwortung in Zeiten des Krieges zu übernehmen.

